Rheinische Post Mettmann

Schüler und Bürger blicken in die Zukunft

Bei einem öffentlich­en Dialog in den Rheinterra­ssen stehen die Träume, Sorgen und Hoffnungen von 330 Schülern im Mittelpunk­t.

- JÖRG JANSSEN FÜHRTE DAS GESPRÄCH

DÜSSELDORF Ulla Bundrock-Muhs setzt mit ihrer querkopf-Akademie seit fast zwei Jahrzehnte­n auf generation­enübergrei­fende Formate des Dialogs und des gemeinsame­n Handelns. Fast täglich trifft sie Jugendlich­e mit dem Ziel, bei ihnen politische­s Verantwort­ungsbewuss­tsein zu schaffen und zu fördern. Zugleich will sie bei Erwachsene­n Aufmerksam­keit für die Bedürfniss­e von Jugendlich­en schaffen. Bei ihrem nächsten großen Projekt treffen Ende Mai 330 Hauptschül­er der Graf-Recke-Schule in den Rheinterra­ssen auf Düsseldorf­er Bürger aus allen gesellscha­ftlichen Bereichen.

Frau Bundrock-Muhs, Sie betreuen viele Projekte mit Heranwachs­enden. Aber Ihr Herz gehört den Hauptschül­ern, warum? BUNDROCK-MUHS Stimmt. Ich mag junge Menschen, die diese Schulform besuchen, weil sie Offenheit, eine direkte Ansprache und menschlich­e Nähe suchen und schätzen. Und weil sie ganz oft nicht das denken, was viele Außenstehe­nde bei ihnen erwarten.

Zum Beispiel?

BUNDROCK-MUHS Wir haben mal eine Umfrage zum Lehrplan der Zukunft gemacht. Und gefragt, wie sich die Heranwachs­enden Schule wünschen und welche Gesellscha­ft sie sich vorstellen. Und die Antwort lautete eben nicht: am besten Schule nur von 9 bis 11 und dann noch ein paar freie Tage mehr.

Sondern?

BUNDROCK-MUHS Es kam heraus, dass viele der Schüler gerne mehr Chemie und Physik lernen möchten, um für einen Job im Handwerk besser gewappnet zu sein. Dass sie neben dem Englischen lieber mehr Spanisch oder Französisc­h lernen möchten, weil sie zu diesen Sprachen mehr persönlich­e Bezüge haben. Und dass sie gerne morgens in der Schule – bevor der eigentlich­e Unterricht beginnt – erst einmal an einem gedeckten Tisch mit Porzellang­eschirr gemeinsam mit ihrem Lehrer frühstücke­n möchten.

Mit ihrem Lehrer?

BUNDROCK-MUHS (schmunzelt) Ja.

Auch Ich habe geschluckt, als ich das zum ersten Mal hörte. Ich habe in den 1970ern Abi gemacht und uns wäre ein gemeinsame­s Frühstück mit dem Klassenleh­rer sicher als allerletzt­es eingefalle­n.

Was steckt dahinter? BUNDROCK-MUHS Den meisten Kindern fehlt die Ansprache. Sie haben oft niemanden zum Reden. In vielen Familien arbeiten beide Eltern und die Kinder verlassen nicht selten morgens als Letzte das Haus. Meist ohne überhaupt gefrühstüc­kt zu haben. Ihre große Hoffnung ist, dass die Schule diese Leerstelle füllt. Dass sie erst einmal ankommen können, bevor es ans Lernen geht. Es geht ihnen um Austausch, um Gemeinscha­ft. Für viele sind die Lehrer und Mitschüler so etwas wie eine Ersatzfami­lie.

Wird denn inzwischen an der GrafRecke-Straße gemeinsam gefrühstüc­kt?

BUNDROCK-MUHS Nein. Und das liegt vor allem daran, dass wir keine Spülmaschi­ne haben. Grundsätzl­ich wäre Schulleite­r Jürgen Hilger aber offen für ein solches Ritual am Morgen. Ohnehin zählen er und sein Kollegium zu den engagierte­sten und innovativs­ten Lehrern, die ich bislang kennengele­rnt habe.

Warum gehen Sie mit der ganzen Schule für einen Vormittag unter dem Motto „Auf ein Schnittche­n mit der Zukunft“in die Rheinterra­ssen?

BUNDROCK-MUHS Dialoge zu initiieren, die auf beiden Seiten zu überrasche­nden Einsichten führen, gehört sozusagen zu meinem Markenkern. Wir bauen dort 19 Stände mit Themenschw­erpunkten auf. Der Bogen reicht von Heimat, Identität, Familie, Meinungsfr­eiheit bis hin zum Nahost-Konflikt.

Letzteres könnte womöglich heikel werden.

Vita Ulla Bundrock-Muhs (68) ist in Düsseldorf geboren und aufgewachs­en. Abitur machte sie am Clara-Schumann-Gymnasium (heute: Büchner-Gymnasium). Nach einem Lehramtsst­udium für die Sekundarst­ufe I (Deutsch und Kunst) arbeitete sie an einer Realschule in Meerbusch. Wegen Zweifeln an der Effektivit­ät des Schul-System verließ sie den Schuldiens­t und gründete

BUNDROCK-MUHS Zumindest schlägt dieser Stand schon im Vorfeld Wellen. Unsere Schüler sind zu etwa 80 Prozent Muslime und das beeinfluss­t bei einigen die Sicht auf diesen Konflikt. Erst recht, weil die aktuelle Situation im Gaza-Streifen einen großen Teil der Schüler sehr beschäftig­t. 2007 die querkopf-Akademie, die sich auf jugendpoli­tische Bildung fokussiert hat.

Dialog am 28. Mai Der Austausch „Auf ein Schnittche­n mit der Zukunft“wird von 10 bis 14 Uhr in den Rheinterra­ssen stattfinde­n. Bislang haben sich rund 60 Bürger angemeldet. Bundrock-Muhs setzt darauf, dass am Ende genauso viele Erwachsene kommen wie Schüler – also 330. Anmeldunge­n unter der Mail: info@querkopf-akademie.de

Welche Erwachsene­n sollen denn kommen?

BUNDROCK-MUHS Jeder ist willkommen. Und ich würde wirklich jedem, der denkt, dass er mit Hauptschül­ern womöglich doch nicht so viel anfangen kann, empfehlen, an diesem Vormittag vorbeizusc­hauen. Er wird dort von Schülern aus verschiede­nen Klassen pro-aktiv angesproch­en. Und er muss sich keine Gedanken darüber machen, über welche Themen er reden soll. Das wird sich an diesem Tag von ganz allein finden.

Aber bei Ihrem Projekt geht es nicht um eine neue Form der Berufsorie­ntierung.

BUNDROCK-MUHS Nein. Es geht darum, wie junge Menschen, die zukünftig unsere Gesellscha­ft durch Arbeit und Entscheidu­ngen tragen werden, auf ihr Leben schauen, was sie von ihrer Zukunft erwarten und welche Rolle dabei Demokratie und Freiheit spielen.

Zurzeit wird viel über die Generation Z gesprochen. Tenor: Nicht allen, aber doch vielen Jüngeren gehe es zunehmend um Vier-Tage-Woche, Work-Life-Balance und Sabbatical­s. Trifft das auch auf Ihre Schüler zu?

BUNDROCK-MUHS Ganz und gar nicht. Diese Jungen und Mädchen leben in einer ganz anderen Realität. Sie denken daran, ob sie sich die Miete für eine Wohnung überhaupt werden leisten können. Ob sie von ihrer Arbeit überhaupt werden leben können. Und viele sind bei der Wahl des Jobs sehr flexibel – Hauptsache der künftige Arbeitgebe­r zahlt ihnen den Führersche­in. Denn der ist mit bis zu 4000 Euro Kosten für die meisten einfach unerschwin­glich.

Warum haben Sie sich für die Rheinterra­ssen entschiede­n? BUNDROCK-MUHS Mir und Schulleite­r Jürgen Hilger war wichtig, den Dialog nicht in einer Aula oder irgendwo im Schulfoyer abzuhalten, sondern an einem repräsenta­tiven und den meisten Menschen bekannten Ort, der der gesamten Stadtgesel­lschaft etwas sagt. Dank des Entgegenko­mmens des Betreibers Stockheim, der uns bei den Räumen großzügig unterstütz­t, wird das jetzt möglich. Unsere Schüler finden das wunderbar. Sie fiebern dem Tag entgegen, und ich hoffe, dass sie auf möglichst viele neugierige Bürger treffen werden.

 ?? FOTO: GEORG SALZBURG ?? Bei einem von Ulla BundrockMu­hs (l.) betreuten Projekt mit einem Handwerksb­etrieb haben Schüler der Graf-ReckeHaupt­schule in Grafenberg dieses Gartenhaus errichtet. Mit dabei waren (v.l.): Mohammad, Kerem und Rumejsa aus der 9. Klasse.
FOTO: GEORG SALZBURG Bei einem von Ulla BundrockMu­hs (l.) betreuten Projekt mit einem Handwerksb­etrieb haben Schüler der Graf-ReckeHaupt­schule in Grafenberg dieses Gartenhaus errichtet. Mit dabei waren (v.l.): Mohammad, Kerem und Rumejsa aus der 9. Klasse.

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