Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
„In OP-Praxen drohen längere Wartezeiten“
Der Chef der Kassenärzte über Ärger mit Krankenkassen bei der Finanzierung und dem Grippe-Impfstoff.
Herr Bergmann, die Infektionszahlen sind hoch. Wie sieht es in den Praxen aus?
BERGMANN Die Praxen im Rheinland haben reichlich zu tun. Klassische Erkältungen haben Hochsaison und viele Menschen, die Corona haben, oder dies befürchten, brauchen ebenfalls Hilfe. 19 von 20 Corona-Patienten werden ambulant versorgt.
Grippe-Impfstoff fehlt. Hat die Politik zu wenig bestellt?
BERGMANN Auch in Nordrhein ist der Impfstoff knapp. Wir setzen darauf, dass in Kürze weitere Lieferungen ankommen, sobald das Paul-Ehrlich-Institut diese freigegeben hat. Für den Engpass sind aber auch die Krankenkassen mitverantwortlich: Sie haben in diesem Jahr ihre Leistungen erweitert und damit alle ihre Versicherten zur Grippe-Impfung
eingeladen. Dabei wäre es jetzt vorrangig, erst einmal die Risikogruppen wie Ältere und Vorerkrankte zu impfen. Dies ist eine Entscheidung zulasten der Risikopatienten.
Streit gibt es auch um das ambulante Operieren.
BERGMANN Im Zuge der Honorarverhandlungen für 2021 haben die nordrheinischen Krankenkassen die Fördergelder für ambulante Operationen gekündigt. Das ist skandalös. Gerade jetzt, wo Kliniken planbare Operationen stoppen, um ihre Kapazitäten für Covid-19-Patienten freizuhalten, ist das ambulante Operieren wichtiger denn je. Doch nun beenden die Kassen abrupt die Förderung – dabei leiden die Praxen schon jetzt unter steigenden Kosten. Allein die Hygieneauflagen des Landes kosten eine Praxis im Schnitt 8000 Euro, bei einer operierenden Praxis sind es mindestens 25.000 Euro.
Was bedeutet das für die Patienten?
BERGMANN Im neuen Jahr könnte es dazu kommen, dass operierende Facharzt-Praxen Patienten mit Knie- oder Schulterproblemen abweisen müssen, weil die Finanzierung der Behandlung nicht gesichert ist. Es ist damit zu rechnen, dass sich Wartezeiten verlängern, weil OP-Praxen auf dieser Basis nicht mehr auskömmlich arbeiten können. Wir hoffen, dass sich die Kassen zurück an den Verhandlungstisch bewegen, sonst müssten wir vor das Schiedsgericht ziehen, um sie zum Einlenken zu bewegen.
Bewährt sich aus Ihrer Sicht der „Lockdown light“?
BERGMANN Die Hoffnungen, die die Politik damit verbunden hat, haben sich aus meiner Sicht bislang nicht erfüllt. Die Infektionszahlen sind nach wie vor hoch. Ich erwarte, dass Gastronomie, Kinos und Fitnessstudios daher weiterhin geschlossen bleiben. Dabei sollten wir die Schulen unbedingt offen halten, sie sind nicht Treiber des Infektionsgeschehens. Schon jetzt sind viele Kinder und Familien am Limit. Weitere Schul- und auch Kitaschließungen halten Familien nicht aus.
ANTJE HÖNING FÜHRTE DAS GESPRÄCH.