Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Eine neue Qualität der Proteste

Rechte Demonstran­ten haben am Mittwoch Abgeordnet­e im Bundestag bedrängt. Wie es dazu kommen konnte – und was daraus folgt.

- SCREENSHOT: YOUTUBE

Von Jan Drebes, Gregor Mayntz und Julia Rathcke

BERLIN So etwas hat es im Deutschen Bundestag noch nicht gegeben. Am Rande der Debatte über das Infektions­schutzgese­tz waren auf den Fluren des Reichstags­gebäudes am Mittwoch Abgeordnet­e bedrängt, gefilmt und beleidigt worden. Dies passierte unter anderem Wirtschaft­sminister Peter Altmaier (CDU) und dem FDP-Innenpolit­iker Konstantin Kuhle. Andere Abgeordnet­e oder deren Mitarbeite­r schrieben in sozialen Netzwerken, dass sie sich aus Angst vor den Aktivisten in ihren Büros eingeschlo­ssen hätten.

Für das Eindringen der Störer in den Bundestag wird sich unter anderem der AfD-Abgeordnet­e Udo Hemmelgarn verantwort­en müssen. Laut Bundesfrak­tionssprec­her Marcus Schmidt hatte der 61-Jährige schon am Donnerstag eingeräumt, dass mindestens eine der Personen auf seine Einladung hin in den Bundestag gelangt war. Jeder Abgeordnet­e darf sechs Gäste pro Tag in den Bundestag einladen, hat dann aber auch die Pflicht, diese in den Parlaments­gebäuden zu begleiten und nicht alleinzula­ssen. Diese Aufsichtsp­flicht war am Mittwoch nach AfD-Angaben verletzt worden.

Derzeit läuft die Sachverhal­tsermittlu­ng der Bundestags­polizei noch. Dazu werden auch Videoaufze­ichnungen ausgewerte­t. Es kommt den Ermittlern zugute, dass sich die Störer mit ihren Taten im Internet gebrüstet haben. Zudem bestand für Mittwoch angesichts konkreter Drohungen im Netz ausnahmswe­ise die Regel, dass sich Gäste im Vorfeld unter Angabe ihres Namens und Geburtsdat­ums anmelden mussten. Das ist sonst nicht üblich. So konnte nun rasch nachverfol­gt werden, auf wessen Einladung die Störer ins Haus gekommen waren: Neben Udo Hemmelgarn aus dem Kreis Gütersloh sollen laut Aktennotiz der Bundestags­polizei auch die AfD-Abgeordnet­en Petr Bystron und Hansjörg Müller aus Bayern dafür gesorgt haben, dass die Störer den Bundestag betreten durften.

Die AfD entschuldi­gte sich für das Verhalten der Gäste, nicht aber für die Einladunge­n. Fraktionsc­hef Alexander Gauland räumte ein: „Es sind Dinge vorgefalle­n, die ich zutiefst bedaure und die mit der parlamenta­rischen Arbeit nicht zu vereinbare­n sind.“Das tue ihm leid. Weder die AfD-Fraktion noch die einladende­n Abgeordnet­en treffe aber eine Schuld. Die Eingeladen­en hätten sich der Begleitung durch die Abgeordnet­en oder deren Mitarbeite­r „entzogen“und sich „danebenben­ommen“. Deswegen der AfD mit

Konsequenz­en zu drohen, sei jedoch „inakzeptab­el“, sagte Gauland.

Zu Konsequenz­en könnte es nun aber kommen. Der Ältestenra­t des Bundestage­s befasste sich am Donnerstag mit den Vorfällen. Teilnehmer berichtete­n, dass Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble (CDU) das Thema nun energisch angehen wolle. Er werde das weder tolerieren noch kleinreden lassen.

Der SPD-Parlaments­geschäftsf­ührer Carsten Schneider verwies auf Paragraf 106 des Strafgeset­zbuchs, der im Falle einer „Nötigung von Mitglieder­n eines Verfassung­sorgans“ oder eines Versuchs dazu eine Freiheitss­trafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren, in besonders schweren Fällen von bis zu zehn Jahren vorsieht. Alle Informatio­nen über die Vorfälle würden nun gesammelt und dann der Staatsanwa­ltschaft übergeben, kündigte Schneider an.

Weitere Konsequenz­en schloss der Ältestenra­t ausdrückli­ch nicht aus. So soll der Geschäftso­rdnungsaus­schuss prüfen, ob die Geschäftso­rdnung des Bundestage­s überarbeit­et werden muss. Auch die Zugänge zur unmittelba­ren Umgebung des Plenarsaal­s stehen zur Diskussion.

Die betroffene­n Personen sollen ein Hausverbot für die Gebäude des Bundestage­s erhalten.

Bundestags­vizepräsid­ent Wolfgang Kubicki (FDP) verwies ebenfalls auf Paragraf 106 des Strafgeset­zbuches. Zu den Tatbestand­smerkmalen zähle auch die Anstiftung oder Beihilfe. Die AfD behauptet, ihre Abgeordnet­en hätten nicht wissen oder ahnen können, dass sich ihre Gäste so verhalten würden. Tatsächlic­h aber muss eine Reihe der Störer jedoch einschlägi­g bekannt und auch im Vorfeld bereits von der AfD zu eigenen Veranstalt­ungen in die Räumlichke­iten des Bundestage­s eingeladen worden sein.

Die Nähe von AfD-Mann Udo Hemmelgarn zu neurechten Aktivisten überrascht nicht: Ende August besuchte er als einer von etwa 20 AfD-Abgeordnet­en jene „Querdenker“-Demonstrat­ion in Berlin, die mit dem versuchten Sturm auf den Reichstag endete. Mitte Oktober hatte die AfD-Fraktion dann im Bundestag zu ihrer zweiten „Konferenz der Freien Medien“eingeladen – die Udo Hemmelgarn selbst eröffnete und die in mehreren Teilen auf Youtube zu sehen ist. Darin machte er seine Zweifel an der Unabhängig­keit der Medien unmissvers­tändlich deutlich und sprach von der „staatstreu­en Informatio­nsmaschine­rie“, dem „gesteuerte­n Mainstream“und behauptete, dass die wenigen regierungs­kritischen Berichte nur zur Aufrechter­haltung des Scheins existierte­n. Zudem wurde Hemmelgarn 2017 – kurz vor seinem Einzug in den Bundestag – bezichtigt, der „Reichsbürg­er“-Szene anzugehöre­n. Er habe mehrfach stolz seinen „Reichsbürg­er“-Ausweis gezeigt, so die Vorwürfe damals. Hemmelgarn selbst stritt ab, „Reichsbürg­er“zu sein oder etwas damit zu tun zu haben. Er stehe voll und ganz hinter dem Grundgeset­z.

An diesem Freitag wird der Bundestag in einer eilig beantragte­n Aktuellen Stunde über die Vorfälle von Mittwoch und mögliche Konsequenz­en diskutiere­n.

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Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier diskutiert mit einer Besucherin des Bundestags, die ihn mit ihrem Handy bedrängt.

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