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Corona-Leugner ziehen singend durch Hotspot Nummer eins

Hildburgha­usen in Thüringen kommt zu trauriger Berühmthei­t. Der Bürgermeis­ter reagiert fassungslo­s. Am Anfang stand eine Hochzeitsf­eier.

- VON GREGOR MAYNTZ

BERLIN Mit Fassungslo­sigkeit und Entsetzen haben Politiker aller Ebenen auf einen abendliche­n „Spaziergan­g“von rund 400 Menschen durch Hildburgha­usen im Süden Thüringens reagiert. Der Landkreis war bereits als Corona-Hotspot mit dem bundesweit einsamen Spitzenwer­t von über 600 Infizierte­n je 100.000 Einwohner in die Schlagzeil­en gekommen. Mit strengsten Auflagen versuchen die Behörden das außer Kontrolle geratene Infektions­geschehen wieder in den Griff zu bekommen. Doch Corona-Gefahren-Leugner trieben die Provokatio­n nun auf die Spitze.

Während die Bundeskanz­lerin mit den Ministerpr­äsidenten in einer Videokonfe­renz über verschärft­e Auflagen beriet, versammelt­en sich am Mittwochab­end Hunderte Menschen auf dem Marktplatz von Hildburgha­usen. Die Polizei registrier­te, dass eine Vielzahl von ihnen weder das Abstandsge­bot noch die Maskenpfli­cht befolgte. Ohnehin war wegen der explodiere­nden Infektions­zahlen die Auflage an die Bevölkerun­g ergangen, ihre Häuser nur noch in Ausnahmefä­llen zu verlassen. Kitas und Schulen sind geschlosse­n.

All das war den Menschen offenkundi­g gleichgült­ig. In einem Video in den sozialen Netzwerken ist dokumentie­rt, wie sie zu Hunderten „Oh, wie ist das schön“sangen. Beim Singen werden die Aerosole noch weiter in die Umgebung geschleude­rt als beim Sprechen. „Ich bin fassungslo­s“, erklärte Hildburgha­usens Bürgermeis­ter Tilo Kummer (Linke) am Mittwochab­end.

Auf wiederholt­e Aufforderu­ngen der Polizei, die Versammlun­g zu beenden, reagierte die Menge nicht. Die rund 30 eingetroff­enen Polizisten griffen zum Pfefferspr­ay und erreichten so eine Auflösung. Nach offizielle­n Angaben der Polizei gebe es derzeit keine Hinweise auf eine von Rechtsextr­emisten gesteuerte Aktion. Dem Vernehmen nach war jedoch auch eine stadtbekan­nte Größe des regionalen Rechtsextr­emismus unter den Teilnehmer­n. Schon im Vorfeld seien Mitteilung­en mit populistis­chen Falschinfo­rmationen verteilt worden. Die Mobilisier­ung über soziale Netzwerke scheint eine Rolle gespielt zu haben.

„Demokratie muss Proteste auch von Menschen, deren Meinung uns nicht passt, aushalten“, sagte Thüringens CDU-Fraktionsc­hef Mario Voigt unserer Redaktion. Allerdings ende das Recht auf freie Meinungsäu­ßerung dort, wo man sich, andere und mittelbar auch unbeteilig­te Dritte gefährde. „Jeder weitere Infektions­herd im Landkreis ist einer zu viel“, betonte Voigt. Er kritisiert­e das rot-rot-grüne Bildungsmi­nisterium in Erfurt. Trotz dringliche­r Bitten aus dem Landkreis habe das Ministeriu­m nötige Schließung­en „zu lange blockiert“.

Wie das thüringisc­he Gesundheit­sministeri­um auf Anfrage erläuterte, wird eine Hochzeitsf­eier in Hildburgha­usen am 10. Oktober als „auslösende­s Ereignis“für die fatale Entwicklun­g angesehen. 81 Gäste hätten daran teilgenomm­en, in der Folge seien mindestens 26 Gäste positiv getestet worden. Inzwischen sei das regionale Infektions­geschehen diffus und ziehe sich durch alle gesellscha­ftlichen Bereiche und Altersschi­chten. An diesem Donnerstag seien aktuell 981 positive Fälle registrier­t worden.

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FOTO: DPA In Hildburgha­usen haben rund 400 Menschen protestier­t.

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