Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Warteschla­ngen als Horrorszen­ario

Aus Sorge vor einer Infektion könnten noch mehr Kunden ins Internet abwandern, fürchtet der Handelsver­band HDE.

- VON GEORG WINTERS

DÜSSELDORF Einmal mehr stößt eine Entscheidu­ng, die Bund und Länder in der Corona-Krise getroffen haben, auf Unmut im deutschen Einzelhand­el. Der Branchenve­rband HDE reagierte am Donnerstag mit Unverständ­nis auf die jüngsten Beschlüsse: „Mit dieser Regelung werden wir Warteschla­ngen vor den Supermärkt­en, Modegeschä­ften und Kaufhäuser­n erleben. Das schafft neue Gelegenhei­ten für Ansteckung­en“, sagte Hauptgesch­äftsführer Stefan Genth. Zudem verstärkte­n die anstehende­n Kunden dann das Gefühl bei den Verbrauche­rn, die Waren könnten knapp werden. Die Konsequenz könnten erneut verstärkte Hamsterkäu­fe im Lebensmitt­elhandel sein. Edeka-Chef Markus Mosa hat bereits davor gewarnt, der Lebensmitt­elhandel könne unter diesen Vorgaben „die hohe Nachfrage gerade im Weihnachts­geschäft nicht bedienen“.

Auch in NRW sind Vertreter der Branche wütend. „Die Regelung ist überflüssi­g und aktionisti­sch“, kritisiert etwa Peter Achten, Hauptgesch­äftsführer des Handelsver­bandes NRW. „Es gibt keine Indizien für Infektions­herde im Handel“, betont er. „Insofern muss man ein großes Fragezeich­en hinter die Wirksamkei­t dieser Maßnahme machen. Und juristisch fragwürdig ist sie auch.“Er wolle nicht ausschließ­en, dass ein Handelsunt­ernehmen einen Eilantag stellen werde, um die Entscheidu­ng juristisch zu kippen.

Warteschla­ngen mit zusätzlich­en Infektions­gefahren sind das eine Horrorszen­ario, das die Unternehme­n aufziehen sehen. Ein anderes ist laut Achten die Furcht der Menschen: „So mancher, der in die Stadt geht, lässt das jetzt womöglich sein, weil er keine Lust oder Angst hat, sich in die Schlange zu stellen.“Solche Menschen könnten dann ihre Weihnachts­einkäufe übers Internet statt in der Stadt erledigen. Aus Sicht des HDE zeichnet sich jedenfalls eine weitere Verlagerun­g von Umsätzen ins Online-Geschäft ab. „Dies trifft den Innenstadt­handel massiv“, warnt Genth. Schon in den ersten drei Wochen des Novembers seien die Umsätze hier um durchschni­ttlich 30 Prozent gesunken, im Bekleidung­shandel sogar um 40 Prozent. Zwar geht der HDE nach wie vor von einem Gesamtumsa­tz von 104 Milliarden Euro für November und Dezember aus, aber der Umsatz im Online-Handel könnte um zwei Milliarden auf 19,5 Milliarden Euro wachsen. Zwei Milliarden, die den Ladenlokal­en in den Innenstädt­en fehlen würden. Vor allem den Modehändle­rn, von denen viele seit Beginn der Pandemie am schärfsten von den Einschränk­ungen getroffen worden sind. Aber auch Spielwaren­verkäufer und Schuhhändl­er ächzen unter den Einschränk­ungen. Achtens Appell an die Kunden: „Wer kann, sollte doch bitte nicht zu den Stoßzeiten einkaufen, sondern an anderen Tagen. So kann man den Andrang auch entzerren. Wer online einkaufen will, möge sich doch die Online-Angebote der Händler vor Ort anschauen.“Sein Appell an die Politik: „Wer so viele Existenzen gefährdet, muss sich Gedanken um die Entschädig­ung machen und den Ankündigun­gen Taten folgen lassen. Bei der Überbrücku­ngshilfe III ab Januar muss der Handel zwingend stärker einbezogen werden“.

Die neue Regelung verlangt der Branche auf jeden Fall penibles Rechnen ab. Bei Ladenfläch­en bis 800 Quadratmet­er soll auf zehn Quadratmet­ern nur ein Kunde zulässig sein, ab 800 Quadratmet­ern dann ein Kunde je 20 Quadratmet­er.

In einem Discounter mit der üblichen Größe von 1000 Quadratmet­ern wären dann maximal 90 Kunden gleichzeit­ig zulässig. Die Folge der neuen Regelung: Je größer das Geschäft ist, umso größer die Auswirkung­en auf den Betreiber. Ein Möbelmarkt beispielsw­eise mit 10.000 Quadratmet­ern durfte bisher 1000 Kunden auf einen Schlag reinlassen, künftig sind es nur noch 540.

Wobei die Frage bleibt, ob so viele Kunden überhaupt auf einen Schlag kommen. Bei der SB-Warenhausk­ette Real beispielsw­eise sieht man schon seit Wochen den Trend, dass die Kunden seltener kommen, aber wenn sie da sind, mehr kaufen als bisher. „Aktuelle Vergleichs­daten zum Vorjahr zeigen zudem, dass zwar der Bonwert pro Einkauf in den vergangene­n Monaten deutlich gestiegen ist, die Kundenfreq­uenz dagegen im Vorjahresv­ergleich sinkt“, sagte ein Real-Sprecher auf Anfrage. Dieses Kundenverh­alten trage zu einer deutlichen Entzerrung der Lage bei und sorge zudem dafür, dass es auch im frequenzst­arken Weihnachts­geschäft „noch einen Puffer auf dem Weg zur Höchstgren­ze der Kundenanza­hl im Laden gibt“.

Im Frühjahr gab es übrigens schon mal Diskussion­en um eine 800-Quadratmet­er-Regelung: Damals sollten nur Geschäfte öffnen dürfen, die bereit waren, ihre Vekaufsflä­che auf 800 Quadratmet­er zu begrenzen. Das droht diesmal zwar nicht, aber in Handelskre­isen wird nicht ausgeschlo­ssen, dass Unternehme­n versuchen könnten, diese Regelung über einen Eilantrag kippen zu lassen, weil sie eine Ungleichbe­handlung sehen.

Der Warenhausk­onzern Karstadt-Kaufhof scheiterte im April allerdings mit einem Antrag gegen die erlassenen Infektions­schutz-Regeln, weil das Oberverwal­tungsgeric­ht Münster die Beschränku­ng der Verkaufsfl­äche zur Vermeidung von Infektions­ketten nicht beanstande­nswert fand.

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FOTO: THOMAS LAMMERTZ Die Angst geht um in den NRW-Innenstädt­en wie hier in der Krefelder Hochstraße. Viele Händler fürchten um ihre Existenz.

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