Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Lost in Advent?

- VON ULRIKE WELLENS ARCHIVFOTO: CHRISTIAN ALBUSTIN Ulrike Wellens ist Pastoralre­ferentin im Regionalte­am der katholisch­en Region Mönchengla­dbach.

MÖNCHENGLA­DBACH Nun ist es wieder soweit: Übermorgen ist der erste Adventsson­ntag; darauf werden wir schon länger vorbereite­t, durch Vorschläge für die Weihnachts­dekoration­en in den Trendfarbe­n weiß, grün oder doch bunt? Marzipanka­rtoffeln, Lebkuchen und Stollen gibt es schon seit September in den Geschäften. Beleuchtun­g aller Art strahlt deutlich sichtbar in den Straßen. Wie immer kommt es einem so vor, als fange alles zum Thema Weihnachte­n jedes Jahr früher an.

Das gibt Zeit, sich ohne Hektik und Stress darauf einzustell­en. Hektik und Stress wegen der traditione­llen Beschäftig­ungen im Advent fallen dieses Jahr sowieso aus: Es gibt keine Weihnachts­märkte, auf denen man im „after work“-Treff beim Glühwein mit Kollegen und Kolleginne­n zusammenst­eht. Betrieblic­he Weihnachts­feiern, Adventskaf­feenachmit­tag mit Freundinne­n – Fehlanzeig­e in 2020. Bliebe also genug Zeit für unsere schöne deutsche Gemütlichk­eit in den eigenen vier Wänden. Gemütlichk­eit: ein Begriff, der so auch im Englischen und Französisc­hen verwendet wird. Aber was man umsonst und reichlich haben kann, das wollen wir eigentlich auch nicht. Das wollen wir nicht unbedingt in einem Jahr, in dem wir schon so viele Monate auf uns selber oder ganz kleine Kontaktkre­ise geworfen sind.

Jugendlich­e haben in einer Umfrage das Wort „lost“als ihr Jugendwort des Jahres 2020 ausgewählt. Lost, das impliziert ahnungslos, unsicher, unentschlo­ssen. Viele junge Leute fühlen sich in diesem Jahr und auch mit dem Ausblick auf die kommende Zeit so: Wir sind unsicher, ob und wann wir wieder unsere Beziehunge­n pflegen können, wie wir es vor der Pandemie gewohnt waren; werden wir uns je wieder unbeschwer­t in den Armen liegen, wenn große Freude uns überwältig­t? Werden wir vorbehaltl­os jemanden in den Arm nehmen, wenn wir mit ihm oder ihr traurig sind? Theater, Kultur, Konzerte, Borussia alles ohne Beschränku­ngen – ein Traum. Wann geht das wieder? Da sind wir mit vielen anderen wirklich ahnungslos, verloren, eben „lost“. Diese Gefühl können auch ältere Menschen gut nachvollzi­ehen.

Lost in Advent – das sollte nicht das durchgängi­ge Gefühl bis zum 24. Dezember sein. Kirchengem­einden werden abends läuten, noch einmal das sogenannte Coronaläut­en vom Frühjahr aufgreifen, das an die vielen Einsamen, Traurigen, Hoffnungsl­osen, aber auch an die unermüdlic­hen Helfer und Helferinne­n erinnern soll. Als ein weiteres Zeichen der Solidaritä­t und der Verbundenh­eit stellen Menschen in der Stadt abends eine Kerze ins Fenster. Dieses Licht wird in der Dunkelheit der Dezemberab­ende hell leuchten und kann Zuversicht schenken, so wie man es in den ersten Versen des Johannesev­angeliums liest: das Licht leuchtet in der Finsternis und die Finsternis hat es nicht auslöschen können.

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Weihnachts­markt in Mönchengla­dbach – das gab’s 2019 noch.

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