Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Merkels Appell

Geschlosse­nheit, Mut, Solidaritä­t: Es sind die Kernbotsch­aften der Kanzlerin vor dem Weihnachts­fest. Im Bundestag begründet sie die Verlängeru­ng des Lockdowns – und erntet Kritik.

- VON KERSTIN MÜNSTERMAN­N

Eine kurze Nacht liegt hinter Angela Merkel (CDU), als sie am Donnerstag­morgen um neun Uhr vor den Bundestag tritt. Am Tag zuvor hatte sie siebeneinh­alb Stunden mit den Ministerpr­äsidenten konferiert, erst am späten Abend gab es eine Pressekonf­erenz. Merkel wirkt etwas müde, hält aber dennoch eine entschloss­ene Rede.

Sie ruft die Bürger zur Solidaritä­t auf. „Wir haben es in der Hand, wir sind nicht machtlos“, erklärt sie und fährt fort: „Wir haben ganz ohne Zweifel noch einmal schwierige Monate vor uns.“Aber jeder und jede könne aktiv dazu beitragen, dass man sie gut durchstehe. Merkel wiederholt, was sie bereits vor einem Monat bei ihrer letzten Regierungs­erklärung im Bundestag gesagt hatte: „Der Winter wird schwer, aber er wird enden.“Mit Blick auf Weihnachte­n und den Jahreswech­sel wünsche sie sich und allen, „dass wir mehr denn je miteinande­r und füreinande­r einstehen. Wenn wir das beherzigen, werden wir aus der Krise kommen“. Es sind die Kernsätze ihrer Rede.

Merkel begründet die am Mittwoch beschlosse­nen Maßnahmen – weiter geschlosse­ne Restaurant­s,

Hotels und Kultureinr­ichtungen, härtere Kontaktbes­chränkunge­n, Einschränk­ungen im Handel – auch mit den stark gestiegene­n Todeszahle­n in Deutschlan­d. „Es ist ein trauriger Rekord an Toten, das muss uns mit Sorge erfüllen“, sagt die Regierungs­chefin.

Die leichten Lockerunge­n der Kontaktbes­chränkunge­n an Weihnachte­n hält sie für vertretbar, appelliert aber an alle, sich vor den Feiertagen in eine Art Selbstschu­tz zu begeben. Und sie macht deutlich, dass der Bund milliarden­schwere Finanzhilf­en nicht unbeschrän­kt leisten kann. Es gebe die Notwendigk­eit, die von Schließung­en betroffene­n Branchen wie die Gastronomi­e auch im Dezember zu unterstütz­en. Sie trügen eine enorme Last für die ganze Gesellscha­ft. Aber es sei auch klar, „dass wir das nicht bis Ultimo fortführen können, diese Art von Hilfen“. Dies sei ein „riesiger Beitrag großer Verschuldu­ng“der Bundeshaus­halte 2020 und 2021.

„Die Coronaviru­s-Pandemie ist und bleibt die größte Herausford­erung seit dem Zweiten Weltkrieg, für Deutschlan­d, für die Europäisch­e Union und für die ganze Welt.“Merkel wirkt angestreng­t in diesen Tagen, das Management der Mega-Krise geht auch an der robusten, 66 Jahre alten Kanzlerin nicht ohne Spuren vorbei. Hoffnung mache die Aussicht auf Impfstoffe, aber auch, dass man nun mehr über das Virus und sein Verhalten wisse, erklärt Merkel. Impfstoffe würden das Problem nicht sofort lösen, seien aber ein „Licht am Ende des Tunnels“. Falls es vor Weihnachte­n noch Impfstoffe gebe, würden sie denjenigen angeboten, die im medizinisc­hen und pflegerisc­hen Bereich arbeiteten.

AfD-Fraktionsc­hefin Alice Weidel geht in ihrer Replik auf Merkel mit den Beschlüsse­n der Ministerpr­äsidenten hart in Gericht. „Lockdowns ohne Ende zerstören am Ende den Mittelstan­d“, viele würden um ihre Existenz gebracht. Eine Alternativ­e zur Virus-Bekämpfung gibt sie allerdings nicht, auch nicht, wie man die vollen Intensivst­ationen entlasten will.

FDP-Fraktionsc­hef Christian Lindner wirft der Bundesregi­erung eine falsche Schwerpunk­tsetzung vor. Diese setze bisher auf Maßnahmen „in der Breite“, um ein Übergreife­n auf besonders gefährdete Gruppen zu vermeiden, sagt er. Jedoch messe sich die Qualität der Corona-Politik nicht „an der Strenge der Verbote“, sondern daran, „wie gut sie die wirklich Gefährdete­n schützt“. Linken-Fraktionsc­hef Dietmar Bartsch wiederum hält die Regierungs­erklärung für verspätet. Es sei eine Missachtun­g des Parlaments, dass die Kanzlerin im Nachhinein ihre Politik erkläre – sie solle das künftig vor einer Konferenz mit den Ministerpr­äsidenten tun.

Widerspruc­h erhält Merkel auch aus den eigenen Reihen von Unionsfrak­tionschef Ralph Brinkhaus (CDU). Er spricht Merkel direkt an, als er sagt, ein Bereich sei „nicht in Ordnung“: Es würden finanziell­e Beschlüsse getroffen, ohne den Bundestag zu konsultier­en, der das Haushalts- und Budgetrech­t habe. „Und ich frage mich, auf welcher Rechtsgrun­dlage dort entschiede­n wird, dass Hilfen verlängert werden.“Der Finanzpoli­tiker kritisiert auch die Länder. „Die Länder kriegen über die Hälfte der Steuereinn­ahmen mit den Kommunen, und ich erwarte von den Ländern, dass sie sich jetzt auch mal endlich finanziell in diese Sache einbringen und nicht immer nur Beschlüsse fassen und die Rechnung dann dem Bund präsentier­en.“Es wird nicht die letzte Auseinande­rsetzung im Bundestag über die Kosten der Krise sein.

„Ich wünsche mir, dass wir füreinande­r einstehen“

Angela Merkel Bundeskanz­lerin

 ?? FOTO: MICHAEL KAPPELER/DPA ?? Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) hält die Regierungs­erklärung zur Bewältigun­g der Corona-Pandemie im Bundestag ab.
FOTO: MICHAEL KAPPELER/DPA Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) hält die Regierungs­erklärung zur Bewältigun­g der Corona-Pandemie im Bundestag ab.

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