Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Endlich faire Smartphones
Den wahren Preis für unsere billigen digitalen Spielzeuge zahlen Arbeiter in Afrika und China. Auch die Umwelt leidet. Doch es gibt Alternativen, die sowohl nachhaltig als auch technisch konkurrenzfähig sind.
Mein gutes Gewissen kommt mit UPS. In sechs verschiedenen Sprachen steht darauf: „Hier bin ich.“Und: „Ich bin für dich gemacht.“Und so oft „Change“wie in einer Kampagne für Barack Obama. In der länglichen Pappschachtel liegt mein neues Smartphone samt Anleitung. Dabei liegt anstelle von Ladegerät und Kopfhörern ein kleiner Schraubenzieher. Für das, was angeblich alle wollen: den Akku ganz einfach – und günstig – selbst austauschen, wann immer er erschöpft ist. Oder das Display, wenn es splittert. Oder eine neue Kamera einbauen, wenn die alte den Ansprüchen nicht mehr genügt.
Dass das in modernen Geräten grundsätzlich nicht möglich ist, wird häufig beklagt. Doch die Hersteller haben allen Grund, geschlossene Systeme zu bevorzugen, in denen alles miteinander verlötet und verklebt ist. Das liegt weniger daran, dass die Geräte so optimal gegen Staub und Wasser geschützt werden können. Und mehr daran, dass man so keine lästige Lagerhaltung für Ersatzteile betreiben muss. Vor allem aber führt es dazu, dass sie uns Kunden schon beim kleinsten Defekt ein neues Gerät verkaufen können. Die alten, bei denen sich vielleicht nur ein Kabel gelockert hat, wandern zu Millionen in Schubladen, anstatt repariert oder recycelt zu werden.
Für die Produzenten geht die Rechnung auf. Der Weltmarkt für Smartphones ist zwar umkämpft, aber in diesem Wettbewerb zählt nur das Verhältnis von Leistung und Preis. Die andere Dimension von Qualität, die anderswo längst zum Megatrend geworden ist, spielt keine Rolle: Nachhaltigkeit interessiert kaum einen Nutzer. Wenn ein Gerät kaputt ist, wird eben ein neues gekauft. Selbst das Fluchen darüber ist oft halbherzig. Schließlich ist das Smartphone zum Statussymbol avanciert – und das neue Modell schlanker, schicker, schneller.
Deshalb stört sich kaum jemand an der fahrlässigen oder gar bewussten Begrenzung des Lebenszyklus. Die wenigsten engagieren sich für Reparierbarkeit oder jahrelange Sicherheitsupdates für jedes Gerät. Wir als Kunden nehmen diese Zustände hin. Deshalb machen auch die Hersteller größtenteils weiter wie bisher; obwohl Apple sich bemüht und Gigaset stolz mit Endmontage in Bocholt wirbt. Zwei Start-ups jedoch gehen aufs Ganze.
Vorreiter ist seit 2013 die niederländische Garagenfirma Fairphone, gegründet von Bas van Abel. Der wollte eigentlich bloß die Zustände bei der Smartphone-Produktion anprangern. Dass ihn Fans weltweit dazu drängten, selbst ein besseres Gerät zu produzieren, habe ihn viel Schlaf gekostet, erzählt er. Doch seine Freundin habe ihn aufgefordert: „Sei kein Weichei!“Also wagte er es.
2014 zogen die hessischen Brüder Carsten und Samuel Waldeck nach. Heute beschäftigt ihre Firma Shift 32 Mitarbeiter im Dörfchen Falkenberg bei Kassel sowie zehn in der eigenen Manufaktur in China. Beide Anbieter können keine Nachhaltigkeit bis ins allerletzte Detail garantieren – aber doch so viel wie eben möglich. Dass das gelingt, bezeugen diverse Auszeichnungen und Siegel. Ihr Fokus sei die „Maximierung von Sinn statt Gewinn“, betonen die Waldeck-Brüder. Fairphone will „andere Unternehmen inspirieren, mit ihnen kollaborieren und ihnen helfen, unserem Beispiel zu folgen“. Ziel sei, die Branchenriesen dazu zu bringen, anders zu produzieren.
Der Weg dorthin ist noch lang, aber das Erreichte dennoch imposant. Die ersten Geräte beider Hersteller waren gut gemeint, aber kaum konkurrenzfähig. Das hat sich mit den neuesten Modellen geändert, wie einige Tests belegen. Jedoch haben die fairen Smartphones ihren Preis: Sie kosten ab 400 Euro aufwärts – rund doppelt so viel wie Geräte mit vergleichbarer Technik.
Ich habe diesen Aufpreis nach einigem Zögern bezahlt und mir nach dem
Exitus meines x-ten Billig-Smartphones ein Fairphone 3 zugelegt. Denn wer Wandel will, darf nicht nur Reden schwingen, sondern muss auch seinen Beitrag leisten. Über wirtschaftliche Revolutionen stimmt man bequem mit dem eigenen Geldbeutel ab.
In diesem Fall ist das etwas schwieriger als gewohnt. Die großen Elektronikmärkte führen keine Geräte der beiden Kleinst-Firmen. Mangels Nachfrage kein Angebot – und ohne Angebot kaum Chancen auf größere Nachfrage. Doch Wachstum klappt auch in der Nische. Shift hat seit seiner Gründung 2014 rund 50.000 Geräte verkauft, Tendenz steigend. Bei Fairphone waren es bis 2019 rund 220.000; dieses Jahr sollen weitere 110.000 dazukommen. Einige Kunden begeistert der Bastelaspekt, viele sorgen sich um den ökologischen und sozialen Preis des Smartphone-Verbrauchs.
Denn darin werden unter anderem Seltene Erden verbaut, spezielle Metalle, gefördert vor allem in China unter großen Risiken für Menschen, Tiere und Umwelt. Gold, Wolfram und Coltan gelten sogar als „Konflikt-Rohstoffe“, abgebaut etwa in der Demokratischen Republik Kongo. Unter teils schlimmsten Bedingungen von Männern, Frauen und Kindern. Befehligt von Warlords, denen Zivilisten und Umweltschäden egal sind. Mit einem Teil des Kaufpreises der meisten digitalen Spielzeuge werden kriminelle Drogen- und Waffengeschäfte, zum Teil auch komplette Kriege finanziert.
Sogenannte Blutdiamanten sind aus demselben Grund verpönt. Doch für Missstände im Diamantenhandel trägt Otto Normal keine Schuld. Mittelbare Verantwortung für die Missstände bei der Smartphone-Produktion aber tragen wir sehr wohl. Wer sich für ein Gerät der Start-ups entscheidet, trifft mehr als eine symbolische Entscheidung für eine Idee. Er unterstützt konkret verantwortungsvollen Rofstoffabbau und fairen Handel, Bemühungen um Recycling sowie angemessene Arbeitsbedingungen für die Fließbandarbeiter in China, an denen per se kein Weg vorbeiführt.
Und vielleicht zahlt er am Ende gar nichts drauf, weil sein Gerät fünf Jahre lang gut benutzbar bleibt.
Faire Smartphones haben ihren Preis: Sie kosten ab 400 Euro aufwärts