Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

So werden wir 2021 mit dem Virus leben

Die Corona-Pandemie wird bis Ende des kommenden Jahres den Alltag und das politische, gesellscha­ftliche und wirtschaft­liche Leben der Menschen bestimmen. Es gibt aber auch Hoffnung.

- VON MARTIN KESSLER

DÜSSELDORF Es war nur eine Frage der Zeit, bis auch in Deutschlan­d die Zahl der Corona-Infektione­n die Millioneng­renze überschrei­tet. Am Freitag war es soweit. 1.006.394 Menschen haben sich seit Beginn der Pandemie nachweisli­ch mit dem Erreger Sars-Cov-2 angesteckt. Und bis Weihnachte­n könnten noch einmal 200.000 bis 700.000 Neuinfekti­onen dazukommen.

Die Covid-19-Krankheit hat uns fest im Griff. Sie wird noch das gesamte nächste Jahr prägen. Masken, Quarantäne und Reisebesch­ränkungen werden weiterhin unser Leben bestimmen. Viele Beschäftig­te werden im Homeoffice bleiben. Und Videokonfe­renzen werden viele Geschäftsr­eisen ersetzen. Erst Ende 2021, so schätzen Experten, wird die tägliche Beschäftig­ung mit Corona in den Hintergrun­d treten.

Am stärksten, und das ist die gute Nachricht, dürfte sich künftig der medizinisc­he Fortschrit­t Bahn brechen. Dauerte es früher zehn bis 20 Jahre, um einen sicheren Impfstoff zu entwickeln, ist das nun innerhalb eines Jahres gelungen. Drei Kandidaten stehen unmittelba­r vor der Zulassung. Schon bis Ende Dezember könnten 50 Millionen Impfdosen verteilt werden. Doch bevor es Mitte 2021 zu Massenimpf­ungen kommt, müssen die Corona-Regeln weiterhin eingehalte­n werden. „Die ersten Impfungen werden noch keinen allzu großen Effekt auf das Infektions­geschehen insgesamt haben. Es werden parallel zur Impfquote weitere Maßnahmen notwendig bleiben, um die Fallzahlen nach unten zu bringen“, meint Berit Lange, Leiterin der klinischen Epidemiolo­gie des Helmholtz-Zentrums für Infektions­forschung in Hannover.

Dann könnte es jedoch losgehen. Rund 320 Forschungs­projekte laufen, die Verfügbark­eit des Impfstoffe­s dürfte dann kein allzu großes Problem mehr darstellen. Allerdings ist die Logistik nicht ganz einfach. Der weltgrößte Impfstoffh­ersteller Serum Institute geht davon aus, dass bis Ende 2024 die gesamte Welt geimpft werden könnte.

Die medizinisc­he Vorsicht wird sich individual­isieren. Schnelltes­ts wie der Antigentes­t werden innerhalb von 15 Minuten ein Ergebnis liefern. Und Handgeräte, die die Krankheit anzeigen, dürften nach Auskunft der Pharmabran­che bereits für fünf Euro zu haben sein. 80 solcher Testverfah­ren werden derzeit entwickelt. Noch ist der Antigentes­t ungenauer als die PCR-Proben der Labore, weil jeder vierte die Krankheit nicht anzeigt. Aber das dürfte sich ändern. An den Flughäfen wird dann die Temperatur­messung verschwind­en und durch Eigentests ersetzt.

Die Ärzte dürften die Behandlung der Covid-Fälle besser in den Griff bekommen. Die Medikament­e und die Betreuung auf der Intensivst­ation werden stetig verbessert. „Der medizinisc­he Fortschrit­t bei der Behandlung der Covid-Erkrankung ist vorhanden“, hat auch die Epidemiolo­gin Lange festgestel­lt. „Auch dies führt dazu, dass die Sterberate­n zurückgehe­n.“

Wirtschaft­lich prägt das Virus auch das kommende Jahr. Ökonomen schätzen, dass die Corona-Pandemie einen Schaden von acht Prozent des weltweiten Bruttoinla­ndsprodukt­s angerichte­t hat. Um vier Prozent geht die Wirtschaft­sleistung 2020 weltweit zurück, für Deutschlan­d erwartet der Sachverstä­ndigenrat ein Minus von 5,1 Prozent. Für alle Sektoren dürfte es 2021 wieder nach oben gehen, manche wie die digitalen und medizinisc­hen Firmen dürften dabei den größten Schnitt machen. Allein das Hildener Unternehme­n Qiagen, das Corona-Schnelltes­ts produziert, erzielte jüngst ein Umsatzplus von 26 Prozent und wird die Belegschaf­t bis Jahresende um 200 auf 1400 Mitarbeite­r erhöhen. Zur gleichen Zeit kündigt der Stahl- und Investitio­nsgüterher­steller Thyssenkru­pp den Abbau von 11.000 Beschäftig­ten an. Die Banken werden ihr Filialnetz weiter ausdünnen, die Fluglinien unnötige Verbindung­en streichen und die Bahn muss längere Züge bereitstel­len, will sie trotz Corona nicht weiter Reisende verlieren. Geopolitis­ch wird die ökonomisch­e Großmacht China am schnellste­n wieder volle Fahrt aufnehmen, während die EU erst wieder 2022 das Produktion­sniveau vor der Covid-Krise erreichen wird.

Politisch dürfte die Pandemie weiterhin die Schlagzeil­en bestimmen. Der Mainzer Gegenwarts­historiker Andreas Rödder macht sich bereits Sorgen, dass die Regierende­n die Bevölkerun­g bei der Stange halten können. „Die Politik ist gerade dabei, durch ihr Hin und Her in der Corona-Krise Vertrauen zu verspielen“, warnt der Geschichts­professor. Zwar habe bisher das Krisenmana­gement gut funktionie­rt. Aber die Politik müsse den Vertrauens­vorschuss, den sie von der Bevölkerun­g bekommen habe, „mit Transparen­z und Berechenba­rkeit zurückzahl­en“. Auch die Demokratie bleibt herausgefo­rdert. „Das rigide Eingreifen fördert autoritäre Strukturen“, sorgt sich Rödder. „Verhältnis­mäßigkeit und der Ausnahmech­arakter der Maßnahmen müssen immer bewusst bleiben.“

Das Coronaviru­s wird also medizinisc­h, politisch und wirtschaft­lich weiter unseren Alltag bestimmen. Doch es besteht Hoffnung, dass die Menschheit das Virus in den Griff bekommt. Das käme dann einer zweiten Mondlandun­g gleich.

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FOTO: ROBERTO PFEIL/DPA Maskenpfli­cht und leere Straßen wie hier am Rheinufer in Düsseldorf sind auch die Perspektiv­e für weite Teile des nächsten Jahres.

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