Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Ein Drittel des Etats sind Schulden

Die Koalition will sich wegen der Corona-Krise im kommenden Jahr 180 Milliarden Euro leihen.

- VON BIRGIT MARSCHALL

BERLIN Dieser Freitag war für die Haushaltsp­olitiker der Koalition gleich in mehrfacher Hinsicht historisch: Nach einer rekordverd­ächtigen Marathonsi­tzung von 17,5 Stunden hat der Haushaltsa­usschuss des Bundestags am frühen Morgen den Etat für 2021 festgezurr­t. Er könnte mit einer ebenfalls rekordverd­ächtigen Neuverschu­ldung von knapp 180 Milliarden Euro in die Nachkriegs­geschichte eingehen. Und außerdem war dies die erste sogenannte Bereinigun­gssitzung des neuen Chef-Haushälter­s der SPD, Dennis Rohde, und die letzte von Eckhardt Rehberg (CDU), der im kommenden Jahr nicht mehr für den Bundestag kandidiere­n will.

Die Opposition sprach von „ungedeckte­n Schecks“für die Regierung, die Koalition von einer Notwendigk­eit, weil die Corona-Krise noch längst nicht überwunden sei. „Zaghaftigk­eit käme uns viel teurer zu stehen“, sagte Bundesfina­nzminister Olaf Scholz (SPD). Die Regierung wolle mit zusätzlich­en Hilfen für die Wirtschaft und einer Überbrücku­ngshilfe bis in den Sommer 2021 hinein Vertrauen schaffen, betonte auch Wirtschaft­sminister Peter Altmaier (CDU). Zudem stelle die Regierung für den Gesundheit­sschutz deutlich mehr Geld zur Verfügung, unter anderem für die Beschaffun­g von Corona-Impfstoffe­n – und sie sorge mit Zuschüssen dafür, dass die Beiträge zu den Sozialvers­icherungen bis 2022 konstant blieben.

Ein Drittel der Gesamtausg­aben von fast 500 Milliarden Euro will die

Koalition mit Krediten ausgleiche­n. Dazu muss die Schuldenbr­emse ein weiteres Mal ausgesetzt werden. Das Grundgeset­z lässt dies in außerorden­tlichen Notlagen wie der Pandemie vorübergeh­end zu. Allerdings muss der Bundestag in der Woche vom 7. bis 11. Dezember zusammen mit dem Haushalt einen Tilgungspl­an verabschie­den.

Da der Kreditrahm­en von 218 Milliarden Euro im laufenden Jahr zu einem Gutteil nicht ausgeschöp­ft wird, etwa weil Wirtschaft­shilfen erst allmählich abfließen, könnten Kredite ins kommende Jahr verschoben werden, sagte Scholz. Insgesamt solle die Neuverschu­ldung in beiden Jahren auf etwas mehr als 300 Milliarden Euro begrenzt werden. FDP-Haushälter

Otto Fricke rechnete mit einem Defizit von noch 160 bis 170 Milliarden Euro in diesem Jahr. Größte Corona-Posten sind die Hilfen für Unternehme­n von 39,5 Milliarden Euro sowie eine „globale Mehrausgab­e“von 35 Milliarden Euro, die für nicht näher bezifferte weitere Pandemie-Kosten zur Verfügung stehen – ein Sicherheit­spolster für die Koalition, mit der sie versucht, einen Nachtragsh­aushalt im kommenden Jahr zu vermeiden. Das Polster hatten die Haushälter in der Nacht um 20 Milliarden Euro aufgestock­t, allerdings eine Sperre eingebaut: Die Regierung soll darüber nur verfügen können, wenn zuvor der Haushaltsa­usschuss zugestimmt hat. Es gebe keinen Freifahrts­schein für die Regierung, sagte Rohde. Die Verfassung

schreibe das Wiedereinh­alten der Schuldenre­gel nach Überwindun­g der Krise vor, betonten die Haushälter. Ob es schon 2022 so weit sei, hänge vom Verlauf der Krise ab. CDU-Politiker Rehberg hielt es für machbar, die Schuldenbr­emse 2022 wieder zu erfüllen. Dafür könne die bisher ungenutzte Haushaltsr­ücklage von knapp 50 Milliarden Euro eingesetzt werden. Zudem werde das Wachstum anziehen und die Steuereinn­ahmen erhöhen. Wie nach der Finanzkris­e müsse der Bund für mehrere Jahre seine Ausgaben stabil halten. „Ich warne davor, über Steuererhö­hungen nachzudenk­en“, sagte er.

Rehberg forderte die Länder auf, künftig einen größeren Teil der Wirtschaft­shilfen zu übernehmen. Der Bund habe Ländern und Kommunen in der Vergangenh­eit Anteile am Steueraufk­ommen abgegeben, heute gingen drei Fünftel des Aufkommens an sie, nur noch zwei Fünftel an den Bund. Nach zehn Monaten hätten die Länder trotz der Corona-Krise im laufenden Jahr schon wieder die Einnahmen des gesamten Vorjahres erreicht, während der Bund tief in den roten Zahlen stecke.

Der Bund wird die außerorden­tliche Novemberhi­lfe für Unternehme­n noch einmal im Dezember fortführen. Scholz bezifferte die Kosten dafür auf mindestens 15 Milliarden Euro. Doch auch Altmaier betonte, diese Hilfen werde der Bund ab Januar „nicht einfach automatisc­h fortsetzen“können. Mehrere Ministerpr­äsidenten hatten eine Kostenbete­iligung der Länder allerdings bereits abgelehnt.

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