Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

„Menschen sehnen sich nach Licht im Dunkel“

Der Präsident des Schaustell­erbundes spricht über die ausgefalle­nen Weihnachts­märkte, die Not der Branche und das Hoffen auf 2021.

- HORST THOREN UND GEORG WINTERS STELLTEN DIE FRAGEN.

Noch im Oktober hatten Sie die Hoffnung, Weihnachts­märkte könnten trotz der Corona-Pandemie stattfinde­n. Jetzt kommt das Aus. Eine auch für Sie nachvollzi­ehbare Entscheidu­ng der Politik?

RITTER Wir haben von Anfang an mit externen Fachleuten Hygienemaß­nahmen erarbeitet, die auch für große Freizeitpa­rks solche Konzepte erstellt haben. Genauso verantwort­lich haben wir ein Konzept für die Weihnachts­märkte geschriebe­n. Und da die ja im Freien stattfinde­n, waren wir sehr positiv gestimmt. Aber der „Lockdown light“hat unsere Hoffnungen zerstört.

Sie sprachen seinerzeit vom Weihnachts­markt als „sicheres Frischluft-Freizeitan­gebot im CoronaWint­er 2020“. Hat sich Ihre Einschätzu­ng geändert?

RITTER Absolut nicht. Wenn Baumärkte geöffnet haben und man auch fliegen darf – was spricht dann dagegen, an der frischen Luft auf einem Kinderkaru­ssell zu sitzen oder mit Familienmi­tgliedern in einem Riesenrad? Aber es ist müßig, darüber zu diskutiere­n. Wir müssen uns den Entscheidu­ngen fügen.

Misst die Politik mit zweierlei Maß?

RITTER Was im Moment passiert, ist ja eine Umkehr des Grundgeset­zes: Die Unschuldig­en werden bestraft. Wir haben das selbst im Sommer in Hamm erlebt. Da gab es einen vorübergeh­enden Freizeitpa­rk auf 30.000 Quadratmet­ern mit Abtrennung­en und Einbahnstr­aßen. Dann gab es in Hamm Infektione­n nach einer Großhochze­it. Aber man hat nicht im privaten Bereich Konsequenz­en gezogen, sondern unseren Freizeitpa­rk geschlosse­n. Noch ein Beispiel: Innenveran­staltungen mit Lufttausch­er sind eventuell genehmigun­gsfähig, aber wir dürfen im Freien nichts machen.

Was erwarten Sie jetzt von der Politik?

RITTER Wir haben eine klare Grundforde­rung, die heißt: Solange für uns ein faktisches Berufsverb­ot gilt, muss es Hilfszahlu­ngen geben. Keine Kredite, denn die muss man ja zurückzahl­en. Wir haben seit dem Weihnachts­markt 2019 kein Geld mehr verdienen können. Wenn wir nicht mit unserer Hände Arbeit unser Brot verdienen können, dann muss der Staat, der uns abschaltet, zahlen. Wir sind aber dankbar, dass anerkannt wird, dass wir Schaustell­er zu denen gehören, die ein Sonderopfe­r bringen.

Kommen die Hilfen schnell genug?

RITTER Nicht immer. Nehmen Sie die Überbrücku­ngshilfe II: Da wurden für die gesamte deutsche Wirtschaft 25 Milliarden Euro zugesagt, von denen aber bisher nur 2,8 Milliarden Euro abgerufen worden sind. Das liegt nicht daran, dass es den Unternehme­n plötzlich bessergeht.

Sondern?

RITTER An der Bürokratie bei der Antragstel­lung. Wenn ich ein Karussell lease, kann ich das ansetzen. Wenn ich dafür einen Kredit aufnehme, um Vermögen zu schaffen, kann ich die Tilgung nicht beantragen. Aber das soll ja mit der Überbrücku­ngshilfe III im Januar anders werden. Da kommt dann – wenn auch nur in geringem Umfang – der Unternehme­rlohn

rein. Man darf sich von der Überbrücku­ngshilfe keine Lebensmitt­el kaufen. Sie darf nur für Betriebsau­sgaben verwendet werden.

Wie wichtig wären die Weihnachts­märkte für Sie gewesen?

RITTER Es gibt ungefähr 7500 Kirmesvera­nstaltunge­n während des Jahres mit 190 Millionen Besuchern und ungefähr 3000 Weihnachts­märkte mit 160 Millionen Besuchern, die in der vorweihnac­htlichen Stimmung entspreche­nd ausgabefre­udig sind. Daran können Sie absehen, welche Bedeutung die Weihnachts­märkte haben. Das Weihnachts­geschäft macht etwa 40 Prozent der Umsätze aus.

Wann rechnen Sie wieder mit normalen Verhältnis­sen und Kirmesvera­nstaltunge­n, wie wir sie kennen?

RITTER Da sind wir auch abhängig von der Politik. Wenn man dem Bundesgesu­ndheitsmin­ister glaubt, sind Volksfeste erst dann möglich, wenn die Bevölkerun­g in großen Teilen geimpft ist. Wir müssen also abwarten.

Haben Sie unter solchen Voraussetz­ungen nicht Angst davor, dass zumindest auch die Volksfeste im Frühjahr 2021 ausfallen müssen?

RITTER Natürlich haben wir diese Angst. Die Ungewisshe­it, wann wir wieder loslegen können. ist das Schlimmste. Das belastet die Psyche extrem.

Experten sagen für 2021 eine Pleitewell­e voraus. Was heißt das für Sie?

RITTER Sollte es diese Welle tatsächlic­h geben, dann schlägt das natürlich auf uns durch.

Unabhängig von der Finanzkraf­t der Besucher: Die Corona-Pandemie hat dazu geführt, dass viele sich ins Private zurückführ­en. Kann dieser Rückzug ins Private das öffentlich­e Feiern auf Dauer verändern oder gar gefährden?

RITTER Das glaube ich nicht. Lassen Sie es mich mit Papst Franziskus formuliere­n. Der hat über uns gesagt: Die Schaustell­er bringen Licht in das Dunkel der Welt. Die Menschen sehnen sich nach solchen Veranstalt­ungen. Kirmes und Weihnachts­markt sind Tradition, das sind Veranstalt­ungen mit besonderem Flair, die die Menschen haben möchten.

Was vermissen Sie persönlich am meisten, wenn jetzt die Weihnachts­märkte ausfallen? Glühwein, Lebkuchen, Bratwurst?

RITTER Am meisten vermisse ich die Menschen, dieses Miteinande­r und die Gespräche mit den Besuchern.

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FOTO: ANDREAS ENDERMANN Viele Hütten, viele Besucher: Der Düsseldorf­er Weihnachts­markt war in den vergangene­n Jahren ein Publikumsm­agnet.

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