Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
In seinen späten Jahren dirigierte Maestro Celibidache fast nur mit seinen Augenbrauen
verfolgt eine stilvolle Idee. Man erlebt das stets zu Neujahr bei den Wiener Philharmonikern, wenn sie Walzer spielen. Da ist jeder Schlag im Dreivierteltakt ein Mysterium, an dem ein Dirigent auch scheitern kann. Bei einem Johann-Strauß-Walzer empfiehlt es sich für Dirigenten, sofern er in Wien aufgeführt wird, sich ans dortige Orchester dranzuhängen und nicht die Welt neu erfinden zu wollen. Andere Komponisten, andere Regeln: In den ausgetrockneten Klangebenen von Igor Strawinsky muss der Dirigent manchmal nur stur taktieren. Im „Sacre“sollte er die häufigen Wechsel irregulärer Taktarten tatsächlich auswendig lernen, sonst fliegt ihm die Bude um die Ohren.
Jeder große Maestro entwickelt eine höchstpersönliche Hand-Schrift. Wer ihm im Fernsehen zusieht, der weiß auch bei ausgeschaltetem Ton, wie es klingt. So war es bei Leonard Bernstein, für den Dirigieren ein Liebesakt war. Oder bei Dimitri Mitropoulos, über den die „New York Times“schrieb, dieser Mann erinnere an einen „byzantinischen Mönch, der wie wahnsinnig Martinis schüttelt“. Oder bei Herbert von Karajan, der mit geschlossenen Augen klarmachte, dass er alles geprobt hatte und nun, im Konzert, die Musik in seinem Inneren genussvoll nachbetete. Oder bei Günter Wand, dessen magistrale Sachlichkeit eine Glut bei Schubert erzeugte, die bis heute unerreicht ist.
Der Nachwuchs gibt viel Grund zur Hoffnung. Er denkt positiv und hat doch einen Hang zum Vabanque, so wie Gustavo Dudamel, der superbegabte Venezolaner. Teodor Currentzis kultiviert dagegen etwas sehr das Luziferische. Er übertreibt seine Individualität. Aber auch er ein Jung-Genie, zweifellos.
Dirigenten haben den tollsten Beruf der Welt. Sport und Musik, ein ganzes Leben lang. Deshalb werden sie oft steinalt oder sterben den schönsten Tod: Herzinfarkt mitten in der Aufführung. Alt wurde auch Sergiu Celibidache, der in seinen kranken letzten Jahren die Münchner Philharmoniker sozusagen nur mit den Augenbrauen dirigierte. Das reichte trotzdem für erhebende Abende – wenige Zeichen, höchste Wunder.