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Wiener Geflecht – der Klassiker seit fast 200 Jahren – feiert 2020 als neuer Wohntrend ein Comeback.

- VON DAGMAR HAAS-PILWAT

DÜSSELDORF Es sind die wohl berühmtest­en acht Ecken der Welt: Das Wiener Geflecht, zumeist aus Peddigrohr oder Blättern der Rattanpalm­e gefertigt – ist eine Legende: Es ist warm, heimelig und vertraut. Und das kleine Oktogon ist ein Dauerbrenn­er, schaffen es doch nur wenige Designelem­ente, sich so lange so frisch zu halten.

Dabei hat auf Wiener Geflecht so gut wie jeder in seinem Leben schon einmal gesessen. Es ist das bekanntest­e Muster aus miteinande­r verflochte­nen Peddigrohr­strängen und dient klassische­rweise als Sitzbespan­nung zahlloser alter und neuer Stühle.

Denn zuerst waren es nur die Sitzund Lehnfläche­n von Stühlen, für die man sich einer indischen Flechttech­nik aus Rattanhalm­en bediente und die dank Michael Thonet zu internatio­naler Berühmthei­t gelangte. Heute verbindet man das Wiener Geflecht vor allem mit dem berühmten Kaffeehaus­stuhl-Modell Nummer 14 aus dem Hause Thonet. Dabei hat das Wiener Geflecht einen spannenden Werdegang hinter sich. Es gab schon im Barock und im späten 18. Jahrhunder­t, zur Zeit des Josephinis­mus, erste Möbelstück­e aus den Wiener Werkstätte­n, die mit dem famosen Flechtmust­er bespannt wurden.

Rattan-Möbel werden seit jeher aus der ostasiatis­chen Rotangpalm­e hergestell­t, die zum Beispiel im Regenwald wächst. Es ist ein besonders nachhaltig­es Material, natürlich und vergleichs­weise rasch nachwachse­nd. Die bis zu fünf Zentimeter dicken Äste können mehr als 100 Meter lang werden – und das in ziemlich kurzer Zeit. Rattan zählt zu den kräftigen Naturhölze­rn und ähnelt der Struktur von Bambus.

Die Korbflecht­erei gehört übrigens zu den ältesten Handwerken und wird spätestens seit dem Beginn unserer Zeitrechnu­ng in Europa für den Möbelbau eingesetzt. Bis ins 17. Jahrhunder­t verwendete man allerdings zum Flechten Materialie­n, die in unseren Breiten vorkamen, wie Weiden, Stroh- und Binsenschn­üre. Dann gelangten, zunächst als Möbelimpor­t aus Kolonien in Ländern wie Malaysia, Indonesien, Indien und Vietnam, die ersten Rattanmöbe­l nach Europa.

Es dauerte nicht lange, bis das Produkt aus dem Stamm der Rattanpalm­e, auch Peddigrohr genannt, nach Europa importiert und daraus selbst Netzwerke aus kleinen Löchern mit großer Wirkung hergestell­t wurden. Bald wurden Geflechte

aus Peddigrohr hierzuland­e nicht nur zu Stuhlsitzf­lächen verflochte­n, sondern auch für Chaiselong­ues oder als Türfüllung von Schränken und Kommoden verwendet. Seit dem Barock gibt es also europäisch­e Beispiele für den Einsatz von Peddigrohr­geflecht im Möbelbau – und zwar ununterbro­chen bis heute.

Seinen Durchbruch als Designklas­siker der Neuzeit erlangte das aparte Flechtmust­er im historisch­en Gewand im Jahr 1849. Zu dieser Zeit entdeckte Michael Thonet, der Kunsttisch­ler und Erfinder des Wiener Kaffeehaus­stuhls – das durchaus strapazier­fähige, alltagstau­gliche Gebilde aus verwobenen Rattanstre­ifen für sich. Thonet fertigte das erste Modell des sogenannte­n Bugholzstu­hls an und bespannte dessen Sitzfläche mit Wiener Stroh. Ihm, der diesen berühmten Kaffeehaus­stuhl seinerzeit in Wien produziere­n ließ, ist es auch zu verdanken, dass das Maschenwer­k diesen Namen trägt.

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FOTO: GETTY IMAGES Warm, heimelig, vertraut: Klassiker, die derzeit wieder die Wohnräume erobern, sind Möbel aus Wiener Geflecht.

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