Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
„Wir müssen vom Reden ins Handeln kommen“
Um die Nachhaltigkeitsziele zu erreichen, müssen alle mitwirken – Unternehmen ebenso wie die Menschen, erklärt Dr. Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Um faire Produktion zu ermöglichen, sei auch ein Liefe
Düsseldorf steht mit den Nachhaltigkeitswochen in diesen Tagen mit zahlreichen Aktionen im Mittelpunkt. Sie haben dieses Thema initiiert. Warum fiel die Wahl auf die NRW-Landeshauptstadt?
DR. GERD MÜLLER Düsseldorf ist die Modehauptstadt Deutschlands und steht wie kaum eine andere Stadt für Nachhaltigkeit. In diesem Jahr wurde sie erneut zur Fairtrade-Town ernannt – eine tolle Auszeichnung. Was mich besonders freut: 150 Super- und Drogeriemärkte, mehr als 60 Gastronomiebetriebe und Kantinen und über 50 Einzelhändler bieten in Düsseldorf fair gehandelte Produkte an. Das zeigt: Nachhaltigkeit ist ein Megatrend! Das gilt auch für Mode. Viele Firmen gehen voran, zum Beispiel Jack Wolfskin, Hopp oder Hess Natur. Faire Mode kann man übrigens leicht am Grünen Knopf erkennen, dem neuen staatlichen Textilsiegel.
Warum haben Sie die Initiative ins Leben gerufen?
MÜLLER Wir müssen vom Reden ins Handeln kommen. Deswegen zeigen wir bei den Nachhaltigkeitswochen gemeinsam mit Unternehmen wie Lidl, Kaufland oder Biomarkt, dass faire Produktion möglich ist und wo man diese Waren in Düsseldorf kaufen kann. Nehmen Sie Kaffee: Der wird in Deutschland geröstet und kommt für vier bis sechs Euro das Päckchen auf den Markt. Für die Bohnen erhalten die Bauern nur 25 Cent. Das habe ich selbst in Westafrika gesehen. Und weil das kaum zum Überleben reicht, müssen hunderttausende Kinder mitarbeiten. Das ist pure Ausbeutung. 50 Cent mehr pro Päckchen würden schon ausreichen. Dadurch muss der Kaffee in Deutschland aufgrund der Handelsspannen nicht gleich teurer werden.
Wie sieht es denn beim Thema Nachhaltigkeit in Deutschland generell aus? Setzen sich Nachhaltigkeitsthemen in der Wirtschaft und Bevölkerung allmählich durch?
MÜLLER Absolut! Die Coronakrise zeigt uns ja: Wir können nicht zurück zur alten Normalität der Globalisierung. Das wäre ein Bumerang, der auf uns zurückschlägt. Was wir brauchen, ist ein neues Wachstumsmodell, ohne Ausbeutung von Mensch und Natur. Hier sehe ich bei vielen Unternehmen – vom Dax-Konzern bis zum Mittelständler – einen Bewusstseinswandel. Es kann aber nicht sein, dass andere Firmen ohne Rücksicht weiter produzieren und sich so Wettbewerbsvorteile verschaffen. Weltweit schuften 75 Millionen Kinder unter ausbeuterischen Bedingungen in Textilfabriken, Steinbrüchen oder auf Kaffeeplantagen – auch für unsere Produkte. Deswegen fordere ich, wie auch 90 renommierte Unternehmen und viele gesellschaftliche Initiativen, ein Lieferkettengesetz. Das sorgt dafür, dass am Anfang unserer Lieferketten grundlegende Menschenrechtsstandards eingehalten werden. ‚Made in Germany‘ steht dann nicht nur für gute Qualität, sondern auch für faire Produktion.
Der Grüne Knopf ist ein Beispiel dafür, wie der Staat mit gutem Beispiel vorangehen kann. Sind Sie mit dem bisher Erreichten beim Grünen Knopf zufrieden?
MÜLLER Ich freue mich, dass 55 Unternehmen seit dem Start im letzten Jahr mitmachen. Sie sagen mir, dass sie begeistert sind, was bisher geschafft wurde. 50 Millionen Textilien wurden im letzten halben Jahr verkauft – für jeden Geschmack und Geldbeutel. Man kann sich mittlerweile von ‚Kopf bis Fuß’ mit dem Grünen Knopf einkleiden. Es gibt T-Shirts, Socken und Sneaker. Auch Bettwäsche und sogar Zelte. Der Grüne Knopf hat sich gut am Markt etabliert. Eine unabhängige Marktbefragung kommt zu dem Ergebnis: Der Grüne Knopf ist auf dem besten Wege, eine Erfolgsgeschichte zu werden.
Das große Thema Klima genießt bereits hohe Aufmerksamkeit. Welche Entscheidungen und Verhaltensweisen werden in den nächsten Jahren ausschlaggebend sein, um einen nachhaltigen Klimawandel zu schaffen?
MÜLLER Der Klimaschutz entscheidet sich nicht nur in Europa, sondern vor allem in China, Indien und den afrikanischen Ländern. Allen voran muss Afrika der grüne Kontinent der erneuerbaren Energien werden. Die Länder brauchen dabei unsere Unterstützung, denn wir haben die Technologien dazu. Hier setzt unsere ‚Allianz für Entwicklung und Klima‘ an. 800 Partner machen schon mit – vom Dax-Konzern über Fußballbundesligisten bis zur Stadtverwaltung. Sie werden klimaneutral, indem sie Emissionen vermeiden und reduzieren und den restlichen CO2-Ausstoß mit qualitätsgeprüften Klimaschutzprojekten in Entwicklungsländern kompensieren – etwa zur Aufforstung oder dem Aufbau erneuerbarer Energien. Das geht unkomplizierter, als Sie denken. Also: Machen Sie mit!
In Deutschland werden immer noch zu viele Lebensmittel weggeworfen und viele Menschen hinterfragen auch nicht, ob Lebensmittel nachhaltig produziert werden. Was kann jeder Einzelne dagegen tun?
MÜLLER Der beste Weg ist es, auf nachhaltige Produkte zu achten. Ein Beispiel: In jedem zweiten Supermarktprodukt wie Shampoo, Margarine oder Pizza steckt mittlerweile Palmöl. Um die Plantagen möglichst billig anzulegen, brennen die Savannen und Regenwälder. Es gibt Siegel, die nachhaltiges Palmöl auszeichnen. Der nächste Schritt muss eine EU-weite Regelung zu entwaldungsfreien Lieferketten sein. Dann wäre es ausgeschlossen, dass für unsere Produkte der Amazonas abgeholzt wird. Das wäre ein Riesenschritt nach vorne! Immer nur billig – das geht am Ende auf Kosten der Natur und der Menschen.
Die Fragen stellte José Macias.