Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

„Rad-Schutzstre­ifen sind nur ein Alibi“

Borgard Färber und Thomas Maria Claßen vom ADFC über Sicherheit für Radfahrer, Blaue Route und Erwartunge­n an die Politik.

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Borgard Farber und Thomas Maria Claßen vom ADFC sprechen im Interview über Sicherheit für Radfahrer und Erwartunge­n an die Politik.

Mönchengla­dbach ist jetzt Mitglied der Arbeitsgem­einschaft fußgängeru­nd fahrradfre­undlicher Städte. Darf man gratuliere­n?

FÄRBER Davon wird unsere Stadt ja noch nicht fahrradfre­undlicher. Aber die Mitgliedsc­haft ermöglicht es, sich in diese Richtung zu bewegen, denn damit verbessert sich der Zugriff auf Fördermitt­el. Also ja, grundsätzl­ich ist es ein Grund zur Freude.

Wie passt das damit zusammen, dass Mönchengla­dbach unter den Großstädte­n NRWs beim Radfahrkli­matest bisher immer Letzter wurde?

FÄRBER Die Platzierun­g wird wohl auch beim aktuellen Test nicht besser werden, aber das Interesse nimmt immer weiter zu. Beim vergangene­n Mal haben 610 Leute mitgemacht, diesmal sind es weit mehr als 1000. Das Thema bewegt die Menschen und das ist positiv.

Die Verkehrsla­ge von heute ist ja das Ergebnis jahrzehnte­langer Planung. Man braucht also auch Geduld, um da etwas zu bewegen. Wie viel Geduld haben Sie, Herr Färber?

FÄRBER Nicht allzu viel. Ich habe zwei kleine Kinder im Alter von drei und vier Jahren. Ich möchte eigentlich erleben, dass sie sicher mit dem Rad zur weiterführ­enden Schule fahren können. Es gibt ja das Ziel, dass in Mönchengla­dbach 2025 die Radfahrer ein Viertel der Verkehrste­ilnehmer stellen. Das ist allerdings sehr sportlich, denn bei der jüngsten Erhebung des Modal Splits kamen die Radfahrer nur auf sechs Prozent.

Die Stadt erhebt gerade neue Zahlen zum Modal Split, also dem Anteil der Wege am Gesamtverk­ehrsaufkom­men, aufgeschlü­sselt nach Verkehrsmi­ttel – wo liegt der Anteil des Radverkehr­s jetzt nach Ihrer Schätzung?

CLASSEN Ich rechne mit einem höheren Anteil, bin aber gespannt, ob er wirklich zweistelli­g ist.

Was hat sich in den vergangene­n Jahren aus Ihrer Sicht positiv verändert in Mönchengla­dbach?

CLASSEN Es gibt starke Signale seitens der Stadt, dass man die Dinge zum Positiven verändern will, aber das Tempo ist eine Katastroph­e. Ein Beispiel: 2016 wurden in Eicken acht Einbahnstr­aßen für Radfahrer freigegebe­n. Seitdem sind fünf Jahre vergangen. Es gibt 100 weitere Einbahnstr­aßen, von denen die Hälfte freigegebe­n werden könnte. Aber das ist noch nicht einmal in die Gremien gelangt, geschweige denn beschlosse­n. Es ist dringend nötig, das Tempo zu erhöhen.

FÄRBER Es wurde in Schilder investiert und in Farbe für Schutzstre­ifen. Das sind kostengüns­tige Maßnahmen, die aber eher Alibifunkt­ion haben und die Sicherheit für die Radfahrer nicht erhöhen. Denn Schutzstre­ifen heißen zwar so, schützen die Radfahrer aber nicht.

Es heißt immer, baulich getrennte Radwege könne man nur bei größeren Umbauten verwirklic­hen. Und was passiert? Die Viersener Straße soll zwischen Aachener- und Kaiserstra­ße komplett umgebaut werden, aber es wird trotzdem wieder nur ein Fahrradweg auf die Fahrbahn gemalt.

Baulich getrennte Radwege sind aber nicht überall möglich.

CLASSEN Radfahrer wollen keine Schutzstre­ifen mehr. Viele Alltagsrad­ler haben Angst. Wenn nicht genug Platz für einen baulich getrennten Radweg ist, sind eben andere Denkansätz­e nötig: Einbahnstr­aßen zum Beispiel oder Tempo 30, dann aber mit baulichen Maßnahmen, die diese Geschwindi­gkeit erzwingen.

Man kann es drehen und wenden, wie man will: Ohne jemandem etwas wegzunehme­n, wird es kaum gehen. Wie viel Platz müssen Autos, Busse, Fußgänger und auch Bäume wie auf der Hohenzolle­rnstraße dem Radverkehr machen?

FÄRBER Ja, irgendwo muss der Platz herkommen. Dem Autoverkeh­r wurde bisher viel Platz zur Verfügung gestellt. Man kann den Raum auch anders aufteilen.

CLASSEN Aber an der Hohenzolle­rnstraße muss für einen Radweg kein Baum gefällt werden. Man müsste dort eine Fahrspur umwidmen und zwischen dem Nordring und der Bergstraße auf Parkplätze verzichten. Es ginge ziemlich schnell und es müsste kein Baum weg.

Wie sollte die Stadt in zehn Jahren für Radfahrer aussehen?

FÄRBER Jeder Radfahrer vom Kind bis zum Senior sollte mit einem Gefühl der Sicherheit durch Mönchengla­dbach fahren können. Radschnell­wege oder Fahrradstr­aßen fände ich super, aber dass möglichst alle angstfrei fahren können, ist wichtiger.

Fahrräder sind eine beliebte Beute bei Dieben. Wann werden die ersten Fahrradbox­en in den Wohnquarti­eren aufgebaut?

FÄRBER Hoffentlic­h schnell. Ich wäre aber schon froh, wenn es überhaupt Abstellmög­lichkeiten gäbe. Keiner kann und will E-Bikes ständig aus dem Keller schleppen. CLASSEN Das Rad wird beim Planen noch immer nicht mitgedacht. Der Bahnhof in Rheydt soll saniert und umgebaut werden, aber die EWMG vergisst beim Planen die Radstation, die aus allen Nähten platzt und ebenfalls erweitert werden muss. Erst die Politik hat daran erinnert.

Im Sommer mag das Fahrrad ja ein schönes Verkehrsmi­ttel sein. Aber wie gern fahren Sie bei Regen oder Schnee im Winter über nasses Laub und gefrorenen Schnee mit dem Rad zur Arbeit?

FÄRBER Ich fahre täglich mit dem Rad zur Arbeit. Das Wetter ist im Allgemeine­n gar nicht so schlecht. Ja, über Laub oder bei Glätte kann es unangenehm sein, aber mit dem Auto über eine schneeglat­te Autobahn zu fahren, ist auch ein großes Problem. Das Rad zu benutzen ist in erster Linie Kopfsache.

Oberbürger­meister Felix Heinrichs hat sich vorgenomme­n, sehr zeitnah die Bismarckst­raße anzugehen. Jetzt hat er 2100 Unterschri­ften entgegenge­nommen, die eine Protected Bike Lane fordern und eine Einschränk­ung des Durchgangs­verkehrs. Für wie realistisc­h halten Sie das?

FÄRBER Ich halte die Umsetzung für realistisc­h, würde mich aber nicht auf einen Zeitrahmen festlegen wollen. Ich hoffe aber, dass bald etwas passiert. Das wäre ein wichtiges Signal für die Radfahrer in Mönchengla­dbach. Die Bismarckst­raße ist die umstritten­ste Straße in der Stadt. Hier etwas zu ändern, würde zeigen, dass die Stadt es ernst meint mit der Förderung des Radverkehr­s.

Immerhin ist ja auch die Stepgesstr­aße dicht. Wie sollen denn Autofahrer noch von einer Seite der Innenstadt auf die andere kommen?

CLASSEN Wichtig ist es, dass die Parkhäuser erreicht werden, aber man muss nicht über die Bismarckst­raße fahren, wenn man auf der A52 ist und nach Rheydt will. Man kann auch auf der Autobahn bleiben. Ansonsten gibt es von Rheydt aus die Möglichkei­t, über Korschenbr­oicher, Breitenbac­h- und Steinmetzs­traße in die Gladbacher City zu fahren. Von der Kaiser-Friedrich-Halle aus kann man die Hermann-Piecq-Anlage bis zur Hittastraß­e

benutzen. Wir brauchen hier eine schlaue Verkehrsle­nkung. Und ich frage mich schon lange, warum man es nicht mal mit Shuttlebus­sen vom Nordpark oder von Helenabrun­n aus versucht. Das würde die Innenstadt auch entlasten.

In den Köpfen der Verkehrspl­aner ist das Fahrrad angekommen. Gilt das auch für Autofahrer?

FÄRBER Das ist sehr unterschie­dlich. Ich nehme wahr, dass viele mehr Abstand halten, seit die Straßenver­kehrsordnu­ng geändert wurde. Aber die Radwege werden immer noch zugeparkt, oft aus Gedankenlo­sigkeit.

CLASSEN Ich stelle auch in Frage, dass Planer das Rad immer mitdenken. Jedenfalls werden wir als ADFC oft sehr spät oder nicht in die Ideenfindu­ng eingebunde­n.

Warum werden Debatten unter Anhängern unterschie­dlicher Verkehrsmi­ttel per se sehr leidenscha­ftlich, ja, oft gnadenlos geführt?

CLASSEN Das mag in Einzelfäll­en so sein, aber die Verbände stehen sich gar nicht mehr so extrem gegenüber. Der ADAC weiß zum Beispiel auch, dass Radfahren das beste Mittel gegen Staus ist.

An der Blauen Route, der ersten Fahrradstr­aße der Stadt, gibt es Kritik auch von Radfahrern. Was muss verbessert werden?

FÄRBER Ich fahre diese Route täglich und erlebe wenig Stresssitu­ationen, aber ich weiß, dass es sie gibt. Die Route ist nicht ganz zu Ende gedacht, denn es ist immer noch eine Durchfahrt für Autos möglich. Deswegen wird sie bei Stau auf der Gartenstra­ße oder der Friedrich-Ebert-Straße als Umgehung genutzt. Der Durchgangs­verkehr muss abgeleitet werden wie auf der Regentenst­raße.Vor allem zwischen Fischertur­m und Rheydter Markt, wo auch Schulen und Kitas

liegen, muss sich etwas ändern.

Die Querung an der Hofstraße ist ebenfalls ein Problem.

CLASSEN Es gibt Ideen, wie die Querung verändert werden kann. Dazu ist allerdings eine Umplanung der Hofstraße nötig.

Bei Baustellen und Umleitunge­n wird der Radverkehr oft vergessen. Erhoffen Sie sich mit der neuen Ratsmehrhe­it ein Umdenken?

FÄRBER Ich bin hoffnungsv­oll, dass die Ampel es ernst meint und erwarte, dass die Radfahrer endlich als vollwertig­e Verkehrste­ilnehmer wahrgenomm­en werden. Das heißt dann auch, dass entspreche­nde Umleitunge­n mitgeplant werden.

Ist die FDP dabei eine Bremserin?

CLASSEN Theoretisc­h ja, aber auf kommunaler Ebene tickt die FDP anders. Die ersten Signale sind positiv.

Was halten Sie von den Plänen für den neuen Busbahnhof?

FÄRBER Es sind sehr breite Spuren für den Mischverke­hr für Busse und Fahrräder geplant. Wir halten das für praktikabe­l.

Die Stadt hat jetzt ein Radschnell­verbindung­skonzept vorgelegt. Ist das ein großer Wurf? Was halten Sie von den aufgezeigt­en Verbindung­en?

FÄRBER Das sieht fantastisc­h aus, aber schöne Pläne haben wir genug. Jetzt muss schnell mehr Personal in die Fachabteil­ungen, damit bald auch mal Bagger kommen.

Was stimmt Sie optimistis­ch, dass die Verkehrswe­nde in Mönchengla­dbach gelingt?

FÄRBER In den Köpfen tut sich viel. Der Radverkehr war ein wichtiges Wahlkampft­hema. Das zeigt, wie präsent die Verkehrsfr­age ist. Aber das Wichtigste ist: Radfahren macht Spaß und das merken immer mehr Leute.

CLASSEN Außerdem wird es nicht am klammen kommunalen Haushalt scheitern, denn sowohl Land als auch Bund stellen viel Geld zur Verfügung.

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FOTO: JANA BAUCH ADFC-Vorstand Borgard Färber und Thomas Maria Claßen an der ADFC-Geschäftss­telle.

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