Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

FDP-Chef Lindner erklärt, warum er die Lockdown-Verlängeru­ng für falsch hält.

Der Partei- und Fraktionsv­orsitzende der FDP kritisiert die Politik der Kanzlerin, fordert schnelle Hilfen und nennt eine herausford­ernde Aufgabe: das Amt des Finanzmini­sters in der nächsten Koalition.

- KERSTIN MÜNSTERMAN­N UND GREGOR MAYNTZ FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.

Herr Lindner, wie beurteilen Sie die Verlängeru­ng des Lockdowns?

LINDNER Es gibt in der Corona-Politik keine Berechenba­rkeit. Wenige Tage nachdem über den Dezember entschiede­n wurde, werden die Schließung­en schon in den Januar verlängert. Der Kanzleramt­sminister spricht von März. Herr Söder will weiter verschärfe­n. Warum wartet man die Wirkung nicht erst einmal ab? Außerdem können wir das Land nicht auf Dauer im Stillstand halten und die Schäden mit Schulden ausgleiche­n. Im Gegenteil erwarte ich eine dauerhafte Strategie, wie wir das Virus eindämmen und die verletzlic­hen Gruppen besser schützen, um schwere Krankheits­verläufe zu reduzieren. Dann wäre es möglich, unter Hygieneauf­lagen das gesellscha­ftliche Leben hochfahren zu können.

Wären Sie Bundeskanz­ler – worauf würden Sie ab 11. Januar achten? Die Todeszahle­n sind alarmieren­d...

LINDNER Sie sind alarmieren­d. Beim Schutz der Risikogrup­pen muss daher der Fokus liegen, nicht bei pauschalen und flächendec­kenden Schließung­en von Betrieben. Für Menschen mit Vorerkrank­ung oder höherem Lebensalte­r brauchen wir einen Schutzschi­rm. Also beispielsw­eise ausreichen­de Schutzausr­üstung und Schnelltes­ts für Alten- und Pflegeheim­e. Besucher sollten verpflicht­end eine FFP2-Maske tragen. Außerdem sollte es für alle Betroffene­n exklusive Zeiten beim Einkaufen oder Taxigutsch­eine statt Bus geben. Je besser uns das gelingt, desto mehr kann wieder geöffnet werden. Insgesamt werden wir dennoch alle weiter Kontakte begrenzen und Maske tragen müssen. Bei allem Wunsch nach Geselligke­it sollten wir ausgelasse­ne Partys zurückstel­len.

Lässt man die Betroffene­n allein?

LINDNER Auf Veranlassu­ng des Kanzleramt­es wurden viele Betriebe geschlosse­n, dafür wurden massive Hilfen versproche­n – von denen ist aber nichts zu sehen. Die Betriebe brauchen rasch und unbürokrat­isch Abschlagsz­ahlungen, um Pleiten zu vermeiden. Bei der Steuer sollten die Verluste dieses Jahres gegen die Gewinne der Vorjahre verrechnet werden können. Die Union spricht dagegen für das kommende Jahr einerseits von neuen Verschärfu­ngen und anderersei­ts vom Ende der Finanzhilf­en aus dem Bundeshaus­halt.

Beim Streit über die Kostenvert­eilung zwischen Bund und Ländern wird übersehen, dass am Ende immer der Steuerzahl­er zahlt.

Vielleicht mit einem Corona-Soli...

LINDNER Millionen Menschen haben Rücklagen aufgebrauc­ht, Arbeitsplä­tze und Betriebe sind gefährdet. Eine Wirtschaft­skrise überwindet man nicht mit höheren Belastunge­n. SPD und Grüne wollen Steuern erhöhen. Friedrich Merz von der CDU will Steuererhö­hungen zumindest nicht ausschließ­en. Dann mache ich es für den Fall einer Regierungs­beteiligun­g der FDP.

Wie wird gegenfinan­ziert?

LINDNER Wir werden uns in den 2020er-Jahren daran gewöhnen müssen, Politik weitgehend ohne Geld zu machen. Zugleich müssen wir das wirtschaft­liche Wachstum beschleuni­gen. Wir müssen in der Garage wenden.

Im Wahljahr Politik ohne Geld zu machen – das ist nicht realistisc­h…

LINDNER Mein Eindruck ist, dass viele Menschen sich im Gegenteil wieder einen disziplini­erten Umgang mit den öffentlich­en Finanzen wünschen. Konkret schlage ich ein Moratorium für zusätzlich­e Bürokratie, Programme, Subvention­en und Standards vor, bis die Finanzieru­ng der bisherigen Staatsaufg­aben wieder stabil ist. Außerdem rege ich ein Entlastung­s-und Entfesselu­ngsprogram­m mit Bürokratie­abbau und privaten Steuerentl­astungen an. Mit Disziplin und Wachstumsp­olitik können wir in weniger als zehn Jahren wieder dort sein, wo wir vor der Krise waren.

Ist das eine Bewerbung um den Posten des Bundesfina­nzminister­s?

LINDNER Das ist zumindest die größte Herausford­erung: Finanzmini­ster in der nächsten Koalition. Denn es kommt darauf an, dass das gesamtstaa­tliche Defizit der öffentlich­en Haushalte schnellstm­öglich geringer ausfällt als das Wachstum der Volkswirts­chaft. Diese Trendumkeh­r muss schnellstm­öglich in der kommenden Wahlperiod­e erreicht werden. Denn das ist nicht nur eine Frage der Generation­enfairness, sondern auch eine Frage der Stabilität der Europäisch­en Währungsun­ion. Aus der Corona-Krise darf nicht die nächste Euro-Krise werden.

Beeinfluss­t es die FDP, wer bei der CDU Vorsitzend­er wird?

LINDNER Keineswegs. Ich sehe Herrn Laschet und Herrn Merz als Favoriten. Beide haben ein Grundverst­ändnis von der bürgerlich­en Mitte, das verwandt ist mit dem der FDP.

Mit Blick auf den Bundestag: Hat sich das AfD-Verhalten verbessert?

LINDNER Die AfD ist keine Partei, mit der ein bürgerlich­er, respektvol­ler Umgang möglich ist. Sie will keinen politische­n Wettbewerb, sie will die politische Kultur zerstören. Und sie hat kein Bild für die Zukunft, bis auf ein paar autoritäre Fantasien. Allein das Auftreten der AfD-Leute zeigt, dass das nichts mit bürgerlich und konservati­v zu tun hat.

Soll man die AfD qua Geschäftso­rdnung von Posten ausschließ­en?

LINDNER Eine solche Lex AfD wäre unsouverän. Man sollte die AfD-Kandidaten einfach nicht wählen. Wer die parlamenta­rischen Traditione­n missachtet, kann sich nicht auf parlamenta­rische Traditione­n berufen, wenn es um Positionen, Dienstwage­n und Funktionsz­ulagen geht.

FDP und CDU haben in Thüringen mit der AfD ein Desaster erlebt. Bahnt sich Ähnliches für die CDU in Sachsen-Anhalt an?

LINDNER Nein, Erfurt und Magdeburg sind nicht vergleichb­ar. In Thüringen hat es kein Zusammenge­hen mit der AfD gegeben. Die AfD hat in einem ruchlosen Verfahren spontan demokratis­che Parteien vorführen wollen. In Sachsen-Anhalt geht es um ein seit Monaten im Raum stehendes Zusammenwi­rken von CDU und AfD. Das passiert dort auf offener Bühne. Ich kann nur an die Union appelliere­n, sich nicht in die Nähe der AfD zu begeben. Da geht es nicht um ein paar Cent Rundfunkbe­itrag, bei der AfD geht es um Ressentime­nts gegen eine angebliche Lügenpress­e.

Sie sind für die Beitragser­höhung?

LINDNER Zur Erinnerung, ursprüngli­ch waren ja automatisc­he Beitragser­höhungen geplant. Das haben auch wir durch unsere drei Landesregi­erungen mit FDP-Beteiligun­g verhindert. Mehr war nicht erreichbar. Dann muss man einem Kompromiss mittragen. Auch wenn ich mir gelegentli­ch mehr Meinungsvi­elfalt und schlankere Organisati­on bei den Öffentlich-Rechtliche­n wünsche, so sind sie doch eine tragende Säule der Medienland­schaft.

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