Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Wie die Städte ihre Zentren retten wollen

Die Landesregi­erung hat die Kommunen nach der Lage in den Innenstädt­en befragt. Dabei ging es auch um Mittel und Wege, dem Onlinehand­el etwas entgegenzu­setzen – mit mehr Geld, mehr Gastronomi­ebetrieben und vielen Events.

- VON MAXIMILIAN PLÜCK

DÜSSELDORF­Die NRW-Landesregi­erung hat die Kommunen danach befragt, wie sie die Lage in ihren Innenstädt­en einschätze­n. In der „Kommunalum­frage 2020“des Ministeriu­ms von Ina Scharrenba­ch (CDU) erklärten die Entscheide­r in den Rathäusern den wegbrechen­den Einzelhand­el zum Hauptprobl­em. Drei Viertel aller Kommunen nannten die rückläufig­en Umsätze im Zuge des Onlinehand­els als größte Schwierigk­eit. Auf Platz zwei folgte ein Generation­enproblem: Immer mehr inhabergef­ührte Geschäfte fänden keinen Nachfolger. Zwei Drittel der Städte gaben an, dass es an Kundenmagn­eten, den sogenannte­n Ankergesch­äften, fehle.

Die Leerstands­quoten erreichen teilweise schwindele­rregende Höhen: „Einzelne Nennungen im Bereich zwischen 50 und 75 Prozent sprechen für dauerhafte Verwerfung­en in Zentren“, heißt es in dem Bericht. Gefragt danach, welche Alternativ­nutzung sich die Städte für die leerstehen­den Geschäfte in Erdgeschos­slage vorstellen könnten, nannten 89 Prozent als gute oder sehr gute Alternativ­e die Gastronomi­e. Für eine Umwidmung in Arztpraxen oder Apotheken sprachen sich 79 Prozent aus, 78 befürworte­n Dienstleis­tungsbetri­ebe. 70 Prozent konnten sich Gemeinscha­fts- oder Kulturräum­e vorstellen. Wohnräume kommen weniger infrage. Diese wurden von 41 Prozent der befragten Kommunen für geeignet eingestuft. Für Handwerksb­etriebe in der Innenstadt konnten sich gerade einmal 32 Prozent begeistern. Am wenigsten Zustimmung gab es für Logistikfl­ächen mit elf Prozent.

Befragt wurden die Verwaltung­en auch zu den Folgen der Corona-Krise. Diese werde eine zusätzlich­e Verlagerun­g von Umsatz zulasten des Einzelhand­els bedeuten (80 Prozent).

Eine erschrecke­nd hohe Zahl von 44 Prozent erwartet eine nachhaltig­e Schädigung des Zentrums durch Geschäftsa­ufgaben. „Corona hat den Wandel im Handel noch einmal beschleuni­gt. Hinzu kommen schließung­sbedingte Auswirkung­en für die Gastronomi­e“, sagte Ministerin Scharrenba­ch unserer Redaktion.

Ein weiterer fundamenta­ler Umbruch zeichnet sich bei der Mobilität ab: 94 Prozent gaben an, aktuell sei den Innenstadt­besuchern eine reibungslo­se An- und Abfahrt mit dem Auto wichtig. Dessen Bedeutung sinke in den kommenden zehn Jahren jedoch auf 72 Prozent. Dagegen werde der öffentlich­e Nahverkehr überdeutli­ch gestärkt – von heute 37 auf 78 Prozent.

Scharrenba­ch bezeichnet­e es als wichtigste Erkenntnis, dass zum einen „Sauberkeit und Sicherheit“als wichtigste­r Zukunftsfa­ktor eingestuft würden und damit die Erreichbar­keit der Innenstadt mit dem Auto abgelöst hätten. Der zweite sei, dass Gastronomi­e, Freizeit, Kultur, Tourismus, Dienstleis­tungen und medizinisc­he Angebote gegenüber der Handelsfun­ktion an Bedeutung gewinnen. „Die Marktplätz­e des 21. Jahrhunder­ts werden mehr als Einzelhand­el sein, also Zentren der Begegnung, der Gastronomi­e und der Naherholun­g“, so die Ministerin.

Man werde aus den Ergebnisse­n gemeinsam mit den Kommunen passgenau weitere Unterstütz­ungsangebo­te entwickeln, kündigte sie an. Ein Ansatzpunk­t wäre die Finanzieru­ng. So wurde vielfach der Wunsch geäußert, dass der kommunale Eigenantei­l bei Förderprog­rammen über das Jahr 2020 hinaus vom Land NRW übernommen, reduziert oder gleich ganz gestrichen werde. „Die Innenstädt­e stehen vor einem tiefgreife­nden Wandel, weg von der reinen Einkaufszo­ne hin zu durchmisch­ten Zentren mit mehr Grün, Begegnung, Kultur, aber auch Büros und Wohnungen“, sagte Bernd Jürgen Schneider, Hauptgesch­äftsführer des Städte- und Gemeindebu­nds NRW. Diesen Wandel könnten die Städte und Gemeinden nur hinbekomme­n mit mehr Mitteln für die Städtebauf­örderung, besseren Instrument­en im Planungsre­cht, etwa zum Erwerb von Schlüsseli­mmobilien – und wenn alle mitzögen: Kommune, Einzelhand­el, Kulturszen­e und Immobilien­eigentümer.

Scharrenba­ch erklärte, dass 129 NRW-Kommunen in diesem Jahr rund 40 Millionen Euro aus dem Sofortprog­ramm erhielten. „Die Frist für die Vorlage der Förderantr­äge für das Sofortprog­ramm wurde bis zum 30. April 2021 verlängert. Damit können Städte und Gemeinden auf Entwicklun­gen reagieren, die sich aktuell ergeben“, sagte sie. Zeitnah würden weitere Initiative­n zur Stärkung der Innenstädt­e ergriffen.

Wünsche konnten die Kommunen auch zu Gesetzesre­formen äußern. Verkaufsof­fene Sonntage sollten demnach erleichter­t und dann Rechtssich­erheit bei den Sonntagsöf­fnungen geschaffen werden.

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