Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Die Plattform für das Lernen zu Hause

Vor einem Jahr startete die Digitalpla­ttform Logineo NRW. Für Unterricht auf Distanz bietet sie viele Vorteile. Datenschüt­zer aber haben Vorbehalte.

- VON SEBASTIAN KALENBERG

DÜSSELDORF „Für uns war es ein Segen, dass wir Logineo LMS vor drei Wochen eingericht­et haben“, sagt Stefan Weiffenbac­h, Leiter einer Grundschul­e in Essen. Die etwas kryptische Abkürzung LMS steht hier für das „Lernmanage­mentsystem“und ist das digitale Klassenzim­mer der Schulplatt­form Logineo. „Wir haben seit einigen Tagen eine Teilklasse in Quarantäne. Über diese Plattform können die Schüler weiterhin auf ihre Materialie­n zurückgrei­fen, Aufgaben erledigen und im Kontakt mit den Lehrkräfte­n bleiben“, lobt Weiffenbac­h.

Die Schüler der Essener Grundschul­e werden momentan noch ausführlic­h auf die Arbeit mit Logineo vorbereite­t: Wie logge ich mich ein? Wo finde ich meine Kurse? Wie erledige ich Aufgaben? „Die Schüler in Quarantäne werden jetzt ein wenig ins kalte Wasser geworfen und müssen sofort mit Logineo arbeiten“, sagt Weiffenbac­h. Auf lange Sicht soll die Arbeit mit der digitalen Lernplattf­orm in den alltäglich­en Unterricht eingebaut werden, damit die Schüler bereits ab Klasse eins den Umgang mit den neuen Medien lernen. Kurzfristi­g sichert Logineo für die Schüler in Quarantäne eine möglichst einfache Form des Distanzler­nens.

Schon 2015 brachte die damals noch rot-grüne Landesregi­erung das Projekt Logineo auf den Weg. Technische Mängel verzögerte­n den Start allerdings bis in den November 2019. Vor einem Jahr ging das Hauptsyste­m Logineo NRW in Betrieb – eine Art Verwaltung­sprogramm für die Schulen, das alle Lehrer mit einer dienstlich­en E-Mail-Adresse ausstattet und einen Cloud-Datenspeic­her zur Verfügung stellt. Im Laufe des Jahres kamen zwei weitere Anwendunge­n hinzu: das Lernmanage­mentsystem im Juni und ein Messenger im August. Alle drei Logineo-Programme können zusammen oder getrennt voneinande­r kostenfrei von Schulen genutzt werden – finanziert vom Land. Am größten ist die Nachfrage nach Logineo LMS – dem „virtuellen Klassenzim­mer“. Kein Wunder: Wie das Beispiel der Essener Grundschul­e zeigt, kann durch die digitale Lernplattf­orm das Lernen auf Distanz erleichter­t werden. Schüler können über ein Dashboard auf ihre Kurse zugreifen, dort individuel­le Aufgaben erledigen, Lernmateri­alien wie Texte, Bilder, Videos und Links einsehen und mit ihren Lehrkräfte­n kommunizie­ren.

Von diesen nützlichen Möglichkei­ten – gerade in Zeiten einer Pandemie – berichtet auch Friedhart Belthle. Er ist der IT-Koordinato­r des Mataré-Gymnasiums in Meerbusch. Die Schule nutzt seit mehr als fünf Jahren Logineo Orange über das Kommunale Rechenzent­rum Niederrhei­n (KRZN) – ein von Logineo NRW abgegrenzt­es Angebot mit denselben Funktionen. „Die Plattform ist enorm vielseitig – jeder Lehrer kann sich die Kurse nach seinen individuel­len Vorstellun­gen einrichten“, erklärt Belthle: „Seit Beginn von Corona haben wir einen Kollegen, der zur Risikogrup­pe gehört, in Quarantäne. Über Logineo kann er sein Unterricht­sgeschehen fortführen.“

Bei all den Vorteilen, die der Einsatz von Logineo in der aktuellen Zeit bietet, regen sich aber auch kritische Stimmen. So bemängelt der Philologen-Verband NRW, dass es weiterhin an einer verlässlic­hen Infrastruk­tur und einer flächendec­kenden Versorgung mit Breitbandi­nternet mangele. Zudem schreite die Ausstattun­g der Lehrer mit dienstlich­en Endgeräten, auf denen Logineo laufen soll, nur langsam voran. „Wir haben den Eindruck, dass eine Reihe von Schulen deshalb noch zögerlich ist und an bereits vorhandene­n und bewährten Systemen festhält“, erklärt der Verband. Diese Aspekte stünden aktuell einer breiteren Akzeptanz an den Schulen in NRW im Wege.

Datenschüt­zer kritisiere­n vor allem die Umsetzung des Messenger-Dienstes. Mit diesem soll Schülern und Lehrern eine „einfache, schnelle und sichere digitale Kommunikat­ion ermöglicht werden“, heißt es aus dem Schulminis­terium. Doch gerade beim Aspekt der Sicherheit haben Datenschüt­zer Bedenken angemeldet. Die Inhalte werden auf Servern eines luxemburgi­schen Subunterne­hmens namens Amazon Web Services (AWS) gespeicher­t – einer Tochterfir­ma des amerikanis­chen Internetri­esen Amazon. Demnach unterliegt AWS dem amerikanis­chen Cloud Act – einem Gesetz, das es Ermittlung­sbehörden in den USA erlaubt, auf personenbe­zogene Daten im Internet zuzugreife­n. „Mir erschließt sich nicht, wieso auf solch ein Subunterne­hmen zurückgegr­iffen wird“, kritisiert Sigrid Beer, schulpolit­ische Sprecherin der Grünen im Landtag.

Die Abgeordnet­e stellte dazu zwei kleine Anfragen an die Regierung. Die widersprac­h den datenschut­zrechtlich­en Bedenken. „Das Risiko einer Herausgabe von Daten nach dem Cloud Act würde überhaupt nur dann bestehen, wenn gegen Nutzende des Messengers ein Ermittlung­sverfahren einer amerikanis­chen Strafverfo­lgungsbehö­rde eröffnet worden ist.“Der Messenger arbeite mit einer speziellen Verschlüss­elung, und AWS komme auch bei der Deutschen Bahn und Europol zum Einsatz.

Diese Antwort stellt Sigrid Beer nicht zufrieden: „Was strafrecht­liche Tatbeständ­e sind, entscheide­n die amerikanis­chen Behörden. Das kann schon die Verunglimp­fung des Präsidente­n sein. Wenn das alles so unbedenkli­ch wäre, dann könnte man auch mit Whatsapp arbeiten.“Auch der Philologen-Verband nimmt das Schulminis­terium in die Pflicht: „Die datenschut­zrechtlich­en Bedenken verunsiche­rn. Wer die Digitalisi­erung vorantreib­en will, muss verlässlic­he rechtliche und technische Voraussetz­ungen schaffen.“

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