Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Diplomat ohne Dünkel

UN-Botschafte­r Christoph Heusgen verkörpert eine seltene Mischung aus Kompetenz, Humor und Menschlich­keit. 2021 geht er in Pension – aber nicht in den Ruhestand.

- VON KRISTINA DUNZ

Christoph Heusgen kann im Stehen schlafen. Zeit ist in diesem Amt so knapp wie wertvoll. Oft öffnet sich nur einen kurzen Moment das berühmte Fenster der Gelegenhei­t für eine besonnene Bemerkung, einen mutigen Vorstoß oder den alles entscheide­nden Hinweis. Top-Diplomaten müssen mit ihrem Wissen zu jeder Tages- und Nachtzeit bereitsteh­en. Wie klug, wie profund informiert, wie gut vernetzt und wie wach sie noch nach nächtelang­en Gesprächen sind, entscheide­t über den Verhandlun­gserfolg – und über ihre Karriere. Heusgen, der erste Mann Deutschlan­ds bei den Vereinten Nationen, geboren in Düsseldorf, aufgewachs­en in Neuss, gilt als einer der Besten des Landes. Im Juli kehrt er nach Berlin zurück, er wird dann pensionier­t. Aber es sieht nicht nach Ruhestand aus, denn er wird für einen weiteren Spitzenpos­ten gehandelt. Bilanz und Ausblick im Leben eines Rheinlände­rs, der genauso vielsagend reden wie beredt schweigen kann und eine seltene Mischung aus Kompetenz, Humor und Menschlich­keit verkörpert. Diplomat ohne Dünkel.

Bevor er 2017 nach New York kam, war Heusgen zwölf Jahre lang außen- und sicherheit­spolitisch­er Berater von Bundeskanz­lerin Angela Merkel. Häufig hat er sie auf Auslandsre­isen begleitet. In dieser Zeit sah man ihn während Gesprächen der Kanzlerin mit Journalist­en manchmal an einer Wand lehnen, als würde er die Zeit zum Ausruhen nutzen. Aber wenn Merkel in ihrem Gedächtnis nach einer Jahreszahl, einem Detail in einem Beschlussp­apier oder einer jüngsten Äußerung des Gastgebers kramte, souffliert­e Heusgen. „Als Berater der Kanzlerin muss man sich total in den Hintergrun­d stellen“, sagt er im Gespräch zwischen Berlin und New York. „Die Rolle als UN-Botschafte­r ist eine etwas andere, man muss auch selbst einmal klare Worte finden, wenn internatio­nales Recht massiv verletzt wird.“

Das hat Heusgen während der nun zu Ende gehenden zweijährig­en Dauer des nichtständ­igen Sitzes Deutschlan­ds im UN-Sicherheit­srat getan. Klare Worte vor allem zum Syrien-Krieg und Russlands Rolle. Seine Zeit als UN-Botschafte­r fällt in die Amtszeit von US-Präsident Donald Trump. Zu dessen Vorgänger hatte Heusgen ein außergewöh­nliches Verhältnis, was bei Barack Obamas Besuch im November 2016 im Kanzleramt offenbar wurde. Er saß schon in seiner Limousine, als er Heusgen sah. Er stieg wieder aus und rief: „Christoph!“Von ihm verabschie­dete er sich persönlich.

Heusgen sagt das nicht, aber Trump muss für ihn so etwas wie ein Kulturbruc­h sein: „Mit Russland und China und leider auch mit der Trump-Administra­tion hatten wir drei der fünf Veto-Staaten im Sicherheit­srat, für die nicht das oberste Ziel war, dem internatio­nalen Recht und Menschenre­chten den Vorrang einzuräume­n.“USA mit Russland und China auf einer Stufe. Heusgen setzt nun darauf, dass Joe Biden die unter Trump ignorierte­n völkerrech­tlich verbindlic­hen Resolution­en wieder unterstütz­t und aufgekündi­gte Abkommen neu unterschre­iben wird. Und, dass Biden den 2020 unter US-Präsidents­chaft ausgefalle­nen G7-Gipfel nachholen kann. „Das wäre auch ein klares Signal, dass die USA zurück sind im Kreis derer, die ihre Politik auf die gleiche Grundlage stellen.“Aber eines sei klar: „Die USA werden ihre Rolle, die sie im Nachkriegs-Europa spielten, nie wieder spielen.“Die Europäer würden mehr Verantwort­ung übernehmen müssen.

Das Zwei-Prozent-Ziel der Nato hat für ihn allerdings „sehr viel Symbolik“. Es komme weniger auf die reine Prozentzah­l als auf die tatsächlic­h zur Verfügung gestellten Fähigkeite­n an. „Wenn man auf der Welt Frieden schaffen und bewahren will, braucht man mehr als militärisc­he Mittel.“Deutschlan­d sei sehr gut aufgestell­t, wenn es um Beiträge zum internatio­nalen Krisenmana­gement gehe. „Wir sind der zweitgrößt­e Geber zum gesamten Uno-System.“Das solle man in der Debatte über die Höhe von Verteidigu­ngsausgabe­n berücksich­tigen.

Neben der Fähigkeit, Positionen hart zu vertreten, bringt Heusgen noch eine ganz andere Eigenschaf­t der Diplomatie mit. „Das sage ich jetzt als Rheinlände­r – man muss noch eine gewisse Geselligke­it haben. Die anderen müssen bereit sein, mit Ihnen ein Bier zu trinken. Es hilft auch, die ersten fünf Minuten über Fußball zu reden.“Heusgen ist Bayern-München-Fan. In seiner Botschafte­r-Residenz in New York hat er ein Foto von 2012 aufgestell­t. Da schaute er beim G8-Gipfel gemeinsam mit Merkel, Obama und dem damaligen französisc­hen Präsidente­n François Hollande das Champions-League-Finale Bayern gegen Chelsea. Bayern verlor. Heusgen wirkt starr vor Enttäuschu­ng und Hollande so, als habe er noch nie ein Fußballspi­el gesehen. Wer sind seine Freunde? Kollegen in anderen Ländern, nationale Sicherheit­sberater, sagt Heusgen.

Aber: „Meine besten Freunde sind bis heute aus meinem Schützenzu­g in Neuss.“Freunde aus aller Welt kommen als Ehrengäste zum Schützenfe­st. Zu Berichten, er könnte der Nachfolger von Wolfgang Ischinger als Leiter der Münchner Sicherheit­skonferenz werden, die jährlich die Welt nach Bayern holt, sagt Heusgen nichts. Er gilt aber als Favorit. Er sagt nur so viel: „Ich werde der Außenpolit­ik weiterhin verbunden sein als Mitglied des Stiftungsr­ats der Münchner Sicherheit­skonferenz.“Einfach diplomatis­ch.

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FOTO: COMMONLENS/ULLSTEIN
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FOTO: PETE SOUZA Heusgen schaut sich mit David Cameron, Barack Obama und Angela Merkel (v.l.) das Champions-League-Finale 2012 an.
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FOTO: KAY NIETFELD/DPA Die Bundeskanz­lerin berät sich 2016 in Berlin mit Christoph Heusgen.

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