Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Hertha — im Träumen groß
Der Berliner Klub will mal wieder durchstarten - vor allem mit dem Geld von Investor Windhorst. Große Ziele stehen der bescheidenen Wirklichkeit gegenüber: Hertha BSC hängt im unteren Tabellendrittel, der Lokalrivale Union klopft derweil oben an.
Berlin hat 3,7 Millionen Einwohner. Die Hauptstadt darf sich rühmen, die deutsche Weltstadt zu sein. Sie spielt in einer Liga mit Madrid, London, Paris und Rom. Nur im Fußball nicht. Berlin ist die einzige Hauptstadt Europas, die keinen Klub von Geltung beherbergt.
Die sprichwörtlich große Klappe lassen sich die Berliner von Hertha BSC deshalb aber noch lange nicht verbieten. Alle Jahre wieder träumen sie den großen Traum vom großen Fußballglück, von rauschenden Europapokalnächten, Titeln, Weltstars. Bis jetzt vergeblich. Darum hat Hertha BSC vergangenes Jahr beschlossen, den Erfolg einfach zu kaufen. Der Investor Lars Windhorst versprach, ein paar hundert Millionen in den Klub zu pumpen. Das Bankkonto sollte Weltgeltung sichern. So einfach stellen sich Investoren das vor. Zum Beweis ehrenwerter Absichten gab es 274 Millionen Euro und ein paar große Sprüche vom „Big City Club“, ein kurzes Gastspiel von Jürgen Klinsmann im Aufsichtsrat und auf der Trainerbank, 77 Millionen Euro Investitionen auf dem Transfermarkt in der zurückliegenden Winterpause, viel Getrommel und sehr bescheidene Ergebnisse auf dem Fußballplatz.
Das erschreckt bei Hertha allerdings niemanden. Während Teile der Klubführung noch über die Medien mit Windhorst darüber streiten, ob der große Haufen Geld zur Abtragung alter Schulden verwendet werden darf, die viele Jahre Großmannssucht angehäuft haben, stellt sich der Klub an der Spitze neu auf. Carsten Schmidt, zuvor erfolgreich bei Sky, macht jetzt in Fußball. Und er weiß, was die Fans hören wollen. „Wir sind Top 10 in Deutschland“, sagt er.
Der Aufsichtsrat bejubelt bereits in freudiger Ahnung bevorstehende fußballerische Großereignisse. Denn Windhorst hat zugesagt, die nächste Rate einer ausstehenden 100-Millionen-Tranche noch in diesem Monat zu zahlen. Dabei soll es auch keine Rolle spielen, dass sein Unternehmen Tennor von der Corona-Pandemie nicht gerade verschont wurde. Aufsichtsratschef Torsten-Jörn Klein stellt fest: „Jetzt haben wir Geld. Und wir müssen dieses Geld richtig einsetzen und uns in eine neue Dimension heben.“Unter neuen Dimensionen tun sie es nun mal nicht bei der Hertha.
Die Realität rund um das Berliner Bundesliga-Derby gegen den vergleichsweise armen Konkurrenten Union sieht so aus: Hertha liegt im unteren Tabellendrittel, Union grüßt von oben. Es ist ein weiter Weg in neue Dimensionen. Wieder mal.