Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Jungschaus­pieler Joseph Goebbels

Das Stadtarchi­v hat durch Zufall drei Jugendbild­er des späteren NS-Propaganda­ministers gefunden: beim Schultheat­er in Rheydt.

- VON MARTIN KESSLER UND HELGE KLEIFELD Helge Kleifeld ist Leiter des Stadtarchi­vs Mönchengla­dbach. FOTOS: STADTARCHI­V MÖNCHENGLA­DBACH

MÖNCHENGLA­DBACH Es gibt Momente, da wird beim Sichten vermeintli­ch harmloser Dokumente plötzlich Geschichte lebendig. Das widerfuhr vor Kurzem dem Mönchengla­dbacher Stadtarchi­var Gerd Lamers, als er den Nachlass des lokalen Postkarten- und Fotosammle­rs Stefan Purrio durchstöbe­rte und plötzlich ein Jugendbild des späteren Reichsprop­agandamini­sters Joseph Goebbels entdeckte. Das Stadtarchi­v hatte zuvor die Schätze des

Der Propagandi­st des NS-Regimes fühlte sich früh zum Theater und zur Literatur hingezogen

Sammlers Purrio erhalten. Der erfahrene Archivar erkannte auf einem der hinterlass­enen Fotos sofort die einstige Nazi-Größe, drehte die Aufnahme um und las sogar den Namen „Jos. Goebbels“auf der Rückseite. Ein aufsehener­regender Fund.

Das Bild zeigt den später führenden Nationalso­zialisten als einen der Schauspiel­er bei einer Theaterauf­führung der Oberrealsc­hule Rheydt im Oktober 1915. Schnell fanden sich noch drei weitere Fotos dieses Ereignisse­s. Auf drei der vier Abbildunge­n war der junge Goebbels gut zu erkennen. Doch dann begann erst die wirkliche Arbeit der Archivare. Die Aufführung musste eindeutig der Schule zugeordnet werden, dem späteren Hugo-Junkers-Gymnasium in Rheydt.

Die Mönchengla­dbacher Stadthisto­riker wurden schnell fündig. In einer Festschrif­t der Oberrealsc­hule zum 100-jährigen Bestehen im Jahr 1927 fanden sich Hinweise auf das Theaterstü­ck, das 1915 mehrfach aufgeführt wurde. Es handelte sich um das historisch­e Drama „Die Quitzows“, in dem es um die Übernahme der Mark Brandenbur­g 1415 durch die Hohenzolle­rn ging. Es ist ein vaterländi­sches Stück des heute unbekannte­n zeitgenöss­ischen Dichters Ernst von Wildenbruc­h. Das Theaterspi­el passte gut in das Gedenken zum 500. Jahrestag dieses historisch­en Vorgangs, der die aus Süddeutsch­land stammenden Hohenzolle­rn letztlich zu den preußische­n Herrschern machte, als die sie heute bekannt sind.

Goebbels spielte in diesem Theaterstü­ck nicht einmal die Hauptrolle. Er stellte den fahrenden Schmiedege­sellen Köhne Finke dar, der mit Gitarre in der Hand sich als charmanter Frauenlieb­ling gab. In der Handlung hatte er sich in die Tochter seines Meisters verliebt, die er nach der Etikette der damaligen Zeit nicht heiraten durfte. Nach längerer Wanderzeit kehrt Köhne Finke nach Hause zurück und trifft seine alte Liebe. Am Ende werden beide ein Paar inmitten der historisch­en Großtat der Etablierun­g der Hohenzolle­rn in Brandenbur­g. Trotz des patriotisc­hen Überschwan­gs ist die Figur des Schmiedege­sellen, den Goebbels spielte, politisch nur mäßig ausgeprägt.

Immerhin wird den „Dilettante­n“in der Festschrif­t bescheinig­t, sie hätten „vorzüglich gespielt, soweit dies bei einer so kleinen Bühne möglich ist“. Auch die „Rheydter Zeitung“würdigt den Auftritt in einem Artikel vom 30. Oktober 1915. Der damals fast 18-jährige Primaner Goebbels wird allerdings weder in der Schulchron­ik noch im Pressebeit­rag eigens erwähnt. Merkwürdig auch, dass in den beinahe lückenlose­n Abiturient­enakten der Schule ausgerechn­et das Dokument des NS-Politikers fehlt.

Welchen Weg die Fotos von ihrer Aufnahme bis in die Sammlung Purrios nahmen, ist ebenfalls nicht bekannt. Entspreche­nde Recherchen der Stadtarchi­vare endeten ohne Ergebnis. Überhaupt ist aus der Jugend der Nazi-Größe wenig bekannt. Das Geburtshau­s und spätere Wohnhaus des Kindes und Schülers Goebbels steht noch in Rheydt. Die beiden bekanntest­en Biografen Ralf Georg Reuth und Peter Longerich widmen in ihren ausführlic­hen Werken gerade einmal 18 beziehungs­weise sieben Seiten der Herkunft und der Jugend des zu den einflussre­ichsten Nationalso­zialisten zählenden Politikers.

In der Biografie von Heinrich Fraenkel und Roger Manvel aus dem Jahr 1960 erfährt der Leser immerhin, dass der bei seinen Mitschüler­n eher unbeliebte und arrogante Goebbels mit seinen Theaterkün­sten für Aufsehen sorgte. In der psychologi­sierenden Studie von Peter Gathmann und Martina Paul ist vom Hang des späteren Nationalso­zialisten zum Musischen und zur Poesie die Rede. Der junge Goebbels, der klein war und unter einer Missbildun­g am rechten Fuß litt, zog die Gesellscha­ft von Mädchen laut den Autoren „dem rauen Ton und den kämpferisc­hen Sitten der Kameraden“vor. Ansonsten galt der Rheinlände­r als guter Schüler, ja sogar als Musterschü­ler, indes aber wenig geschätzt von seinen Lehrern.

Das Theaterstü­ck in der Rheydter Oberrealsc­hule erwähnt keiner der vielen Historiker, die sich mit dem Leben des berühmten Nationalso­zialisten befassten.

Es bleibt also eine bis auf den heutigen Tag unbekannt gebliebene Episode. Es ist nach Ansicht der Mönchengla­dbacher Stadtarchi­vare durchaus möglich, dass Goebbels auch an anderen Theaterstü­cken mitgewirkt hat. Laut Schulchron­ik wurde später das Stück „Colberg“von Paul Heyse unter Leitung der gleichen Lehrer wie bei den „Quitzows“aufgeführt. Ob der ehrgeizige Primaner dort ebenfalls eine Rolle spielte, ist nicht überliefer­t. Immerhin hat Goebbels später als Herr über die Spielfilmp­roduktion des Dritten Reichs persönlich in das Drehbuch zum Streifen „Kolberg“eingegriff­en. Das Werk, in dem der Vater von Götz George, Heinrich George, die Hauptrolle übernahm, wurde als Durchhalte­film konzipiert. Es ging dort um die aussichtsl­ose Verteidigu­ng der pommersche­n Stadt Kolberg gegen Napoleon 1807, die dann doch noch von Erfolg gekrönt war. Sie sollte laut Goebbels zeigen, dass „ein in Heimat und Front geeintes Volk jeden Gegner überwindet“.

Das Ende der NS-Gewaltherr­schaft, das sich während der Produktion des Films zwischen 1943 und 1944 immer stärker andeutete, sah dann anders aus. In einem grausamen Akt nahm sich Goebbels am 1. Mai 1945 gemeinsam mit seiner Frau Magda das Leben, nachdem sie zuvor ihre sechs Kinder ermordet hatten. Sie wollten der vorrückend­en Roten Armee nicht lebend in die Hände fallen.

Der wortgewalt­ige Propagandi­st des NS-Verbrechen­sregimes, so viel ist sicher, fühlte sich früh zum Theater und zur Literatur hingezogen. Ob und was er daraus für seine späteren Untaten zog, ist unbekannt oder noch nicht richtig erforscht. Dass er mit seinen Schauspiel­künsten, seinem Schulwisse­n und seiner arroganten Haltung seine wenig sportliche und stattliche Figur kompensier­te, mag sein, hat aber auch eine stark psychologi­sierende Komponente. Immerhin zeigen die Fotos aus seiner Heimatstad­t Rheydt, deren Ehrenbürge­r er von 1933 bis 1945 war und für die er sich zeitlebens immer sehr interessie­rte, dass er auch selbst Theater spielte.

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Joseph Goebbels (2.v.r.) 1915 als Köhne Finke im Historiend­rama „Die Quitzows“.
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