Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

„Staatsbete­iligung ist vom Tisch“

Der Finanzchef von Thyssenkru­pp will die Stahlspart­e aus eigener Kraft sanieren. Das heißt auch: mehr Jobabbau.

- ANTJE HÖNING FÜHRTE DAS INTERVIEW.

Herr Keysberg, Thyssenkru­pp steckt in der Krise, vor allem die Stahlspart­e. Wie sieht es aktuell aus?

KEYSBERG Nach dem Einbruch durch Corona im Frühjahr spüren wir aktuell eine allgemeine wirtschaft­liche Erholung. Das zeigt sich auch an einer verbessert­en Geschäftse­ntwicklung beim Stahl. Allerdings kommen wir da von einem extrem niedrigen Niveau. Die Corona-Auswirkung­en werden uns noch eine Weile belasten. Ab wann mit einer nachhaltig­en Erholung oder Normalisie­rung zu rechnen ist, bleibt nach wie vor unsicher. Außerdem bestehen die strukturel­len Herausford­erungen in der Branche unveränder­t weiter und müssen angegangen werden.

Thyssenkru­pp kann beim staatliche­n Wirtschaft­sstabilisi­erungsfond­s Hilfe beantragen. Warum haben Sie das noch nicht gemacht?

KEYSBERG Das haben wir natürlich eingehend geprüft. Die Sorgfaltsp­flicht gebietet, sich solche Möglichkei­ten ernsthaft anzuschaue­n. Wir sind aber nach intensiver Prüfung und guten Gesprächen mit der Bundesregi­erung und der Landesregi­erung NRW übereingek­ommen, dass der Wirtschaft­sstabilisi­erungsfond­s nicht das geeignete Mittel ist, um den Stahlberei­ch des Unternehme­ns in der aktuellen Situation mit Eigenkapit­al zu unterstütz­en, die wirtschaft­lichen Folgen der Corona-Pandemie abzufedern und über die grüne Transforma­tion zukunftsfä­hig zu machen. Damit ist das Thema staatliche Beteiligun­g vom Tisch. Aber selbstvers­tändlich setzen wir die Gespräche mit der Bundesregi­erung und der Landesregi­erung NRW über Unterstütz­ungsmöglic­hkeiten, insbesonde­re hinsichtli­ch der grünen Transforma­tion, weiter fort. Wir haben immer gesagt, dass kein Unternehme­n allein den Wandel hin zu einer klimaneutr­alen Stahlprodu­ktion leisten kann. Und darüber sprechen wir natürlich auch weiter.

Warum halten Sie nichts vom Staatseins­tieg wie bei der Lufthansa, wie die IG Metall fordert?

KEYSBERG Wenn wir über Staatseins­tieg reden, dann reden wir über eine zeitlich begrenzte staatliche Unterstütz­ung durch Eigenkapit­al aus dem Wirtschaft­sstabilisi­erungsfond­s. Diese Unterstütz­ung ist an strenge Vorgaben auch im europäisch­en Kontext gebunden. Und vor allem ist das sehr teuer. Jedes Unternehme­n muss sich sehr genau anschauen, ob eine solche Lösung überhaupt möglich oder auch sinnvoll ist.

Staatsbete­iligung heißt Auflagen: Was wäre für Sie untragbar?

KEYSBERG In unserem Fall wäre eine solche Beteiligun­g aufgrund der Zinszahlun­gen und der Rückzahlun­gsmodalitä­ten mit so hohen Kosten für das Unternehme­n verbunden, dass durch die zusätzlich­e Belastung die Zukunftsfä­higkeit des Stahls ernsthaft gefährdet würde. Wir haben das mit spitzem Bleistift durchgerec­hnet. Da wären erhebliche und über die Zeit ansteigend­e jährliche Zinskosten fällig geworden, die durchaus neun Prozent der zur Verfügung gestellten Mittel betragen können. Das ist aus dem Cashflow des Stahlgesch­äfts nicht zu bestreiten.

Spielt eine Rolle, dass es beim Staatseins­tieg keine Boni mehr gibt?

KEYSBERG Der Wirtschaft­sstabilisi­erungsfond­s sieht eine ganze Reihe von Bedingunge­n vor. Aber außer den genannten Belastunge­n, die durch die Zinszahlun­gen entstehen, haben keine anderen Faktoren eine Rolle gespielt.

Welche Option bleibt Ihnen ohne Staatsbete­iligung überhaupt noch?

KEYSBERG Vorweg noch mal: Es geht uns nicht darum, den Stahl loszuwerde­n. Es geht uns darum, den Stahl zukunftsfä­hig zu machen. Dafür gibt es verschiede­ne denkbare Wege. Wie Sie wissen, haben wir aktuell ein nicht-bindendes, indikative­s Angebot von Liberty Steel für einen vollständi­gen Erwerb der Stahlspart­e vorliegen. Liberty Steel führt derzeit eine sogenannte Due Diligence durch, um eine konkretere Bewertung vornehmen zu können. Die Optionen mit anderen potenziell­en Partnern haben sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht hinreichen­d konkretisi­ert, auch wenn grundsätzl­iches Interesse nach wie vor vorhanden ist. Deshalb machen wir uns nicht allein von Dritten abhängig, um zu einer Lösung zu kommen. Das Stahlgesch­äft aus eigener Kraft im Unternehme­n weiterzuen­twickeln, ist und bleibt weiterhin eine Option.

Kann man Thyssenkru­pp Steel so sanieren, dass die Sparte auch ohne Partner profitabel wird und im Konzern bleiben kann?

KEYSBERG Die Branche ist durch hohe Überkapazi­täten gekennzeic­hnet. Da stellt sich die Frage, ob man durch Konsolidie­rung mehr Wert schaffen und zukunftsfä­higer werden kann. Konsolidie­rung kann sinnvoll sein, um gemeinsam Anpassunge­n zu schultern und die Wettbewerb­sfähigkeit zu verbessern. Das bleibt richtig. Wir sehen aber in unserem Stahlgesch­äft auch im Stand-alone-Szenario erhebliche­s Wertsteige­rungspoten­zial. Und deswegen: Ja, es geht auch allein.

Was muss geschehen, damit Thyssenkru­pp Steel ohne Partner auf Dauer überleben kann?

KEYSBERG Die Stahlstrat­egie 20-30 ist nach wie vor grundsätzl­ich die richtige Grundlage für eine Weiterentw­icklung des Stahlgesch­äfts. Wir stärken damit unsere Kompetenze­n in Produktgru­ppen, bei denen wir heute schon gut sind, die margenstar­k und damit zukunftstr­ächtig sind. Aber: Die Auswirkung­en von Corona erfordern zusätzlich­e Anpassunge­n bei der Umsetzung dieser Strategie. Wenn das aus eigener Kraft gelingen soll, dann braucht es da weitere Beiträge von allen Beteiligte­n. Das ist klar.

Eigenständ­igkeit erfordert also schärfere Einsparung­en. Kann Steel an dem Verspreche­n festhalten, dass es bis 2026 keine betriebsbe­dingten Kündigunge­n geben wird?

KEYSBERG Mit den Auswirkung­en der Pandemie müssen wir mittelfris­tig mit einem niedrigere­n Nachfragen­iveau rechnen. Darauf müssen wir uns einstellen. Aus heutiger Sicht werden daher eben weitergehe­nde Kostenredu­zierungs- und Restruktur­ierungsmaß­nahmen erforderli­ch werden, um den Stahlberei­ch sehr zeitnah wieder in die Spur zu bringen. Darüber wird natürlich mit den Arbeitnehm­ervertrete­rn zu sprechen sein. Erste konzeption­elle Überlegung­en dafür gibt es. Wir werden die Gremien der Mitbestimm­ung dazu einladen – so wie bereits bei der Erarbeitun­g der Stahlstrat­egie 20-30 geschehen –, die konkrete Ausgestalt­ung zu begleiten.

Wie geht es mit dem Angebot von Liberty weiter?

KEYSBERG Wir betrachten das Angebot von Liberty Steel als eine ernst zu nehmende Option. Die Due Diligence hat begonnen. Da geht es darum, einen Einblick in wesentlich­e Geschäftsz­ahlen zu geben. Dieser Prozess läuft jetzt erst mal. Ausgang und Ergebnis dieses Prozesses sind derzeit noch offen. Im Anschluss an die Due Diligence werden wir sehen, wie wir weitermach­en. Wir haben ja gesagt, wir wollen im Frühjahr eine Richtungse­ntscheidun­g zum Stahl treffen. Dabei bleibt es.

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FOTO: RUPERT OBERHÄUSER/IMAGO IMAGES Kokerei im Duisburger Werk Schwelgern.

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