Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Das Kneipenste­rben beginnt

Die fast schon historisch­e Altstadt-Kneipe „Zum Sandrad“wird nach dem Lockdown nicht wieder öffnen. Damit hat Corona geschafft, woran viele vorher gescheiter­t waren: Eine Ära zu beenden, in der die Kneipe das Wohnzimmer der Altstadt war.

- VON ANDREAS GRUHN FOTOARCHIV: HANS-PETER REICHARTZ

GLADBACH Es gibt Dinge, die lässt man nicht los. Udo Eilers hat das über vier Jahrzehnte so mit seiner Kneipe gehalten. Das „Sandrad“in der Gladbacher Altstadt ist so ein Fall, eine Traditions­kneipe vom alten Schlage, die Wirt Eilers stolz sein „Wohnzimmer“nennt. Und doch gibt es Umstände, die einen Dinge tun lassen, die man nie für möglich gehalten hätte: Die Corona-Pandemie bedeutet das Ende des „Sandrad“, die Kneipe, die ein atmendes Denkmal für die gute, alte Gladbacher Altstadt war, wird nach dem Corona-Lockdown nicht wieder öffnen. „Ja, es ist wahr: Das Sandrad ist Geschichte“, verkündete René Buß, der Eilers in den vergangene­n Jahren immer mehr zur Hilfe geworden ist, jetzt im sozialen Netzwerk Facebook auf der Seite der Kneipe. „Udo wird sich natürlich noch persönlich melden, aber dass er noch nach Fassung und Worten ringt, dürfte wohl jeder verstehen, der das Sandrad kannte. Sein Lebenswerk (1979 - 2020) zerstört.“

Der Eintrag erzeugte große Resonanz

bei vielen, die diese kleine Kneipe an der Aachener Straße zu schätzen wussten, die sich in den vielen Jahren gerne ein „Schmunzels­üppchen“, wie Eilers ein frisch gezapftes Bier zu nennen pflegt, servieren ließen. „Monatelang haben wir uns die Köpfe zerbrochen, wie wir 1,5 Meter Abstand zwischen den Gästen herzaubern könnten“, heißt es auf der Facebook-Seite der Kneipe. „Weil sich die Räumlichke­iten aber partout nicht vergrößern wollten, mussten wir eine Menge Geld herzaubern. Auch das funktionie­rte nicht. Mangels Abstand und Geld, waren also alle Hoffnungen auf den Erhalt unseres ,Wohnzimmer­s’ zunichte gemacht.“Eine kleine private Abschiedsf­eier im kleinen Kreis wäre sein größter Wunsch gewiesen als würdiger Abschied. „Auch nicht möglich - Nächster Lockdown!“

Für viele Gäste war das Sandrad nicht nur die Gaststätte mit einem einzigarti­gen Kneipier und seinem frisch gezapften Schmunzels­üppchen, sondern ein Ort, dem die Veränderun­gen

der Zeit nichts anhaben können. Wenn woanders Musik gesteamt wurde, liefen im Sandrand noch die Kassetten-Decks. Viele Hundert gemischte Kassetten, die Eilers selbst zusammenge­stellt hat, lagern rund um den Tresen. Die Einrichtun­g, der Klang der Musik aus den Boxen, alles im Sandrad hat eine würdige Patina, die das Nachtleben aus vier Jahrzehnte­n verewigt hat. Selbst ein schwerer Unfall vor einigen Jahren nicht verhindern können, dass das Sandrad

mit Hilfe von jungen Leuten wie René Buß weiter öffnete, während sich Eilers im Krankenhau­s erholte. Nun hat die Corona-Pandemie geschafft, was Jahrzehnte vorher niemandem sonst gelungen war: Eilers oder seine Freunde daran zu hindern, das Sandrad zu öffnen.

Mit dem Sandrad und nur wenige Tage zuvor mit dem Jägerhof in Hardt hat es Traditions­kneipen und Gaststätte­n dahin gerafft, die man für die Ewigkeit gehalten hätte. „Es werden nicht die letzten sein“, befürchtet Andreas Graf, Geschäftsf­ührer des Hotel- und Gaststätte­nverbands Dehoga in Mönchengla­dbach und Viersen. Der Bundesverb­and geht von einem Verlust von 60 Prozent der Kneipen und Gaststätte­n im Zuge der Corona-Pandemie aus. „Und wenn es in Mönchengla­dbach nur 30 oder 40 Prozent sein sollten, wäre das schon schlimm genug“, sagt Graf. Er befürchtet einen Aderlass, für den niemand etwas kann. „Schlimm ist, dass die Hilfen angekündig­t sind, aber noch lange nicht da sind“, sagt Graf. „Bis jetzt wird gar nicht geholfen, es gibt nur viel zu komplizier­te Antragsfor­mulare.“Der Verband hat in Mönchengla­dbach noch rund 170 Mitglieder. „Aber das könnte in den zweistelli­gen Bereich abrutschen“, sagt Graf. „Alle überlegen sich jetzt, ob sie sich mit Fremdmitte­ln ausstatten sollen. Oder ob sie es bleiben lassen.“

Das Kneipenste­rben ist ja eigentlich gar nicht neu. Laut dem statistisc­hen Landesamt it.NRW gab es 2018 in Mönchengla­dbach noch 182 Gastronomi­en zum Ausschank von Getränken. Das war im Vergleich zu 2008 ein Rückgang um gut 22 Prozent. Die Gesamtzahl der Betriebe, also auch der Restaurant­s, Gaststätte­n, Imbissstub­en, Cafés und Eissalons, ging um 12,5 Prozent auf 741 zurück. In der Blütezeit der Altstadt in den 1980er Jahren zählte man allein dort noch 280 Betriebe. Das war aber auch zu einer Zeit, als das Sandrad noch jung und Kassetten am Tresen modern waren. Diese Zeit ist jetzt mit der Schließung der Kneipe offiziell zu Ende.

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Auch jüngere Kräfte halfen in den vergangene­n Jahren das Sandrad an der Aachener Straße in Betrieb zu halten. Doch die Pandemie macht auch diese Anstrengun­gen zunichte.
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Udo Eilers ist ein Urgestein der Altstadt-Szene.

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