Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Thiel und Boerne in Grevenbroi­ch

Im vergangene­n Fall war der Gerichtsme­diziner in der Vorhölle gefangen – im neuen Fall „Es lebe der König!“ermitteln der Kommissar und er im „Münster-Tatort“praktisch im Paradies.

- VON TOBIAS JOCHHEIM

MÜNSTER Nichts ist beständig, nur der Wandel – und die Popularitä­t des „Münster-Tatorts“. Der ist bekanntlic­h die Fernsehen gewordene Systemgast­ronomie: Da weiß man, was man kriegt. Ist ja auch was wert.

Dabei hat der vergangene Fall gezeigt, dass es auch anders – nämlich besser – geht: Das Experiment „Limbus“um Boernes Nahtod-Erfahrung vor erst einem Monat war sozusagen ein Ausrutsche­r. Doch siehe da, der kaum hoch genug zu lobende Mut der Macher wurde belohnt mit der besten Einschaltq­uote des TV-Jahres überhaupt: Hochgerech­net 13,15 Millionen Zuschauer sahen zu – mehr als beim Finale der Champions-League im Fußball. Auch Thiels langjährig­e Assistenti­n Nadeshda Krusenster­n (Friederike Kempter) wurde in „Limbus“wenigstens mit Verspätung charmant verabschie­det. Ihr Abgang als Mordopfer in der improvisie­rten Sonderfolg­e zu Neujahr hatte seltsam deplatzier­t gewirkt.

Nun mag man behaupten, dass ein herkömmlic­herer Comedy-Krimi mit Thiel und Boerne auf noch mehr Gegenliebe gestoßen wäre, zumal das Land in diesem Jahr nach Normalität förmlich lechzt. Wie ernst diese Theorie zu nehmen ist, wird die Quote von „Es lebe der König!“zeigen. Womöglich wirken die Warnungen der Kritiker einmal mehr als Werbung.

Fakt ist: Im 38. Fall ist alles wie immer. Dem neuen Assi Mirko Schrader (Björn Meyer) werden die Gags ebenso lustlos-routiniert auf den Leib geschriebe­n wie dem Stammperso­nal: Schnösel Boerne und der bauernschl­aue Proll Thiel frotzeln um die Wette, Thiel Senior kifft sich das Resthirn weg, kopfschütt­elnd daneben stehen die Harte (Staatsanwä­ltin Klemm) und die Zarte (Rechtsmedi­zinerin Haller). Der Fall ist Nebensache aus Tradition; diesmal geht es um verarmten Adel und einen neureichen „König der Schaustell­er“, ungewöhnli­che erotische Vorlieben, etwas häusliche Gewalt sowie die „gewaltporn­ografische Ausschlach­tung der Münsterane­r Geschichte“(Boerne).

Dieser Film ist ein schwächere­s Produkt aus der Münsterane­r Manufaktur,

die längst zur Fabrik geworden ist. Was auch kein Weltunterg­ang ist. Wer um 1909 ein günstiges Automobil vom Typ „Model T“wollte, bekam es laut Henry Ford „in jeder Farbe – solange diese Farbe schwarz ist“. Wer Thiel und Boerne will, bekommt Thiel und Boerne. Und die sind auch schlecht noch recht beliebt. In diesem Fall muss man den Machern zudem zugutehalt­en, dass die Produktion­sbedingung­en im Sommer deutlich erschwert waren.

Das Beste an diesem Film jedenfalls kommt zweifellos vom Niederrhei­n,

nämlich der Hauptschau­platz des Krimis. Die angebliche Münsterane­r Burg „Haus Lüdecke“ist tatsächlic­h das imposante Schloss Hülchrath in Grevenbroi­ch. Erstmals urkundlich erwähnt wurde das Gebäude bereits im Jahr 1120. Und diese Bilderbuch-Festung wird garantiert auch dann noch stehen, wenn dereinst der letzte Münster--Krimi gesendet sein wird. Wiederholu­ngen natürlich ausdrückli­ch ausgenomme­n.

„Tatort: Es lebe der König!“, Das Erste, 20.15 Uhr

 ?? FOTO: ROLF VENNENBERN­D/DPA ?? Kommissar Thiel (Axel Prahl, l.) und Gerichtsme­diziner Boerne (Jan Josef Liefers) sind das erste Tatort-Team, das seit der Corona-Pause wieder einen TV-Auftritt hat.
FOTO: ROLF VENNENBERN­D/DPA Kommissar Thiel (Axel Prahl, l.) und Gerichtsme­diziner Boerne (Jan Josef Liefers) sind das erste Tatort-Team, das seit der Corona-Pause wieder einen TV-Auftritt hat.

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