Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Handel kritisiert Ungleichbe­handlung

Finanzmini­ster Olaf Scholz kündigt zwar eine höhere staatliche Überbrücku­ngshilfe an, erntet aber laute Proteste.

- VON BIRGIT MARSCHALL

BERLIN Auch der Finanzmini­ster ist an diesem Sonntag im Kanzleramt anwesend. Olaf Scholz sitzt neben der Kanzlerin und den beiden Länderchef­s Michael Müller (SPD, Berlin) und Markus Söder (CSU, Bayern). Scholz ist für die finanziell­e Absicherun­g des harten Lockdowns zuständig, den die Bund-Länder-Runde soeben in Blitzgesch­windigkeit beschlosse­n hat. Die übrigen Ministerpr­äsidenten waren dabei per Video zugeschalt­et.

Der Vizekanzle­r verkündet mit Grabesmien­e, dass der Staat seine Überbrücku­ngshilfe für den vom Lockdown betroffene­n Einzelhand­el und andere Branchen aufstockt. Elf Milliarden Euro lasse sich der Fiskus das pro Monat kosten, so Scholz. Seine Grabesmien­e passt zum Ausmaß der enormen wirtschaft­lichen Folgen, die die Zwangsschl­ießung der Geschäfte ab 16. Dezember für den Einzelhand­el und auch das Böllerverb­ot an Silvester für die Feuerwerks­branche bedeutet.

Doch möglicherw­eise ahnt Scholz auch schon, dass es nach seinen Ankündigun­gen einen Proteststu­rm geben wird: Der Handel und alle übrigen vom harten Lockdown betroffene­n Branchen fordern Gleichbeha­ndlung mit der Gastronomi­e und anderen Branchen, die ab 2. November schließen mussten und die mit der November- und Dezemberhi­lfe eine viel großzügige­re Unterstütz­ung vom Staat erhalten.

Die Bundesregi­erung will jedoch die außerorden­tliche Novemberun­d Dezemberhi­lfe nicht weiter führen. Scholz hatte den dafür eigentlich federführe­nd zuständige­n Wirtschaft­sminister Peter Altmaier (CDU) bei der Einführung dieser Hilfen Ende Oktober überrumpel­t, war später aus Regierungs­kreisen zu erfahren. Die Novemberhi­lfe fällt nämlich aus der sonstigen Fördersyst­ematik heraus und ist deshalb auch nur sehr schwer mit dem EU-Beihilfere­cht vereinbar. Betriebe sollen in diesem Rahmen 75 Prozent der Umsätze erstattet bekommen, die sie im November oder Dezember 2019 erzielt hatten. Den Fiskus kostet das 30 Milliarden Euro oder sogar mehr.

Bislang sind allerdings erst Abschlagsz­ahlungen geflossen, weil

Altmaier gar nicht über die Software verfügte, um das Programm so schnell umzusetzen. Außerdem ist es extrem missbrauch­sanfällig.

Nun also verkündet Scholz, dass der Handel und andere Branchen als Kompensati­on für ihre Verluste die „Überbrücku­ngshilfe III“erhalten können. Dabei ersetzt der Staat Fixkosten wie Mieten, Pachten, Leasingver­träge oder Versicheru­ngsprämien. Der Höchstförd­erbetrag pro Unternehme­n werde von bisher 200.000 auf 500.000 Euro aufgestock­t, so der Finanzmini­ster. Die Regelung gelte für Handelsunt­ernehmen, Solo-Selbststän­dige und selbststän­dige Angehörige der Freien Berufe.

Für die betroffene­n Unternehme­n soll es zudem Abschlagsz­ahlungen geben. Mit Teilabschr­eibungen solle der Wertverlus­t von Waren und anderen Wirtschaft­sgütern im Einzelhand­el aufgefange­n werden. Dadurch könnten die Geschäfte diese steuermind­ernd geltend machen. Scholz nennt die Hilfe absolut richtig und notwendig. Der Staat habe dafür auch die nötigen Ressourcen, denn im Bundeshaus­halt 2021 sei Vorsorge für Unvorherge­sehenes getroffen worden: Insgesamt stünden 35 Milliarden Euro als Puffer bereit, 20 Milliarden davon müssten vom Haushaltsa­usschuss des Bundestags freigegebe­n werden.

Die Kritik an der Ungleichbe­handlung lässt am Sonntag nicht lang auf sich warten: „Der Shutdown trifft viele Geschäfte und Unternehme­n in ihrem umsatzstär­ksten Monat. Gerade weil diese Maßnahme jetzt sehr kurzfristi­g kommt, dürfen sie nicht mit einem Fixkostenb­eitrag (Überbrücku­ngshilfe) abgespeist werden“, sagte die saarländis­che Wirtschaft­sministeri­n Anke Rehlinger, eine Parteifreu­ndin von Scholz. „Für die Betriebe, die im Dezember zusätzlich geschlosse­n werden, muss es auch die Dezemberhi­lfe mit 75 Prozent Umsatzausg­leich geben“, fordert sie.

Auch der Branchenve­rband HDE und die Dienstleis­tungsgewer­kschaft Verdi sind auf dem Baum. „Anders als die Bundesregi­erung angekündig­t hat, sollten die Regelungen der sogenannte­n Novemberhi­lfe mit einer Erstattung von bis zu 75 Prozent des Umsatzes aus dem Vorjahresm­onat auch für jetzt betroffene Unternehme­n, etwa im Einzelhand­el, angewendet werden – verbunden mit der Bedingung, dass die Unternehme­n das Kurzarbeit­sgeld aufstocken“, sagt Verdi-Chef Frank Werneke unserer Redaktion.

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FOTO: FEDERICO GAMBARINI/DPA An der Düsseldorf­er Königsalle­e zahlen die Geschäftsl­eute horrende Mieten. Hierfür können sie ab jetzt staatliche Hilfe beantragen.

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