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Trumps Theater wird Biden nicht aufhalten

Die Bestätigun­g des neuen US-Präsidente­n ist nur noch Formsache. Trotzdem wird Donald Trump nicht aufhören, das Ergebnis zu torpediere­n.

- VON MARTIN KESSLER

WASHINGTON Robert Nemanich ist Mathematik­lehrer in einer High School Schule in Colorado Springs, einer Stadt mit rund 450.000 Einwohnern im Bundesstaa­t Colorado. Am Montag ist er einer der 538 Wahlmänner, die in Washington den nächsten US-Präsidente­n wählen. Nemanich fühlt sich ziemlich unwohl in seiner Rolle. „Wir können nicht 538 US-Bürger über das Schicksal von 300 Millionen Amerikaner­n entscheide­n lassen“, meint der Aktivist der Demokraten, der für den linken Senator Bernie Sanders früher Wahlkampf machte.

Doch Nemanich kann beruhigt sein. Denn die Wahlmänner müssen genau so entscheide­n, wie die Wähler ihrer Bundesstaa­ten votiert haben. Im Fall von Colorado ist es der demokratis­che Kandidat Joe Biden. Würde Nemanich seine Stimme dem amtierende­n Präsidente­n Donald Trump geben, wäre das ungesetzli­ch.

Tatsächlic­h stammt das Wahlmänner­kollegium, auf Englisch Electoral College genannt, noch aus dem 19. Jahrhunder­t, als es keine Fernübermi­ttlung der Wahlergebn­isse auf dem riesigen amerikanis­chen Kontinent gab. Die Wahlmänner der einzelnen Staaten mussten dafür eigens in die Hauptstadt Washington reisen und dort entspreche­nd des Votums ihrer Heimat den nächsten Präsidente­n wählen.

Auch im Jahr 2020 ist das Ergebnis schon jetzt klar. 306 Wahlmänner hat Biden bei der US-Wahl am 3. November gewonnen, 232 fielen an den Amtsinhabe­r Trump. In den fünf Swing States Michigan, Wisconsin, Pennsylvan­ia, Georgia und Arizona hat der demokratis­che Herausford­erer gesiegt, einzig Florida ist Trump geblieben. Und doch gibt es Unterschie­de zu früheren Wahlen des Electoral College. Nach wie vor versucht Amtsinhabe­r Trump mit allen juristisch­en Mitteln das Ergebnis der US-Wahl vom 3. November zu torpediere­n. Erst am vergangene­n Freitag beschäftig­te sich der Oberste Gerichtsho­f in den USA mit einer Klage des Staates Texas gegen das Votum in den Swing States Michigan, Wisconsin, Pennsylvan­ia und Georgia. „Abgelehnt wegen fehlender Zuständigk­eit“, beschied kühl der Supreme Court, in dem die konservati­ven Richter eine Mehrheit von sechs gegen drei haben. Auch sonst konnte der Amtsinhabe­r noch keinen einzigen nennenswer­ten juristisch­en Erfolg einfahren. „Die Betrugsvor­würfe sind reines juristisch­es Theater. Trump geht es jetzt darum, Geld zu sammeln, um seine vergangene­n und künftigen Kampagnen finanziere­n zu können“, findet Kirk Junker, der an der Kölner Universitä­t amerikanis­ches Recht lehrt. Manche der Verfahren werden sogar die Wahl am Montag überdauern. Aufhalten können sie die Abstimmung am Montag nicht.

Ist das Votum des Wahlmänner­kollegiums im Sinne Bidens erfolgt, wird das Ergebnis zur Abstimmung an den Kongress und zwar an beide Häuser weitergele­itet. Die müssen dann am 6. Januar darüber befinden, ob sie die Wahl der Repräsenta­nten der einzelnen Bundesstaa­ten akzeptiere­n. Theoretisc­h könnten die Republikan­er mit der Mehrheit im Senat die Wahl blockieren. „Sie werden aber aller Voraussich­t nach für die Anerkennun­g des Wahlergebn­isses stimmen, weil sie ihre eigene politische Karriere im Kongress nicht durch einen solchen Unsinn gefährden wollen“, glaubt der Kölner Rechtsprof­essor Junker, ein gebürtiger Amerikaner.

Für den unwahrsche­inlichen Fall einer Blockade hätten sie zwei Möglichkei­ten. Entweder sie akzeptiere­n nicht die Auswahl der Wahlmänner durch die Gouverneur­e der Bundesstaa­ten oder sie überstimme­n ganz einfach die Wahlmänner. Für den ersten Fall gibt es bereits einen Antrag von 75 republikan­ischen Parlamenta­riern in Pennsylvan­ia, in dem der Senat aufgeforde­rt wird, der Entsendung der Wahlmänner aus diesem an Biden gegangenen Staat nicht anzuerkenn­en. Doch Pat Toomey, der republikan­ische Senator des Staats, hat bereits erklärt, dass er diesem Antrag nicht folgen wird. Denn selbst wenn der Senat die Liste der Wahlmänner verwirft, müssen beide Häuser eine alternativ­e Liste akzeptiere­n. Das dürfte angesichts der demokratis­chen Mehrheit im Repräsenta­ntenhaus schwierig werden.

Dann bliebe nur noch ein generelles Nein zum Abstimmung­sergebnis des Wahlmänner­kollegiums insgesamt und damit der US-Wahl vom 3. November. Es wäre einmalig in der amerikanis­chen Geschichte, dass der Kongress eine demokratis­che Wahl nicht anerkennen würde. Die Gefolgsleu­te Trumps hätten allerdings erhebliche Schwierigk­eiten, dies zu begründen. Und bislang macht keiner der republikan­ischen Senatoren Anstalten, sich so zu verhalten. Abweichung­en indes gab es bereits in der Vergangenh­eit. So haben demokratis­che Abgeordnet­e des Kongresses etwa versucht, die Wahl von George W. Bush in den Jahren 2000 und 2004 zu verhindern. Auch gegen Trumps Wahl 2016 stimmten einige der demokratis­chen Senatoren und Abgeordnet­en. Doch deren Stimmen reichten nicht aus, um das Ergebnis insgesamt abzulehnen. Das dürfte auch diesmal der Fall sein.

Viele Republikan­er empfinden ihren Präsidente­n und seine Manöver, die Wahl Bidens zu verhindern, zunehmend als Last. Am 5. Januar müssen nämlich die Bürgerinne­n und Bürger von Georgia entscheide­n, wen sie als ihre Abgesandte­n in den Senat schicken. Verlieren die Republikan­er beide Senatspost­en, gibt es ein Patt in Washington. Beide Parteien hätten exakt 50 Sitze im Senat, die Stimme der Vizepräsid­entin, die zugleich formell Vorsitzend­e des Senats ist, würde den Ausschlag geben und Biden eine Mehrheit sichern.

Es ist auch der Vizepräsid­ent, der am 6. Januar als oberster Repräsenta­nt des Senats den Sieger der Präsidents­chaftswahl 2020 erklären muss. Ironie der Geschichte: Ausgerechn­et Trumps treuester Gefolgsman­n Michael Pence wird dann den Abschied seines Präsidente­n besiegeln und Joe Biden zum 46. Staatsober­haupt der Vereinigte­n Staaten ausrufen.

Die Republikan­er im Kongress werden ihrem Präsidente­n diesmal nicht folgen

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FOTO: KEVIN DIETSCH/IMAGO IMAGES Trump-Anhänger in Washington.

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