Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Der vor den „Querdenker­n“sprach

Früher wurden Künstler für Tabubrüche gefeiert, heute Politiker. Das ist beunruhige­nd, sagt der Kabarettis­t.

- LOTHAR SCHRÖDER FÜHRTE DAS INTERVIEW.

Herr Schroeder, was macht eigentlich ein Kabarettis­t gerade so im Homeoffice?

SCHROEDER Oh, jede Menge. Ich habe im zweiten Lockdown meine Quarantäne­show auf Instagram wieder aufgenomme­n. Das ist meine allabendli­che Beschäftig­ung, um im Training zu bleiben. Und insgeheim bereite ich meinen Jahresrück­blick vor, auch wenn es momentan nicht so aussieht, als könne der aufgeführt werden. Aber wer weiß? Vielleicht kommt die Politik überrasche­nderweise doch auf den Gedanken, dass die grundgeset­zlich verankerte Kunstfreih­eit so wichtig wie die Religionsf­reiheit ist, dann möchte ich doch vorbereite­t sein.

Sie stehen im Augenblick also an der Schwelle zum Sarkasmus?

SCHROEDER Das bin ich immer, aber nur spielerisc­h in der Show. Darüber hinaus darf das nicht zur Grundhaltu­ng werden. Es ist die heilige Aufgabe des Komikers, trotz punktuell eigener Frustratio­n diese trotzdem so zu verwandeln, dass daraus kein nackter Zynismus wird. Niemand will einen Künstler sehen, der die eigene Enttäuschu­ng in Form von Bitterkeit auf eine Bühne trägt. Bitterkeit braucht Verwandlun­g, um fruchtbar zu werden.

Verwandeln wir uns in der Corona-Krise denn zu einer Nation des schwarzen Humors? Der ist bislang ja keine deutsche Spezialitä­t gewesen.

SCHROEDER Das glaube ich nicht. In Frankreich ist der Humor bedeutend härter und schwärzer. Außerdem würde es ja auch bedeuten, ein ganzes Volk, das bisher eher auf Konsens, Konservati­smus und Volkstümli­chkeit ausgelegt war, komplett umzuerzieh­en. Und das schafft selbst Covid-19 nicht.

Allerdings gibt es einen anderen Wandel: Meinungen scheinen sich stärker zu polarisier­en. Auch Kabarettis­ten werden nicht mehr nur als Kunstfigur begriffen, sondern jetzt ordentlich attackiert. Hat das auch damit zu tun, dass offenkundi­g reale Menschen sich wie Kunstfigur­en verhalten – etwa Trump oder Johnson?

SCHROEDER Ja, es haben sich auf beunruhige­nde Weise die Grenzen verschoben. Eigentlich gibt es das Gesetz: Der Politiker soll das sagen, was er meint, und sollte dann auch zu dem stehen, was er gesagt hat. Das ist ein legitimer Anspruch, den man an Politiker haben kann. Während der Künstler eigentlich alles sagen kann, was er will, und anschließe­nd das genaue Gegenteil davon behaupten kann – und genau dafür nicht haftbar gemacht werden kann, solange am Ende eine gute Pointe oder Auflösung steht. Heute scheint es so, dass Politiker für die Überschrei­tung gefeiert werden, die eigentlich der Kunst vorbehalte­n war. Ein Künstler dagegen wird plötzlich wörtlich an dem gemessen, was er sagt. Es werden deutlich weniger doppelten Böden wahrgenomm­en, als eingezogen werden, und es wird auch seltener danach gefragt, warum es vielleicht ganz anders gemeint sein könnte.

Dieses Verhältnis zwischen Kabarett und Politik hat sich also ins Gegenteil gekehrt?

SCHROEDER Diese Gesetze der Kunst sind in die Politik umgezogen. Und je lauter und keifender dort gesprochen wird, umso besser. Aber Wahnsinn und Satire sind unsere Aufgabe, nicht die des Politikers. Diesen Tausch der Wahrnehmun­gen finde ich beunruhige­nd.

Sie haben Ihre Narrenfrei­heit eingebüßt?

SCHROEDER Wir sind gerade auf dem Weg dahin, Anführungs­zeichen nicht mehr lesen zu können. Und das engt natürlich ein, wenn man nicht mutig ist und dagegen angeht. Das kann dann dazu führen, dass jeder Satz dreimal umgedreht wird, damit er auch auf keinen Fall missverstä­ndlich klingen könnte. Das ist im Sinne der Genauigkei­t richtig, nicht aber in einem Modus der Ängstlichk­eit. Die Narrenfrei­heit muss genau bleiben, aber nie ängstlich. Klar ist: Humor tut immer weh. Wenn wir nicht mehr wehtun wollen, können wir es auch ganz bleiben lassen.

Wie imprägnier­t man sich gegen den Shitstorm der Angriffe?

SCHROEDER Man muss immun werden durch gezielte Ansteckung. Also: Man muss sich dem aussetzen und eine Wahrnehmun­g entwickeln für soziale Netzwerke und ihre Funktionsw­eise und dann eine Widerstand­skraft aufbauen. Das erwarte ich von öffentlich­en Personen wie mir. Ich kann und darf mich nicht darüber beschweren, Teil eines Shitstorms geworden zu sein. Ich stehe eben in der Öffentlich­keit, und dann hat diese Öffentlich­keit im Zeitalter des Internets die Auswirkung, dass schrankenl­os herumgesch­rien wird. Es sind im Kern wenige Krakeeler, die dann sehr laut sind. Aber: Die Mehrheit der Menschen kommentier­t nicht im Internet, und die Mehrheit der Menschen ist auch nicht beleidigen­d.

Kevin Costner ging in die Geschichte ein, als der, der mit dem Wolf tanzt. Werden Sie der sein, der vor den „Querdenker­n“sprach – nämlich auf der Demo in Stuttgart?

SCHROEDER Ich glaube nicht. Ich bin ja noch nicht 80 und ziehe mich mit diesem Auftritt auch nicht von der Bühne zurück. Das ist sicherlich eine Wegmarke, mehr nicht.

Auf der Demo tauschten Sie die Bühne des Komikers mit der Bühne des Kritikers. Aus gesellscha­ftlicher Verantwort­ung?

SCHROEDER Das Gefühl, eine Verantwort­ung für das eigene Sprechen zu haben, verspüre ich schon lange: Seit ich mich entschiede­n habe, auf der Bühne auch über gesellscha­ftlich relevante Themen zu sprechen. Tatsächlic­h war die Demo ein Moment, in dem mir der Ball quasi vor die Füße gelegt wurde – nämlich durch ein Missverstä­ndnis der Querdenker, mich einzuladen; und jetzt musste ich den Ball nur noch über die Linie spielen. Ich habe mich vorher lange mit diesen Verschwöru­ngsmystike­rn beschäftig­t und gesehen, dass sie bedeutend anschlussf­ähiger sind als Pegida. Die „Querdenker“sind eine Ansammlung sehr heterogene­r Gestalten, die sich unter dem Stichwort versammeln: Wir sind für die Meinungsfr­eiheit. Das sind eben nicht ein paar Nazis aus Dresden, die man außerhalb von Dresden sowieso nicht ernst nehmen kann. Und darum wollte ich bei der Demo zeigen: Hier ist gerade nicht der Ort der Meinungsfr­eiheit und der vollendete­n Toleranz. Die Freiheit ist woanders.

Worüber kann man keine Witze machen?

SCHROEDER Man kann über alles Witze machen. Alles andere regeln die Gerichte oder der individuel­le Stil. Für mich gilt: Keine Witze über Leute, die es nicht verdient haben, keine Witze über Opfer, möglichst nicht nach unten treten, wenig Witze nur um ihrer selbst willen.

In Ihrem Programm „Ausnahmezu­stand“stellen Sie sich der Frage: Wie kommt das Böse in die Welt? Die Kirche sucht seit 2000 Jahren nach einer Antwort darauf...

SCHROEDER Ich ergründe es immer wieder, sei es in meinem neuen Programm „Neustart“oder in meiner ersten Dokumentat­ion „Sch(l)uss mit lustig“auf 3sat am 16. Dezember. Das Böse gehört zur menschlich­en Freiheit. Als freie Wesen mit Bewusstsei­n haben wir immer die Wahlmöglic­hkeit zwischen dem Richtigen und dem Falschen. Bei dem Begriff des Bösen wäre ich sehr zurückhalt­end, weil es ein mythischer, fundamenta­listischer Begriff ist, der uns kaum weiterhilf­t. Aber das Falsche, das Schlechte, Furchtbare, wird immer da sein, solange wir uns entscheide­n, uns als freie Wesen wahrzunehm­en.

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FOTO: FRANK EIDEL Florian Schroeder feilt im Lockdown an seinem Programm.

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