Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Noch einmal einkaufen vor dem Lockdown
Warteschlangen, aber kein Gedränge – so war der letzte Verkaufssamstag vor Schließung der Geschäfte. Händler und IHK warnen vor Folgen.
MÖNCHENGLADBACH Als Iris Degenhardt am Samstag um 9.30 Uhr die Tür ihrer Buchhandlung in der Friedrichstraße aufschloss, waren die meisten Geschäfte an der Hindenburgstraße noch zu. Für die Buchhändlerin sind die letzten Wochen vor Weihnachten die betriebsamsten im Jahr. Das ist auch zur Corona-Krise nicht anders. Nun aber folgt ab Mittwoch der harte Lockdown, auf den sich Bund und Länder am Sonntag verständigten. Am letzten Shopping-Samstag vor Weihnachten waren die Einkaufsstraßen in Mönchengladbach noch einmal gut gefüllt. Vor einigen Geschäften bildeten sich Warteschlangen. Laut Handelsverband haben sich Befürchtungen, dass es am dritten Adventswochenende einen übermäßigen Kundenansturm gab, aber nicht bewahrheitet.
Bei Iris Degenhardt sorgte eine Freundin der Buchhändlerin als Türsteherin dafür, dass nicht zu viele Kunden gleichzeitig ins Geschäft drängten. Die Warteschlange vor dem Eingang erneuerte sich – wie auch die Reihe vor der Konditorei Café Heinemann gegenüber – über den Tag stetig.
„Wir sind alle sehr angespannt“, sagte Degenhardt. Sie freute sich über „tolle und verständnisvolle Kunden“, es gebe aber auch Neukunden ohne Bereitschaft zur Einhaltung der Hygienevorschriften. Ein solches Verhalten könne sie nicht dulden. „Unser Weihnachtsgeschäft lief ein bisschen schlechter als in früheren Jahren, steigerte sich aber von Tag zu Tag. Diese Steigerung ist bei uns so üblich. Im Buchhandel arbeiten wir das ganze Jahr ins Minus. Die letzten drei Monate müssen es bringen. In den zehn Tagen vor Weihnachten verdoppelt sich der Umsatz. Der Lockdown kommt, und mit ihm werden uns wichtige Tage fehlen“, befürchtet die Inhaberin. Sie wird auch Bestellungen über Whatsapp und E-Mail annehmen und den eigenen Lieferdienst neu beleben, da sie davon ausgeht, dass die Post den zu erwartenden Versandzuwachs nicht schafft.
Beim Spielwarengeschäft „Die Spieloase“an der Friedrichstraße standen ebenfalls vor der frühen Öffnung um 9.30 Uhr erste Kunden an. Sie zählten zu denen, die sich in Erwartung eines harten Lockdowns an diesem Morgen zeitig auf den Weg gemacht hatten, um dem erwarteten Ansturm auf die Geschäfte zuvorzukommen. „Wir versuchen, die Einkäufe zu maximieren. Jetzt kaufen wir noch ein paar Lebensmittel. Dann sind wir wieder weg“, sagte eine Kundin aus Viersen vor dem
Minto. Sie zeigte sich überzeugt, dass die Entscheidung zum harten Lockdown längst überfällig sei.
Der Handelsverband in Mönchengladbach warnt indes angesichts der Schließungen ab Mittwoch vor drastischen Folgen. „Für den Handel ist das ein großes Desaster“, sagte Jan Kaiser, Geschäftsführer des Handelsverbands in der Stadt. Die Mehrheit der Händler sei noch vom ersten
Lockdown im Frühjahr geschwächt. „Jetzt brauchen wir geschäftsrettende Fördermaßnahmen, sonst wird es für viele sehr schwierig.“Die letzten Tage vor Weihnachten seien für alle Handelsbranchen die wichtigsten, bis zu 70 Prozent des Jahresumsatzes würden je nach Branche jetzt erzielt. Im Durchschnitt geht es für den stationären Handel bei Weihnachten um rund ein Viertel des Jahresumsatzes.
Auch die Industrie- und Handelskammer (IHK) Mittlerer Niederrhein befürchtet, dass für viele innerstädtische Einzelhändler ein neuerlicher Lockdown existenzbedrohend ist. „In den innenstadtrelevanten Sparten ist die Lage sehr schlecht. Das hat unsere Blitzumfrage von Mitte November gezeigt“, warnte IHK-Hauptgeschäftsführer Jürgen Steinmetz. Er erwartet irreparable Schäden für die Innenstädte. Kompensationszahlungen müssten deutlich ausgeweitet werden. Dies sei aber nun auch geschehen. „Die Überbrückungshilfe III ist richtig angelegt“, sagte Steinmetz. Je nach Höhe des Umsatzrückgangs sollen bis zu 90 Prozent der Fixkosten erstattet werden. Im Einzelhandel soll es außerdem Abschlagszahlungen geben.
Steinmetz erwartet ähnlich wie Kaiser für Montag und Dienstag noch einmal gut gefüllte Innenstädte. Es sei gut, dass sich jetzt alle zwei Tage auf den Lockdown einstellen könnten. Steinmetz kritisierte aber das Vorgehen von Bund und Ländern: „Wir quälen uns im Vier-Wochen-Rhythmus zu Entscheidungen, ohne dass eine langfristige Strategie erkennbar ist. Das kann man so nicht länger verfolgen, wir brauchen eine verlässliche Perspektive.“Er wünsche sich sehr, dass die Maßnahmen wirken. „Aber ich befürchte, dass wir am 10. Januar mit dem Ergebnis nicht zufrieden sein werden.“
Viele Kunden in der Gladbacher City wollten am Samstag nicht bummeln, sondern waren zielstrebig unterwegs. Hannelore Stürze etwa hatte die Öffnungszeit des Fachgeschäfts Tee Gschwendner genau abgepasst, um ihren Bedarf zu decken und gleich darauf die Innenstadt wieder zu verlassen. „Dieses Jahr ist das eben so, und danach muss man sich richten. Wenn bis Weihnachten nicht alle Geschenke zusammen sind, dann gibt es die eben im kommenden Jahr. Das muss man pragmatisch sehen“, sagte die 70-Jährige, die keine Einwände gegen einen harten Lockdown hat.
Marco Horst vom Teefachgeschäft hingegen spricht sich dagegen aus, da er einen positiven Effekt bezweifelt. Zum bisherigen Adventsgeschäft stellte er fest: „Es läuft sehr gut, nicht schlechter als in früheren Jahren.“Zufrieden mit der bisherigen Bilanz zeigte sich Christian Lipski vom „La Casa“Wohninterieur an der Wallstraße. Zu den angekündigten Geschäftsschließungen sagte er: „Wir müssen es nehmen, wie es ist.“
Um 10 Uhr war die Wallstraße noch recht leer, doch wenig später füllte sie sich. Mit den öffnenden Geschäften stieg auch die Anzahl der Kunden und Flaneure auf der Hindenburgstraße. Insbesondere auf Höhe der mittleren Einkaufsstraße bildeten sich hier und da Menschentrauben, doch an anderen Stellen blieb auch viel Platz. Im Minto standen Kunden insbesondere vor Borussias Fanshop, Kosmetik Rituals und Juwelier Christ an. Dirk Heinrichs (47) wartete hingegen vor der Tür des Juweliers Hartung, um die vielleicht letzte Chance für den Kauf eines besonderen Weihnachtsgeschenks zu nutzen. Er habe sich bewusst für ein kleineres Geschäft entschieden, um den Trubel zu meiden. Er sei froh über den anstehenden harten Lockdown. Der sei absolut in Ordnung, sagte der ebenfalls wartende Andreas Schüler. Er holte Trauringe für die bevorstehende Hochzeit ab – „bevor wir es nicht mehr dürfen“.