Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Staatsdiener erleben immer mehr Gewalt
Nicht nur Polizei und Ordnungsdienste werden beleidigt, bespuckt und angegriffen. Der DGB startet dagegen eine Kampagne.
MÖNCHENGLADBACH Der Abend, an dem Michael Frehn schwere Kopfverletzungen erlitt, ist schon mehr als zehn Jahre her. Und doch ist er immer noch aktuell. Im August 2010 wurde der Polizei-Hauptkommissar im Dienst von einem Angreifer attackiert, als er gerade im Einsatz einen Verdächtigen fixierte. Der Angreifer trat Frehn mit Anlauf gegen den Kopf, und der Polizist erlitt etliche Knochenbrüche im Gesicht und weitere Verletzungen am Kopf. Er war schwerstverletzt, aber er hatte Glück: Nach drei Monaten war er wieder im Dienst, Folgen hat er nicht davon getragen abgesehen davon, dass seiner Familie beim Gedanken an den Angriff immer noch die Tränen kommen. Diese Tat ist ein Beispiel dafür, mit welchen Angriffen Polizisten, Ordnungskräfte, Feuerwehrleute und Rettungskräfte, aber auch Busfahrer, selbst Pfleger und Kita-Betreuer heute rechnen müssen.
„Mehr als zwei Drittel der Beschäftigten im öffentlichen Sektor haben in den letzten zwei Jahren Beleidigungen, Bedrohungen und tätliche Angriffe erlebt“, sagt Sigrid Wolf vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) in der Region Düsseldorf. Der DGB startet deshalb eine Kampagne, die klar machen soll: Da arbeitet ein Mensch. So lautet auch der Titel, der etwa auf Plakaten zu sehen ist.
Sigrid Wolf sagt: „Die Spannbreite geht dabei bis hin zu Schlägen, Tritten, Spucken, Bedrohung und Angriffen mit Waffen.“Es kann sich um sexitische Beleidigungen handeln, um konkrete Bedrohungen, um respektloses Verhalten, um Widerstände und konkrete Angriffe. Das weiß auch die Stadt: Erst in dieser Woche war bekannt geworden, dass der Kommunale Ordnungs- und Servicedienst (KOS) etwa zu Einsätzen an der Burgmühle in Odenkirchen nur in Begleitung der Polizei ausrückt. Das Gefährdungspotenzial sei zu groß. Burgmühle – genau dort war Frehn vor zehn Jahren angegriffen worden, was dem Täter eine mehrjährige Haftstrafe einbrachte.
Auch die Polizei beobachtet: In der
Tendenz nimmt der Widerstand gegen Polizei- und Vollstreckungsbeamte zu. 2010 waren 93 Fälle in Mönchengladbach registriert worden. 2018 waren es 155, ein Zuwachs um 38,4 Prozent. Wobei die Zahl 2019 auf 136 gesunken ist. Von den 149 Tatverdächtigen waren 123 bereits polizeilich in Erscheinung getreten, 88 waren betrunken, und 16 waren Konsumenten harter Drogen. 70 Prozent
der Angreifer waren Deutsche, wie aus der Kriminalstatistik für 2019 hervorgeht. „Wir sind als Staat für die Bürger da“, sagt Polizeipräsident Mathis Wiesselmann. „Es ist unsäglich, dass wir im öffentlichen Dienst Beleidungen, Angriffe und Körperverletzungen erleben.“Er schließe sich Strafanträgen seiner Beamten deshalb an. Seit einigen Jahren sei zudem erkennbar, dass die Justiz das
Problem ernster nehme und Sanktionen und Verurteilungen gegen Täter ausspreche. „Das ist erfreulich, aber es gibt einen großen Teil Täter, die davon erst beeindruckt werden müssen.“Frehn beobachtet im Dienst einen „Werteverlust in der Gesellschaft. Die Leute wollen Freiheitsrechte in Anspruch nehmen, verletzen aber ihre Pflichten. Situationen eskalieren schnell, das hat sich in den letzten 15 Jahren massiv verändert.“
Ähnliches beobachtet Patrick Sock vom DGB in Mönchengladbach auch etwa bei Rettungskräften und Feuerwehrleuten: „Es gibt immer öfter Widerstände gegen Rettungsmaßnahmen.“Politessen, die nur in Zweiergruppen Parkscheine kontrollieren oder Kita-Erzieher, die auf aggressive Eltern treffen, spürten immer wieder eine Verrohung.
Für Michael Frehn hat sich einiges geändert seit 2010, unter anderem bietet die Dienstausrüstung jetzt besseren Schutz. Er spricht nicht gerne darüber, was 2010 passiert ist. „Aber es ist notwendig, das Thema ist zu wichtig.“