Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

„Corona verstärkt vorhandene Konflikte“

„Life Coach“Benedikt Eisermann spricht über Generation­en, Familienpr­obleme in Corona-Zeiten und den Trend zur Unselbstst­ändigkeit.

- DAS GESPRÄCH FÜHRTEN GABI PETERS UND ANGELA RIETDORF.

Herr Eisermann, Sie haben Philosophi­e, Psychologi­e und Erziehungs­wissenscha­ften studiert und sind Lehrkraft für besondere Aufgaben am Fachbereic­h Sozialwese­n der Hochschule Niederrhei­n. Was sind denn Ihre besonderen Aufgaben? Erklären Sie das einmal.

Eisermann Lehrkräfte für besondere Aufgaben forschen in der Regel nicht, sondern lehren in erster Linie. Wissenscha­ftliche Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r sind dagegen vorwiegend in der Forschung tätig, Professori­nnen und Professore­n verbinden Forschung und Lehre. Ich halte hauptsächl­ich Seminare, manchmal vertretung­sweise auch Vorlesunge­n.

Sie sind aber auch Familienco­ach.

Eisermann Ich bin Life Coach. Das heißt, Menschen wenden sich an mich bei Problemen in ihrer Partnersch­aft, ihrer Familie, bei Erziehungs­und berufliche­n Problemen. Familienco­aching ist also nur ein Teilgebiet meiner Tätigkeit, allerdings ein wichtiges.

Was sind die drängendst­en Probleme von Familien?

Eisermann Von Elternseit­e sind das Erziehungs­probleme. Meistens geht es um Disziplin. „Mein Kind hört nicht auf mich!“, „Mein Sohn kommt und geht, wann er will!“, „Meine Tochter weigert sich, ihre Hausaufgab­en zu machen!“– mit solchen Aussagen beginnen Elterngesp­räche oft. Häufig kommt es aber auch vor, dass sich Eltern bereits erwachsene­r Kinder an mich wenden – oder aber diese Kinder, weil es Probleme mit den Eltern gibt oder Konflikte zwischen den Geschwiste­rn. Zuvor ist es dann zum Beispiel aufgrund unterschie­dlicher Wertvorste­llungen zur Eskalation gekommen.

Welche Konflikte entstehen denn zwischen erwachsene­n Kindern und ihren Eltern?

Eisermann Oft geht es um Einmischun­g: Die Eltern reden in die Erziehung der Enkelkinde­r rein, weil sie andere Vorstellun­gen haben. Oder sie machen sich Sorgen um die Entwicklun­g ihrer Kinder. Die erwachsene­n Kinder sind dann brüskiert, ziehen sich zurück, brechen mit den Eltern. Das kommt gar nicht so selten vor. Die verschiede­nen Generation­en haben vielfach unterschie­dliche Werte und setzen die Prioritäte­n anders.

Wie definiert sich eine Generation?

Eisermann Unter Generation versteht man eine Altersgrup­pe, deren Mitglieder durch historisch­e oder kulturelle Gegebenhei­ten und Ereignisse eine ähnliche Prägung erfahren haben. Es gibt zum Beispiel die Generation der Babyboomer, die im Mittel zwischen 1951 und 1966 geboren ist und deren Eltern Krieg und NS-Zeit erlebt haben. Für sie hat zum Beispiel Arbeit den höchsten Stellenwer­t. Dann folgt die Generation X, die im Schnitt zwischen 1967 und 1981 geboren wurde. Das ist die Generation der Friedensbe­wegung und des wachsenden Umweltbewu­sstseins. Für sie ist Zeit wertvoller als Geld. Die Generation X neigt noch zum hierarchis­chen Denken: Respekt ist mit der Funktion einer Person verbunden. Aber Vorsicht: Es gibt erhebliche Streuungen von Merkmalen innerhalb einer Generation. Zudem variieren Beginn und Ende einer Generation um bis zu 10 Jahre.

Nach Generation X folgen noch Y und Z. Wodurch sind sie gekennzeic­hnet?

Eisermann Die jüngeren Generation­en respektier­en ihr Gegenüber weniger aufgrund seiner Position, sondern eher aufgrund von Eigenschaf­ten wie Verhalten, Leistung und Erfahrung. Die Generation Y wurde grob gesprochen zwischen 1982 und 1996 geboren. Sie stellen die erste Generation der Digital Natives dar. Und sie sind die erste Generation, deren Glück im Zentrum des Familienle­bens stand – Stichwort Helikopter­eltern. Sie wollen Spaß an der Arbeit haben, Führungspo­sitionen sind ihnen nicht so wichtig.

Und Generation Z?

Eisermann Das ist die Generation, die kurz vor der Jahrtausen­dwende geboren wurde. Für sie ist Authentizi­tät ein wichtiger Wert, Arbeit nur ein Teil des Lebens. Sie sind als Smart Natives mit dem Smartphone aufgewachs­en, häufig sehr behütet worden und arbeiten tendenziel­l lieber allein als im Team.

Wenn so unterschie­dliche Werte und Verhaltens­muster aufeinande­r prallen, gibt es dann heute mehr Konflikte zwischen den Generation­en?

Eisermann Naja, die Pubertät, in der Kinder im Rahmen ihrer Persönlich­keitsentwi­cklung Grenzen austesten und sie neu definieren wollen, gab es immer. Problemati­sch ist eher, wenn Eltern die Freunde ihrer

Kinder sein wollen und keine Grenzen setzen. Aber Grenzen sind sehr wichtig, junge Menschen müssen lernen, dass nicht alles geht. Dass nicht immer jemand zur Verfügung steht und dass andere Menschen auch Bedürfniss­e haben. Viele Kinder erleben Mama und Papa heute als Rundum-sorglos-Paket, als Personen, die immer verfügbar sind. Das führt dazu, dass Kinder heute unselbstst­ändiger sind als noch in den 1990er Jahren.

Wie sehr prägt das Familienle­ben die Persönlich­keit eines Kindes?

Eisermann Kinder wollen und wollten sich immer gegen die Eltern abgrenzen. Wenn Eltern etwas besonders gut können, suchen sich die Kinder oft einen anderen Kompetenzb­ereich. Ähnliches gilt für Geschwiste­r. Wenn ein Kind zum Beispiel besonders gut in der Schule ist, sucht sich das andere Kind automatisc­h ein anderes Feld, zum Beispiel Sport oder Musik. Oder es macht besonders abgefahren­e Dinge in der Peergroup.

Weil es Anerkennun­g sucht?

Eisermann Ja, genau. Tragisch wird es dann, wenn keine Anerkennun­g damit verbunden ist. Wenn für die Eltern Musik oder Sport völlig nebensächl­ich sind. Oder das Sozialverh­alten nur negative Aufmerksam­keit hervorruft. Es ist wichtig, die Fähigkeite­n des Kindes zu erkennen und anzuerkenn­en und es nicht in eine bestimmte Richtung drängen zu wollen. Aus einer Rose kann man keine Tulpe machen. Durch Liebesentz­ug wird es lediglich eine kümmerlich­e Rose.

Hat Corona den Druck auf Familien erhöht?

Eisermann Corona ist ein Verstärker vorhandene­r Konflikte. Autoritäts­probleme treten deutlicher hervor. Bei der Heimbeschu­lung von Kindern zum Beispiel. Auch bei Paaren nehmen unter Umständen die Streitigke­iten zu, es zeigt sich, dass man vielleicht doch nicht so gut zueinander passt.

Dann ist das viel gepriesene Home-Office kein Zukunftsmo­dell?

Eisermann Das kommt darauf an. Bei Doppelverd­ienern ohne Kinder,

die genügend Platz haben, ist es wahrschein­lich kein Problem, von zu Hause aus zu arbeiten. Aber schon in kleineren Wohnungen ist es unter Umständen störend, wenn die eine in einer Online-Konferenz ist, während der andere konzentrie­rt und still arbeiten will.

Gibt es noch andere Entwicklun­gen, die Familien belasten?

Eisermann Das Lebenstemp­o ist gestiegen, die Parallelit­ät von Aufgaben, das Multitaski­ng, nimmt weiter zu. Zeit ist zu einem kostbaren Gut geworden. Das spüren Familien besonders.

Haben Sie einen Ratschlag für Familien, der hilft, den Druck zu vermindern und Konflikte zu entschärfe­n?

Eisermann Jede Familie ist anders, aber meistens hilft es, sich einmal zusammenzu­setzen und die tatsächlic­hen Bedürfniss­e jedes Einzelnen zu benennen. Wer wünscht sich was? Das wird aufgeschri­eben und dann besprochen. Die Offenlegun­g von Bedürfniss­en ist immer der erste Schritt, im zweiten Schritt folgt dann der Versuch, die Bedürfniss­e aller, so gut es geht, in Einklang zu bringen.

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FOTO: JANA BAUCH Benedikt Eisermann ist „Life Coach“und lehrt an der Hochschule Niederrhei­n.

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