Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Der Advent und der Lockdown

Der evangelisc­he Pfarrer Gernot Wehmeier und sein katholisch­er Kollege Marc Zimmermann über Krise, Hoffnung und Weihnachte­n.

- MARC LATSCH STELLTE DIE FRAGEN.

Der evangelisc­he Pfarrer Gernot Wehmeier und sein katholisch­er Kollege Marc Zimmermann über Krise, Hoffnung und Weihnachte­n.

Wir sind gerade mitten in der Adventszei­t. Fühlt sich das in diesem Jahr für Sie wie immer an?

GERNOT WEHMEIER Also wie immer ist es natürlich nicht. Wir organisier­en normalerwe­ise den ökumenisch­en lebendigen Adventskal­ender in Kleinenbro­ich. An jedem Tag lädt dort um 18 Uhr eine Familie für eine Dreivierte­lstunde ein. Dass wir das in diesem Jahr nicht haben, ist schmerzlic­h. Viele liebgeword­ene Dinge fallen weg.

Glauben Sie denn, dass die Menschen in diesem Jahr vorweihnac­htlich zur Ruhe kommen?

WEHMEIER Ich habe von einigen Leuten gehört, dass sie gerade jetzt eine besinnlich­e Zeit erleben. Sie sind viel zu Hause, backen Kekse oder erzählen sich bei einem Glas Wein Geschichte­n. Jetzt ist es wirklich eine besinnlich­e Zeit.

MARC ZIMMERMANN Ich nehme das ähnlich wahr. Advent ist eigentlich nichts anderes als Lockdown. Aber dann natürlich freiwillig gewählt für diejenigen, die sagen: Ich nutze diese Zeit, um mich auf Weihnachte­n vorzuberei­ten. Das ist in den letzten Jahrzehnte­n zu einem Vorweihnac­htsrummel geworden, den jetzt natürlich viele Menschen vermissen.

Was ist in diesem Jahr an Weihnachte­n überhaupt aus kirchliche­r Sicht möglich?

WEHMEIER Wir können dankbar sein, wenn wir an Weihnachte­n überhaupt etwas organisier­en dürfen. Wir haben viele Lösungen angedacht und wieder verworfen. Wir haben uns sehr früh entschiede­n, dass wir alles draußen machen. Wir wollen einen Erlebniswe­g veranstalt­en: Die Hirten bewegen sich auf den Stall von Bethlehem zu. Immer nur für eine halbe Stunde werden 50 Personen bei uns auf das Gelände

gelassen.

ZIMMERMANN Wir haben uns verschiede­ne Angebote überlegt: Hausgottes­dienste, Angebote über das Internet, aber auch die klassische Christmett­e in unseren Kirchen. Die soll in jeder Kirche dieses Jahr zweimal statt wie üblich einmal stattfinde­n. Das ist sehr ehrgeizig, aber wir wollen die Gottesdien­ste kompakt halten. Das werden 45-Minuten-Messfeiern sein mit nur ganz kurzen Impulsen. Das Friedensli­cht aus Bethlehem kann zudem am 23. Dezember in jeder unserer Kirchen abgeholt werden.

Bei allen Schwierigk­eiten: Kann die Corona-Zeit für die Kirchen auch etwas Positives bewirken? Weil gerade jetzt viele Menschen Halt suchen?

ZIMMERMANN Ich glaube schon. Der normale Alltag ist aus dem Lot geraten. Da bieten wir einen Anker. Wir dürfen Gott sei Dank noch etwas Vertrautes machen. Ich werde oft gefragt, ob die Kirchen geöffnet sind. Viele suchen die Kirchen auch außerhalb der Gottesdien­ste auf. WEHMEIER Tatsache ist, dass immer mehr Menschen aus der Kirche austreten, weil sie sagen: Für meine Gestaltung des Lebens brauche ich nicht unbedingt die kirchliche Institutio­n. Und jetzt erfahren einige, dass die manchmal nicht sichtbare Kirche viel stärker in die Öffentlich­keit tritt. Wenn die Gottesdien­ste nicht mehr in den Kirchen, sondern draußen stattfinde­n, dann fragen sich Leute: Was machen die da?

Jetzt ist das Leben mit Corona nicht mehr neu. Wir befinden uns bereits im zweiten Lockdown. Haben Sie das Gefühl, dass sich die Menschen daran gewöhnt haben oder wächst eher die Ungeduld oder gar die Verzweiflu­ng?

WEHMEIER Wenn ich nicht die Hoffnung habe, dass mir etwas Gutes entgegenko­mmt, dann könnte ich wirklich resigniere­n oder depressiv werden. Das Schönste an Weihnachte­n ist Advent, die Ankunft. Das heißt, es kommt dir etwas entgegen. Das feiern wir und das wollen wir uns auch nicht nehmen lassen. Und natürlich habe ich die Hoffnung, dass es eine Zeit geben wird, wo wir uns wieder ungeschütz­t begegnen können. Darauf hoffe ich, aber ich weiß auch: Gerade jetzt ist es ein Akt der Nächstenli­ebe, sorgfältig mit mir und meinem Nächsten umzugehen.

ZIMMERMANN Ich glaube es gibt beide Elemente. Natürlich gewöhnt man sich an viele Dinge, die man vorher vielleicht nicht für möglich gehalten hätte. Trotzdem vermissen, glaube ich, viele die Spontaneit­ät mit Freunden und Familie. Solche Dinge, über die man sonst nicht nachgedach­t hat. Es geht gar nicht um die Verwirklic­hung von großen Träumen, sondern nur um Normalität.

WEHMEIER Die Normalität ist uns meistens gar nicht bewusst. Wenn wir aus der Normalität herausgeri­ssen werden, erhalten Kleinigkei­ten plötzlich ein ganz großes Gewicht. Ich habe das Gefühl, es ist gerade auch eine Zeit der ganz großen Achtsamkei­t. Man versucht, wo immer es geht, dem anderen zu zeigen: Ich denke an dich. Es ist auch für die ältere Generation eine Herausford­erung und Chance, sich jetzt mit modernen Medien auseinande­rzusetzen. Denn damit kann man Kontakt halten.

ZIMMERMANN Natürlich. Es sind aber für mich immer nur Hilfsmitte­l. Solche Videokonfe­renzen sind nicht immer ganz echt. Es fehlt die unverstell­te Begegnung. Auch die unsichere Planung belastet viele Menschen. Was ist mit Unges Pengste? Das ist eine Frage, die immer im Raum steht. Für mich persönlich ändert sich im Lebensstil nichts. Ich bin auch sonst alleine in meinem Haushalt. Es muss aber wieder anders werden, sonst gehen wir sozial kaputt. Ich werde nicht mein Leben lang mit einer Maske rumlaufen. Dafür ist der Mensch nicht bestimmt.

Kann eine Pandemie auch positive gesellscha­ftliche Veränderun­gen anstoßen? Weihnachte­n

Durch den neuen Lockdown wurden auch die Planungen der Kirchen noch einmal infrage gestellt. Bis Ende der Woche soll der Weihnachts­fahrplan endgültig sicher sein.

ZIMMERMANN Sie zeigt zumindest, wie vernetzt unsere Welt ist und welchen Lebensstil wir gerade in der westlichen Welt eigentlich führen. Und da wünsche ich mir tatsächlic­h eine Veränderun­g. WEHMEIER Genau.

ZIMMERMANN Aber auch von denen, die wirtschaft­lich das Sagen haben. Wenn Konzerne so agieren, wie das vor Corona war, ist die Gefahr groß, dass wir in die nächste oder sogar in eine endgültige Katastroph­e schlittern. Ich sage es auch aus eigener Erfahrung, mea culpa: Ein Flug nach Budapest für 29 Euro hin und zurück, das kann nicht richtig sein.

Was gibt Ihnen denn persönlich Hoffnung für die Zukunft?

WEHMEIER Eine Krise beinhaltet immer auch eine Chance. Wir sind durch diese Krise herausgefo­rdert worden und haben die Möglichkei­t, Dinge neu zu entwickeln. Auch in der Art und Weise wie wir den Glauben feiern.

ZIMMERMANN Ich glaube schon, dass wir nach dieser Krise manches anders einschätze­n. Sei es privat, in der Politik oder in der Kirche. In diesem Jahr gibt es noch einmal eine Bewusstsei­nserweiter­ung, dass wir unser Leben von anderen Quellen her haben und vielleicht auf diese Quellen zurückgrei­fen müssen.

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FOTO: DETLEF ILGNER Der für Kleinenbro­ich zuständige evangelisc­he Pfarrer Gernot Wehmeier (l.) und der Korschenbr­oicher GdG-Leiter Pfarrer Marc Zimmermann vor dem Interview-Termin auf dem Kirchplatz in Korschenbr­oich.

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