Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Soll der Baum erst Heiligabend stehen?
Zwei unserer Autoren legen dar, wann sie ihren Weihnachtsbaum aufstellen – und warum nicht früher oder später.
Es gibt in diesen Tagen sicher wichtigeres als die Frage, wann denn nun der Tannenbaum aufgestellt werden darf. Und doch sollte Grundsätzliches nicht einfach so zur Seite geschoben werden. Schmiert man auf ein Nutella-Brötchen vorher Butter? Burger mit oder ohne Messer und Gabel essen? Heißt es nun Twix oder doch noch immer Raider?
Tatsächlich geht es um reines Marketing, um Psychologie und Gefühlsduselei. Die Baumfrage ist damit ein gutes Beispiel dafür, wie leicht wir auszutricksen sind. Wenn „Last Christmas“schon Anfang September aus dem Radio dudelt und wenig später die Download-Charts bei Spotify anführt, erdulde ich das. Wenn sich Supermärkte darin überbieten, wer als erster Spekulatius und Lebkuchen in den Regalen stehen hat, nehme ich das hin.
Ja
Dinge werden beliebig, verlieren an Wert, wenn sie immer verfügbar sind – so wie beim Fußball, der mittlerweile fast 365 Tage im Jahr rollt.
Weihnachten sollte alles sein, aber niemals beliebig. Es ist der Duft von Vanille und Zimt, das Geschrei, wenn Geschwister aufeinander losgehen, weil sie im Wahn von zu vielen Geschenken keinen Verwandten mehr kennen. Es ist das Fest, an dem auch mal Tränen kullern, weil sich Wünsche nicht erfüllt haben, oder man sich einsam fühlt.
Weihnachten ist dieser magische Moment, wenn du in den Raum kommst, und da steht dieser Baum. Mal krumm, mal schief, mal mickrig, mal überdimensioniert, mal so kahl, als wäre er noch aus dem Vorjahr übrig geblieben. Jeder ist anders, aber alle sind besonders. Manchmal lohnt es sich, die Welt noch einmal mit Kinderaugen zu sehen, sich das Wertvolle zurückzuerobern. Natürlich kann man den
Baum schon im November aufstellen, weil man dann mehr davon hat. Natürlich kann man es gemütlich finden, schon früh etwas Grün ins Haus zu holen. Darf man das? Natürlich. Sollte man es? Nein, denn der Feind der Magie ist die Entzauberung. Die Nummer mit dem vorgezogenen Aufstellen des Weihnachtsbaums kommt aus den USA und ist dort kultiviert worden, um zu mehr Konsum anzuregen.
Weihnachten sollte kein Überbietungswettbewerb sein. Innehalten. Traditionen bewahren. Alles hat seine Zeit, und das ist gut so. Deshalb wird unser Baum auch in diesem Jahr erst am 24. Dezember geschmückt, kurz vor der Bescherung schalten wir zum ersten Mal die Lichter an. Spießig. Verlässlich. Jahr für Jahr.
Ich kenne Familien, in denen schmückt – so zumindest die offizielle Version – das Christkind persönlich an Heiligabend den Weihnachtsbaum (allerdings muss ein Elternteil zu Hause sein und ihm die Tür öffnen). Ganz so war es in meiner Kindheit nicht, aber dass der Baum erst am 24. Dezember aufgestellt wird, habe ich erst Jahre später infrage gestellt. Welche Verschwendung!
Denn was gibt es Schöneres als einen geschmückten Baum in der Vorweihnachtszeit? Die Wochen vor dem Fest sind für mich die wärmsten und fröhlichsten des Winters, obwohl das Erlebnis dieses Jahr leider getrübt ist. Trotzdem: Nach Weihnachten werden Kälte und frühe Abenddämmerung zu ungeliebten Zeichen, dass es noch lange hin ist bis zum Sommer; in der Adventszeit bilden sie dagegen den richtigen Rahmen für Keksback-Orgien,
Nein
vergnügtes Abspielen von Weihnachtsliedern in Dauerschleife, den Genuss zu süßen Glühweins (auch auf dem eigenen Balkon) und das 100. Mal „Ist das Leben nicht schön?“im Fernsehen. Genau in diese Stimmung passt ein Weihnachtsbaum, vor allem nach Einbruch der Dämmerung, also quasi ab der Mittagszeit, weil man da ein bisschen Licht brauchen kann. Jetzt mehr denn je. In Jahren ohne Pandemie können wochenlang alle Besucher den Baum bewundern („gut gewachsen und nadelt kaum“) und den Schmuck, den man drangehängt und wie geschickt man die Stelle mit den zu kurzen Zweigen zur Wand gedreht hat.
Auch Nachhaltigkeit ist zu Recht ein wichtiges Thema, weswegen wir über Leih-Bäume und Bio-Bäume ernsthaft öfter sprechen sollten. Zumindest aber soll- te ein Baum, der für seine Verwendung als Christbaum gefällt wurde, solange wie möglich seine Arbeit tun dürfen – und wenn man wie ich nach Weihnachten die Tanne gerne schnell wieder los ist, muss man eben früher anfangen.
Denn wenn „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“geschaut und der Braten gegessen ist, dann denke ich langsam schon darüber nach, wie mühsam wohl das leidige Abschmücken wird. Und das erledige ich lieber, so lange die Weihnachtswärme noch glimmt und noch ein paar Vanillekipferln zur Stärkung da sind, und das ist meist nur vor Silvester; und zwar auch, wenn dieses Jahr kein Besuch zum Mitessen kommt.