Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Mit den Füßen abgestimmt
Die Friedenskirche hat eine bewegte Geschichte hinter sich. Schon bevor sie überhaupt geplant war, sorgte sie für Diskussionen.
RHEYDT Unter dem Aspekt „Heimat“betrachtet, zeigt der Umgang mit der Friedenskirche in mehrfacher Hinsicht das durchaus nicht unproblematische Verhältnis von christlicher Tradition und „Weltverwurzelung“. Ob die Friedenskirche, mitten in Bonnenbroich im Herzen der Rheydter Heimat also, am Ende so etwas wie Heimat gewesen ist, ob Menschen sich dort tatsächlich „beheimatet“gefühlt haben, mag auf den ersten Blick und mit Verweis auf die Diskussionen, die bei ihrem Verkauf öffentlich geführt wurden, vielleicht nahe liegen.
Jedenfalls weisen die Reaktionen vieler Menschen im Bezirk bei ihrem Verkauf darauf hin. Dennoch muss die Frage gestellt werden, ob die Friedenskirche nicht viel mehr als Heimat, vor allem ein Symbol für die Präsenz der evangelischen Gemeinde in Rheydt, gewesen ist. Und möglicherweise war gerade deshalb der Verlust dieses Zeichens so schmerzhaft, weil es zugleich auch ein Relevanzverlust für den Stadtteil und der Prozess des Loslassens so unumkehrbar war. Und schließlich: Möglicherweise sind hier auch Grundzüge eines ohnehin problematischen Verhältnisses in der christlichen Tradition zur „irdischen“Heimat zu entdecken.
Nach einer wechselvollen Geschichte als jugendstilausgemalte „Filialkirche“der großen Hauptkirche, der fast vollständigen Zerstörung im Zweiten Weltkrieg und dem Wiederaufbau in den 1950er Jahren – jetzt vollkommen schmucklos – entscheidet sich 1996 die Gemeinde nach gründlichen Überlegungen, bei denen der erhebliche Sanierungsbedarf, die zurückgehenden Gottesdienstbesucherzahlen und fehlende finanzielle Spielräume eine Rolle spielen, dazu, die Friedenskirche für eine Mark an die Gemeinnützige Kreisbau zu verkaufen, die diese in den folgenden Jahren saniert und in Wohnraum umbaut.
Zuvor entbrennt in der Gemeinde, vor allem aber im Stadtteil, eine heftige Diskussion um die Erhaltung des Gebäudes. In diesem Zusammenhang fällt auch der Satz, der später zu einem geflügelten Wort wird:
„Die Abstimmung, die wir mit unseren Füßen machen konnten, hat die Friedenskirche verloren!“
Ein „Förderverein Friedenskirche“entwickelt rege Aktivität zum Erhalt des Gebäudes in kirchlicher Trägerschaft und begründet dies unter anderem damit, dass das Kirchengebäude auch ein Identifikationsobjekt des Stadtteils sei. Mit Flugblattaktionen und Leserbriefen versucht der Förderverein Einfluss auf die Entscheidung des Presbyteriums zu nehmen. Schließlich gelingt es dem Vorsitzenden des Fördervereins auch, eine Arbeitsgruppe der Jusos zu einer Fragebogenaktion im Bezirk zu bewegen.
In einem weiteren Flugblatt führt er dazu aus: „Anschließend hat die Juso-AG Rheydt-Mitte eine Umfrage bei verschiedenen sonntäglichen Gottesdiensten in der Friedenskirche, im Franz-Balke-Haus und im Jugendgottesdienst durchgeführt. Ergebnis dieser Umfrage ist, dass ca. 40
Prozent der Befragten die Friedenskirche in unveränderter Größe und Gestalt wünschen und ca. 45 Prozent zumindest eine Teilnutzung als Kirche befürworten. Nur 15 Prozent sind für einen Verkauf der Kirche. (…)“. Das Presbyterium weist die Ergebnisse mit dem Hinweis zurück, die Unterschriften stammten nicht von Gemeindegliedern.
Am 20. September findet der letzte Gottesdienst in der Friedenskirche statt. Es ist ein Zentralgottesdienst. Noch einmal kommt die Gemeinde in großer Zahl zusammen. Pfarrer Albrecht Fischer hält die Predigt. Er schließt mit den Worten: „Liebe Gemeinde, wir nehmen heute Abschied von der Friedenskirche als Gottesdienststätte. Es ist, geistlich gesehen, ein Akt der Demut, des Mutes zur Wirklichkeit, das zu tun. Es ist auch ein Schritt der Trennung. Aber dennoch bleiben wir unter der starken Hand unseres Gottes, der für uns sorgt.“
Die Geschichte der Friedenskirche in Rheydt ist ein Beispiel für die prägende Kraft eines Kirchengebäudes für sehr verschiedene Formen von Beheimatung. So ist die Geschichte eine Geschichte von Tradition und Innovation, von der Beheimatung im Hier und Jetzt und zugleich von reformierter Ungebundenheit und Pragmatismus. An der Friedenskirche lässt sich beispielhaft zeigen, dass „Heimat“nicht nur als Rekurs auf Wohnort, Quartier oder Stadtteil zu verstehen ist, sondern häufig eine Frage der Identität ist. Eine solche Identität kann eigene Merkmale ausprägen, die möglicherweise auch in Konflikt stehen zu traditionellen Heimatbegriffen, dabei aber nichtsdestotrotz eine Form der Bindung und
Beziehung abbilden. Die Auseinandersetzungen, die um die Friedenskirche geführt wurden, gingen über den Gemeindekontext weit hinaus. Das Kirchengebäude war auch für diejenigen, die sich nicht zur Kirche zählten, ein Ort besonderer Dignität.
Im August 2001 wird die Friedenskirche als Wohnhaus „in Betrieb genommen“. „Wohnen statt Beten“titelt die Rheinische Post. Die Gemeinnützige Kreisbau hatte während der etwa zweijährigen Umbauzeit 1270 Quadratmeter Wohnfläche geschaffen, verteilt auf 18 Wohnungen in einer Größe zwischen 60 und 90 Quadratmetern. Es wurden 4,9 Millionen Mark aufgewendet. Davon waren über 70 Prozent Fördermittel von Stadt und Land.
Für kurze Zeit war noch überlegt worden, ob die Gemeinde innerhalb des Gebäudes einen Andachtsraum nutzen sollte. Dieses Angebot der Kreisbau wurde vom Presbyterium mit Dank abgelehnt – die Entscheidung sollte endgültig sein. Auch schwebte der Kreisbau vor, der Gemeinde ein Mitspracherecht bei der Auswahl der Mieter zu gewähren – sicher auch, um damit den „Frieden“im Bezirk zu gewährleisten. Aber auch das ist nicht zustande gekommen und erwies sich in der Folge auch als überflüssig.
Heute ist die Bewohnerschaft der Friedenskirche ein Spiegel des Stadtteils. Christen, Nichtchristen und Muslime leben dort zum Teil seit mehreren Generationen. Mieterinnen und Mieter werden noch immer auf die besondere Bedeutung des Gebäudes hingewiesen. Die „Wohnkirche“ist identitätsstiftender Bestandteil des Quartiers. Nach Beschluss des Presbyteriums sind nach der Schließung der Friedenskirche Kanzel, Abendmahlstisch und Bänke in andere kirchliche Gebäude der Gemeinde überführt worden. Sie sind bis heute in Gebrauch. Die Glocken der Friedenskirche haben eine neue Heimat in der Petri-Pauli Kirche in Moskau.