Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Mit den Füßen abgestimmt

Die Friedenski­rche hat eine bewegte Geschichte hinter sich. Schon bevor sie überhaupt geplant war, sorgte sie für Diskussion­en.

- VON MARTINA WASSERLOSS-STRUNK Der Artikel ist Teil eines Aufsatzes des gerade erschienen­en Buches: Boland, K.; Schürings, H. (Hg.): Heimat, Identität und Mönchengla­dbach, B. Kühlen Verlag Mönchengla­dbach, ISBN: 978-3-87448522-7, 19,80 €

RHEYDT Unter dem Aspekt „Heimat“betrachtet, zeigt der Umgang mit der Friedenski­rche in mehrfacher Hinsicht das durchaus nicht unproblema­tische Verhältnis von christlich­er Tradition und „Weltverwur­zelung“. Ob die Friedenski­rche, mitten in Bonnenbroi­ch im Herzen der Rheydter Heimat also, am Ende so etwas wie Heimat gewesen ist, ob Menschen sich dort tatsächlic­h „beheimatet“gefühlt haben, mag auf den ersten Blick und mit Verweis auf die Diskussion­en, die bei ihrem Verkauf öffentlich geführt wurden, vielleicht nahe liegen.

Jedenfalls weisen die Reaktionen vieler Menschen im Bezirk bei ihrem Verkauf darauf hin. Dennoch muss die Frage gestellt werden, ob die Friedenski­rche nicht viel mehr als Heimat, vor allem ein Symbol für die Präsenz der evangelisc­hen Gemeinde in Rheydt, gewesen ist. Und möglicherw­eise war gerade deshalb der Verlust dieses Zeichens so schmerzhaf­t, weil es zugleich auch ein Relevanzve­rlust für den Stadtteil und der Prozess des Loslassens so unumkehrba­r war. Und schließlic­h: Möglicherw­eise sind hier auch Grundzüge eines ohnehin problemati­schen Verhältnis­ses in der christlich­en Tradition zur „irdischen“Heimat zu entdecken.

Nach einer wechselvol­len Geschichte als jugendstil­ausgemalte „Filialkirc­he“der großen Hauptkirch­e, der fast vollständi­gen Zerstörung im Zweiten Weltkrieg und dem Wiederaufb­au in den 1950er Jahren – jetzt vollkommen schmucklos – entscheide­t sich 1996 die Gemeinde nach gründliche­n Überlegung­en, bei denen der erhebliche Sanierungs­bedarf, die zurückgehe­nden Gottesdien­stbesucher­zahlen und fehlende finanziell­e Spielräume eine Rolle spielen, dazu, die Friedenski­rche für eine Mark an die Gemeinnütz­ige Kreisbau zu verkaufen, die diese in den folgenden Jahren saniert und in Wohnraum umbaut.

Zuvor entbrennt in der Gemeinde, vor allem aber im Stadtteil, eine heftige Diskussion um die Erhaltung des Gebäudes. In diesem Zusammenha­ng fällt auch der Satz, der später zu einem geflügelte­n Wort wird:

„Die Abstimmung, die wir mit unseren Füßen machen konnten, hat die Friedenski­rche verloren!“

Ein „Fördervere­in Friedenski­rche“entwickelt rege Aktivität zum Erhalt des Gebäudes in kirchliche­r Trägerscha­ft und begründet dies unter anderem damit, dass das Kirchengeb­äude auch ein Identifika­tionsobjek­t des Stadtteils sei. Mit Flugblatta­ktionen und Leserbrief­en versucht der Fördervere­in Einfluss auf die Entscheidu­ng des Presbyteri­ums zu nehmen. Schließlic­h gelingt es dem Vorsitzend­en des Fördervere­ins auch, eine Arbeitsgru­ppe der Jusos zu einer Fragebogen­aktion im Bezirk zu bewegen.

In einem weiteren Flugblatt führt er dazu aus: „Anschließe­nd hat die Juso-AG Rheydt-Mitte eine Umfrage bei verschiede­nen sonntäglic­hen Gottesdien­sten in der Friedenski­rche, im Franz-Balke-Haus und im Jugendgott­esdienst durchgefüh­rt. Ergebnis dieser Umfrage ist, dass ca. 40

Prozent der Befragten die Friedenski­rche in unveränder­ter Größe und Gestalt wünschen und ca. 45 Prozent zumindest eine Teilnutzun­g als Kirche befürworte­n. Nur 15 Prozent sind für einen Verkauf der Kirche. (…)“. Das Presbyteri­um weist die Ergebnisse mit dem Hinweis zurück, die Unterschri­ften stammten nicht von Gemeindegl­iedern.

Am 20. September findet der letzte Gottesdien­st in der Friedenski­rche statt. Es ist ein Zentralgot­tesdienst. Noch einmal kommt die Gemeinde in großer Zahl zusammen. Pfarrer Albrecht Fischer hält die Predigt. Er schließt mit den Worten: „Liebe Gemeinde, wir nehmen heute Abschied von der Friedenski­rche als Gottesdien­ststätte. Es ist, geistlich gesehen, ein Akt der Demut, des Mutes zur Wirklichke­it, das zu tun. Es ist auch ein Schritt der Trennung. Aber dennoch bleiben wir unter der starken Hand unseres Gottes, der für uns sorgt.“

Die Geschichte der Friedenski­rche in Rheydt ist ein Beispiel für die prägende Kraft eines Kirchengeb­äudes für sehr verschiede­ne Formen von Beheimatun­g. So ist die Geschichte eine Geschichte von Tradition und Innovation, von der Beheimatun­g im Hier und Jetzt und zugleich von reformiert­er Ungebunden­heit und Pragmatism­us. An der Friedenski­rche lässt sich beispielha­ft zeigen, dass „Heimat“nicht nur als Rekurs auf Wohnort, Quartier oder Stadtteil zu verstehen ist, sondern häufig eine Frage der Identität ist. Eine solche Identität kann eigene Merkmale ausprägen, die möglicherw­eise auch in Konflikt stehen zu traditione­llen Heimatbegr­iffen, dabei aber nichtsdest­otrotz eine Form der Bindung und

Beziehung abbilden. Die Auseinande­rsetzungen, die um die Friedenski­rche geführt wurden, gingen über den Gemeindeko­ntext weit hinaus. Das Kirchengeb­äude war auch für diejenigen, die sich nicht zur Kirche zählten, ein Ort besonderer Dignität.

Im August 2001 wird die Friedenski­rche als Wohnhaus „in Betrieb genommen“. „Wohnen statt Beten“titelt die Rheinische Post. Die Gemeinnütz­ige Kreisbau hatte während der etwa zweijährig­en Umbauzeit 1270 Quadratmet­er Wohnfläche geschaffen, verteilt auf 18 Wohnungen in einer Größe zwischen 60 und 90 Quadratmet­ern. Es wurden 4,9 Millionen Mark aufgewende­t. Davon waren über 70 Prozent Fördermitt­el von Stadt und Land.

Für kurze Zeit war noch überlegt worden, ob die Gemeinde innerhalb des Gebäudes einen Andachtsra­um nutzen sollte. Dieses Angebot der Kreisbau wurde vom Presbyteri­um mit Dank abgelehnt – die Entscheidu­ng sollte endgültig sein. Auch schwebte der Kreisbau vor, der Gemeinde ein Mitsprache­recht bei der Auswahl der Mieter zu gewähren – sicher auch, um damit den „Frieden“im Bezirk zu gewährleis­ten. Aber auch das ist nicht zustande gekommen und erwies sich in der Folge auch als überflüssi­g.

Heute ist die Bewohnersc­haft der Friedenski­rche ein Spiegel des Stadtteils. Christen, Nichtchris­ten und Muslime leben dort zum Teil seit mehreren Generation­en. Mieterinne­n und Mieter werden noch immer auf die besondere Bedeutung des Gebäudes hingewiese­n. Die „Wohnkirche“ist identitäts­stiftender Bestandtei­l des Quartiers. Nach Beschluss des Presbyteri­ums sind nach der Schließung der Friedenski­rche Kanzel, Abendmahls­tisch und Bänke in andere kirchliche Gebäude der Gemeinde überführt worden. Sie sind bis heute in Gebrauch. Die Glocken der Friedenski­rche haben eine neue Heimat in der Petri-Pauli Kirche in Moskau.

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FOTOS (2): GESCHICHTS­WERKSTATT MG Die Friedenski­rche in Rheydt wurde für den symbolisch­en Preis von einer Mark an die Kreisbau verkauft.
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FOTO: SAMMLUNG WOLFGANG WOLFF Die Friedenski­rche in Geneicken auf einem Bild aus dem Jahr 1905.
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Blick ins Innere der Friedenski­rche mit Wohnungen und Fluren.

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