Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Bei Therapeuten wächst die Warteliste der Patienten
Wegen des Fachkräftemangels können Praxen nicht mehr Dienste anbieten. Dabei nimmt gerade jetzt die Zahl der Menschen, die Hilfe brauchen, stark zu.
MÖNCHENGLADBACH Jutta Junker und Richard Siekman schlagen Alarm. Die Ergotherapeutin, die in Winkeln eine Praxis und eine Reittherapie betreibt, und der Physiotherapeut mit einer Praxis in der Innenstadt sehen in eine düstere Zukunft. „Der Fachkräftemangel bei den Therapieberufen, ob Physiooder Ergotherapeuten, Logopäden, Masseure, Diätassistenten oder Podologen, spitzt sich zu“, beklagt Claudia Becker, die die beiden Therapeuten medial unterstützt. Die Berufe seien für viele Interessenten nicht mehr attraktiv. Ein Grund dafür sei, dass die Berufe immer noch nicht schulgeldfrei seien und zudem nicht angemessen vergütet würden.
„Es gibt kaum Bewerber auf dem Markt“, beklagt Siekman, der seine Praxis gerne vergrößern würde. Wegen der fehlenden Therapeuten und der zunehmenden Behandlungsfälle wachse die Warteliste der Patienten, sagt Jutta Junker. Und: „Ich habe allein 100 Kinder auf der Liste für die Reittherapie.“Eine Wartezeit von sechs bis zehn Wochen sei der Normalfall, meint Siekman. „Das ist für Patienten, die akut Hilfe benötigen, ein kaum tragbarer Zustand.“
Die auch in Mönchengladbach aktive Interessenvertretung „Therapeuten am Limit“macht sich für eine Verbesserung der Situation der Therapiefachberufe stark. Mitstreiter sind willkommen. Erste
Kontakte können sie über die Facebook-Gruppe „Therapeuten am Limit – Niederrhein“knüpfen. Dort gibt es auch weitere Informationen.
Junker und Siekman sehen ihre Tätigkeit eher als Berufung denn als Beruf an. Sie würden gerne mehr Dienste anbieten, können es aber nicht. Der Fachkräftemangel sei eklatant. Neue Kollegen seien fast nicht zu bekommen. Die an Kliniken angesiedelten Fachschulen würden die Absolventen in den eigenen Häusern unterbringen. Absolventen von privaten Fachschulen stünden vor der Entscheidung, ob sie in einer klinischen Einrichtung oder beim Landschaftsverband statt in einer Privatpraxis arbeiten wollten. „Die öffentlichen Einrichtung zahlen das doppelte Gehalt“, sagt Jutta Junker nüchtern, „von dem Gehalt, das wir zahlen können, kann fast niemand eine Familie ernähren.“Das liege nicht am guten Willen der Praxisbetreiber als vielmehr an den Vergütungen, die die Krankenkassen bereit sind, zu leisten. „Die privaten Therapeuten bekommen für die gleiche Leistung nur die Hälfte der Vergütung, die den Kliniken zugestanden werden“, beklagt Claudia Beckers. Da müsse sich etwas ändern. Die Gespräche mit den Kassen sind gescheitert. Nun muss eine Schiedsstelle über die Vergütung und die Rahmenverträge entscheiden. Zur Vergütung nennt Jutta Junker ein Beispiel: „Für das Schreiben eines Arztbriefs, der erforderlich ist, damit eine Therapie nach der ersten Überweisung fortgesetzt wird, erhalten wir 80 Cent, also gerade einmal das Porto, das für den Versand anfällt.“
Zu wenige Auszubildende, zu wenige Fachkräfte, zu schlechte Bezahlung und zugleich immer mehr Patienten. Die Corona-Krise trage ebenfalls zur fast unerträglichen Situation bei. „Die Menschen benötigen vermehrt unsere Hilfe“, sagte Jutta Junker. Die motorischen Belastungsstörungen ebenso wie die sozial-emotionale Problematik nähmen deutlich zu. Die Forderungen der beiden Therapeuten ist klar: bessere Ausbildung, damit mehr Fachkräfte zur Verfügung stehen, und eine bessere Vergütung durch die Kassen.