Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Die SPD lässt die Truppe im Stich
Das Nein zur Beschaffung bewaffneter Drohnen markiert den Linkskurs der Sozialdemokraten. Und es steht für die Abkehr von der Tradition, Heimat für Staatsbürger in Uniform und für die Mitte der Gesellschaft zu sein.
Bei der Bundestagswahl 1972 errang die SPD 45,8 Prozent der Zweitstimmen. Das Ergebnis unterstützte den Kurs Willy Brandts in der Ost- und Reformpolitik. Und es markierte die tiefe Verankerung der Sozialdemokratie in der Mitte der Gesellschaft. Brandts stärkstes Kabinettsmitglied und späterer Nachfolger Helmut Schmidt war da seit drei Jahren Verteidigungsminister. Heute wollen noch 16 Prozent der SPD ihre Stimme geben. Die Distanzierung dürfte sich mit dem sozialdemokratischen Nein zur Bewaffnung von Drohnen zum Schutz von Bundeswehrsoldaten fortsetzen. Der von oben verordnete Linkskurs macht Soldaten in der SPD das Leben noch schwerer.
Eine von ihnen ist Oberstleutnant Anne Bressem. Sie kandidiert in Thüringen für den Bundestag und kennt sich mit dem „scharfen Ende“ihres Berufs spätestens seit ihrer Zeit als Jägerleitoffizierin aus, als sie Luftkampfszenarien beherrschen musste. Als sich das Nein der SPD zur Bewaffnung deutscher Drohnen in einem Interview von Parteichef Norbert Walter-Borjans abzeichnete, lud sie ihn zu einem Besuch bei der Luftwaffe ein und empfahl den Austausch mit den betroffenen Soldaten. Nun bewegt es sie sehr, „wenn viele Kameraden eine Entfremdung der SPD von den Soldaten empfinden“, wie sie sagt. Es gehe hier ja auch nicht nur um die Soldaten selbst, sondern so empfänden es auch deren Familien und Freunde, ihr gesamtes Umfeld.
Auch so lassen sich 16 Prozent für die SPD in den Umfragen erklären. Die Entfremdung ist nicht einfach so passiert. Die Partei- und Fraktionsführung betreibt sie mit Energie. 15 Jahre ist es her, dass die Sozialdemokratie mit Peter Struck einen Verteidigungsminister stellte, der sich bei den Soldaten größter Beliebtheit erfreute. SPD und Bundeswehr, das ist neben Schmidt auch mit Georg Leber verbunden, der noch heute bei der Truppe einen legendären Ruf als „Soldatenminister“hat.
Und es ist in der Erinnerung mit einem Schulterschluss verbunden. Die „Leutnante 70“griffen Brandts Ankündigung auf und holten den Vorsatz „Mehr Demokratie wagen“in die Kasernen. Mit einer Pensionierungswelle unter (vor allem konservativen) Generälen sorgte Schmidt für Luft im Kamin und Beförderungen des qualifizierten militärischen Nachwuchses. Er ließ dem gesellschaftlichen Trend folgend auch längere Haare bei den jungen Männern zu, wenn sie zum Staatsbürger in Uniform wurden. Er hätte sicherlich seine besondere Meinung zu SPD-Verbänden gehabt, die heute Uniformträger aus Schulen ausschließen.
Nicht allein, dass die SPD innerhalb der Bundeswehr an Tritt verliert, sie verliert auch ihre eigene Bundeswehr-Expertise. 15 Jahre keinen Verteidigungsminister – da hätte sie stolz darauf sein können, dass einer der Ihren, Hans-Peter Bartels, als Wehrbeauftragter in der Truppe größte Anerkennung gefunden hatte. Doch statt Bartels in eine zweite Amtszeit zu schicken, setzte Fraktionschef Rolf Mützenich auf die Innenpolitikerin Eva Högl. Daraufhin warf der langjährige Verteidigungsexperte Johannes Kahrs die Brocken hin – und nach der Drohnen-Entscheidung auch der verteidigungspolitische Sprecher Fritz Felgentreu. Dabei hatte Högl nach der Einarbeitung in die Materie sehr schnell die Kampfdrohnen zum Schutz der Soldaten als nötig erkannt und empfohlen.
Seit acht Jahren ringt die SPD um die Bewaffnung von Drohnen, die von den Militärs dringend gefordert werden. Sie sollen im Ausland Patrouillen und Camps in gefährlichen Gebieten umkreisen und beginnende Angriffe auf die Bundeswehr sofort bekämpfen können. In mehreren Runden kamen Verteidigungsministerium und Verteidigungsausschuss dem Verlangen der SPD nach, alle Aspekte intensiv zu erörtern und die eingeschränkten Einsatzoptionen zu beschreiben, damit leichtfertige und völkerrechtswidrige Kampfhandlungen ausgeschlossen sind.
Doch nun hat sich die SPD unter massiver Fürsprache Mützenichs nur dazu entschließen können, der Bewaffnung nicht zuzustimmen, weil es Sorgen vor einer Senkung der Schwelle von Gewaltanwendung gebe, und deshalb erst noch eine breite öffentliche Debatte anzumahnen. „So hält man das Thema leider nicht aus dem Wahlkampf heraus“, beklagt SPD-Kandidatin und Offizierin Bressem. „Nach all den Jahren der Diskussion und Beratung ist diese Entscheidung auch ein überraschendes Signal für die Öffentlichkeit“, merkt sie an, und sie weiß auch schon, dass sie nun zwei Positionen darstellen muss: die der SPD – und ihre eigene.
Bei den politischen Konkurrenten und Partnern findet das Vorgehen der SPD lediglich bei der Linken Zustimmung, ja geradezu Jubel. Die FDP sieht die Sozialdemokraten in einer „ideologisch geprägten Anti-Bundeswehr-Haltung“gefangen, mit der sie die Sicherheit der Soldaten aufs Spiel setze. Für die Grünen sagt Tobias Lindner, dass es bereits eine intensive und öffentliche Debatte gegeben habe, an deren Ende man sich – wie die Union – für oder – wie die Grünen – gegen eine Bewaffnung entscheiden könne. „Was nicht geht, ist, sich jetzt vor einer Entscheidung zu drücken“, kritisiert Lindner.
Harsch fällt auch das Urteil des Koalitionspartners aus. Für Unions-Verteidigungsexperte Henning Otte verkennt die SPD „die Einsatzrealität unserer Bundeswehr“. Zudem verhalte sich die SPD wortbrüchig. Namentlich Finanzminister Olaf Scholz falle den Soldaten in den Rücken, indem er die Vorlage zur Beschaffung der Bewaffnung nicht dem Bundestag zuleite. „Er missbraucht sein Amt als Finanzminister für parteitaktische Winkelzüge“, kritisiert Otte. Und vermutet, dass Scholz „schon von einer grün-rot-linken Koalition träumt“.
Lange Zeit reimten sich in den Kasernen auf „Sozialdemokraten“die Wörter „gut für Soldaten“. Die SPD muss aufpassen, dass es sich nicht wie „verraten“anhört.
„Diese Entscheidung ist ein überraschendes Signal“Anne Bressem SPD-Kandidatin und Offizierin