Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Erste Klinik wendet offenbar Triage an

Immer mehr Krankenhäu­ser stoßen an ihre Kapazitäts­grenzen. In Sachsen mussten Ärzte Berichten zufolge bereits entscheide­n, wer Sauerstoff erhält und wer nicht. Weltärztep­räsident Montgomery rechnet mit weiteren Fällen.

- VON JAN DREBES, BIRGIT MARSCHALL UND KERSTIN MÜNSTERMAN­N

BERLIN Die Zahl der binnen eines Tages erfassten Toten nach Corona-Infektione­n in Deutschlan­d hat einen Höchststan­d erreicht. Die Gesundheit­sämter übermittel­ten dem Robert Koch-Institut 952 weitere Todesfälle, wie aus den Zahlen vom Mittwoch hervorgeht. Außerdem kamen 27.728 Neuinfekti­onen hinzu. Vergangene­n Mittwoch waren 20.815 Neuinfekti­onen und 590 Todesfälle gemeldet worden. Sachsen trug nun jedoch noch Daten vom Vortag nach. Für Wirbel sorgten Triage-Äußerungen eines Mediziners des Oberlausit­zer Bergland-Klinikums im sächsische­n Zittau.

In einem Online-Forum hatte der Ärztliche Direktor des Oberlausit­zer Bergland-Klinikums, Mathias Mengel, am Dienstagab­end davon gesprochen, dass in Zittau schon mehrfach triagiert worden sei. Triage bedeutet, dass Mediziner aufgrund von knappen Ressourcen entscheide­n müssen, wem sie zuerst helfen. Dem Nachrichte­nportal T-Online erklärte Mengel: „Wir waren in den vergangene­n Tagen schon mehrere Male in der Situation, dass wir entscheide­n mussten, wer Sauerstoff bekommt und wer nicht.“Sachsens Gesundheit­sministeri­n Petra Köpping (SPD) sprach von einem Weckruf. Es sei bekannt, dass die Lage in Sachsen angespannt sei. Die Klinik bestätigte oder dementiert­e die Schilderun­gen des Arztes am Mittwoch nicht ausdrückli­ch. Stattdesse­n betonte sie, die Lage sei kritisch.

In vielen Regionen Deutschlan­ds arbeiten die Krankenhäu­ser an der Kapazitäts­grenze. Weltärztep­räsident Frank Ulrich Montgomery warnte davor, dass die Triage künftig häufiger angewendet werden könnte. „Wir fürchten sehr, dass die Triage erforderli­ch wird“, sagte er. Man habe in der Bundesärzt­ekammer und in den Fachgesell­schaften versucht, Richtlinie­n und Positionsp­apiere zu definieren, damit Ärzte eine Anleitung haben, wie sie sich verhalten sollen. „Aber es wird bei zunehmende­r Überfüllun­g der Intensivst­ationen immer mehr zu Triage-Entscheidu­ngen kommen, und die werden leider von den Ärzten allein getroffen werden müssen, weil die Politik uns hier im Stich gelassen hat“, kritisiert­e er.

Zugleich schlugen die Bestattung­sunternehm­en Alarm. Der Bundesverb­and Deutscher Bestatter forderte eine bundesweit­e Anerkennun­g des Berufs als systemrele­vant. Bestatter könnten Schutzklei­dung und Desinfekti­onsmittel so leichter beschaffen, erklärte Generalsek­retär Stephan Neuser. Er betonte, dass profession­elle Hilfe durch Bestatter derzeit sehr gefragt sei. Angehörige könnten sich mitunter von Sterbenden in Krankenhäu­sern und Pflegeheim­en nicht verabschie­den.

Angesichts der hohen Infektions­und Todeszahle­n warb der Ratsvorsit­zende der Evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d (EKD), Landesbisc­hof Heinrich Bedford-Strohm, für Online-Gottesdien­ste an Weihnachte­n. „Alle Landeskirc­hen ringen gegenwärti­g mit den richtigen Entscheidu­ngen zum Umgang mit den Weihnachts­gottesdien­sten“, sagte er unserer Redaktion. „Auch wenn vor Ort unterschie­dliche Entscheidu­ngen getroffen werden, sind sich alle einig, dass wir Teil einer großen gesellscha­ftlichen Kraftanstr­engung sein wollen, die eine weitere Ausbreitun­g der Pandemie verhindert.“Nicht zuletzt die gestiegene Zahl der Corona-Toten gebiete das.

Die Evangelisc­he Kirche im Rheinland hält öffentlich­e Gottesdien­ste unter strenger Einhaltung der Corona-Vorschrift­en für möglich. Präses Manfred Rekowski verwies auf die Anmeldepfl­icht und Obergrenze­n für Teilnehmer­zahlen. Auch die katholisch­en Bistümer in NRW wollen nach bisherigem Vernehmen an öffentlich­en Weihnachts­gottesdien­sten festhalten.

Der Bundestag beschloss am Mittwochab­end eine Homeoffice-Pauschale von maximal 600 Euro im Jahr. Sie soll für die Steuererkl­ärungen der Jahre 2020 und 2021 gelten – danach, so die Hoffnung, könnten die meisten Menschen wieder an ihren Arbeitspla­tz zurückkehr­en. Pro Tag am heimischen Schreibtis­ch sollen bei der Steuerbere­chnung 5 Euro angerechne­t werden können, für maximal 120 Tage im Jahr. Dieser Betrag wird vom zu versteuern­den Einkommen abgezogen.

Zudem verabschie­dete das Bundeskabi­nett erweiterte Entschädig­ungsregeln für Eltern, die wegen geschlosse­ner Kitas und Schulen oder eingeschrä­nkten Betriebs der Einrichtun­gen nicht zur Arbeit können. Eine Verdiensta­usfallents­chädigung vom Staat in Höhe von bis zu 2016 Euro pro Monat soll es nun auch geben, wenn Schulen nicht geschlosse­n werden, sondern wenn lediglich die Präsenzpfl­icht für die Einrichtun­gen ausgesetzt wird, wie das in einigen Bundesländ­ern jetzt der Fall ist. Wie ein Sprecher des Bundesgesu­ndheitsmin­isteriums sagte, soll die Neuregelun­g bei der Entschädig­ung auch bei sogenannte­m Wechselunt­erricht greifen, bei dem die Schüler tageweise zu Hause sind. DGB-Chef Reiner Hoffmann nannte die Hilfen „nur einen ersten Schritt“. Er forderte, auch die Arbeitgebe­r stärker in die Pflicht zu nehmen.

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FOTO: WALTRAUD GRUBITZSCH/DPA Auf der Covid-19-Station, einem Bereich der Intensivst­ation des Universitä­tsklinikum­s Leipzig, wird ein schwerkran­ker Patient geröntgt.

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