Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Senkrechts­tarter fürs Weiße Haus

Der designiert­e US-Präsident Joe Biden nominiert seinen einstigen Konkurrent­en als Verkehrsmi­nister. Der 38-Jährige bringt fast jugendlich­en Esprit in ein Kabinett, das bislang vor allem auf Erfahrung setzt.

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Es wäre besser gewesen, die Demokraten hätten den Mittleren Westen wiederentd­eckt, ohne dass es dazu erst des Sieges Donald Trumps bedurft hätte, schreibt Pete Buttigieg in seiner Autobiogra­fie. „Aber besser spät als nie.“Bis zum letzten Jahreswech­sel war der 38-Jährige Bürgermeis­ter in South Bend, jenem Rust Belt, in dem Trump 2016 die Wahl für sich entschied. Jetzt soll er Verkehrsmi­nister im Kabinett des neuen Präsidente­n Joe Biden werden. Damit holt Biden seinen Rivalen aus den Präsidents­chaftsvorw­ahlen ins Team.

South Bend, die Stadt in Indiana, in deren Rathaus Buttigieg saß, kann symbolisch für den Niedergang des Rostgürtel­s der alten Industrie stehen, der Trumps „Make America Great Again“auf Resonanz stoßen ließ. Dort gehörte das Studebaker-Werk einmal zu den größten Autofabrik­en des Landes, bevor es 1963 in die Pleite rutschte. Nach der Finanzkris­e war endgültig der wirtschaft­liche Tiefpunkt erreicht, was dazu führte, dass die Bewohner South Bends einem Nobody den Spitzenpos­ten in der City Hall anvertraut­en, als der 2011 neu zu besetzen war. Und dass sie ihn vier Jahre darauf mit 80-Prozent-Mehrheit im Amt bestätigte­n, nachdem er sich in einer Zeitungsko­lumne zu seiner Homosexual­ität bekannt hatte.

Noch heute ist Buttigieg einfach nur „Mayor Pete“, was auch daran liegt, dass sein auf maltesisch­e Wurzeln zurückgehe­nder Familienna­me Amerikaner­n

nur schwer über die Zunge geht: Buut-edsch-edsch ist die lautmaleri­sche Variante, auf die man sich geeinigt hat. Mayor Pete, stichelten seine Kontrahent­en damals, habe als Bürgermeis­ter nie mehr als elftausend Stimmen geholt. Nun, er sei nicht der erste Newcomer, dem man gesagt habe, er möge sich seine Flausen aus dem Kopf schlagen, entgegnete Buttigieg, nachdem er den ersten Stimmungst­est bei den Präsidents­chaftsvorw­ahlen bravourös

bestanden hatte. Was dazu führte, dass es durchaus Stimmen gab, die der Meinung waren, der geschliffe­ne Redner, Absolvent der Spitzenuni­versitäten Harvard und Oxford, habe Chancen, Biden in der Rolle des führenden Moderaten des Bewerberfe­lds abzulösen. Das gelang nicht, Buttigieg stieg aus dem Rennen aus, doch Biden hält es nach seinem Sieg offenbar für klug, den Shootingst­ar einzubinde­n.

Dessen Ansatz ist der eines gemäßigten Politikers, der zwar auch einen gesellscha­ftlichen Linksruck anstrebt, dies aber mit kleinen Schritten erreichen will – nicht durch radikale Reformen. In der Diskussion um die Zukunft des amerikanis­chen Gesundheit­ssystems stand er beispielsw­eise für Kompromiss­e. Zwar solle der Staat fortan Krankenver­sicherunge­n anbieten, nicht mehr nur für Senioren, wie es schon jetzt der Fall ist. Doch niemand soll gezwungen werden, seine private Police aufzugeben.

Dass Pete Buttigieg ein Kriegsvete­ran ist, brachte ihm zusätzlich­e Sympathien ein. Denn obwohl viele Amerikaner mit den Feldzügen der USA im Irak und Afghanista­n hadern, genießt die Armee als solche nach wie vor hohes Ansehen. 2014 wurde er für sechs Monate nach Kabul beordert, mit dem Auftrag, den Taliban die Finanzieru­ng des Drogenschm­uggel zu erschweren. Seine berufliche Karriere hatte er bei der Unternehme­nsberatung McKinsey begonnen.

Frank Herrmann

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