Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
EU knöpft sich die Internet-Riesen vor
Revolution oder Sturm im Wasserglas? Die Kommissions-Vorschläge stoßen auf ein geteiltes Echo. Verleger üben Kritik.
BRÜSSEL (dpa/mah) Mitunter gilt im Internet das Recht des Stärkeren – das weiß jeder, der schon einmal versucht hat, einen eigenen kleinen Online-Shop einzurichten, oder sich für eine zugleich von einem Großkonzern beanspruchte Internetadresse vormerken wollte. Das soll sich nun teilweise ändern. Die EU-Kommission hat ein Paket vorgestellt, das die Tech-Giganten in ihre Schranken weisen soll. Für Bürger und kleine Unternehmen soll vieles besser werden. Doch vieles an den neuen Regeln ist noch in der Schwebe oder bleibt vage.
Dabei täte eine grundlegende Reform not: 20 Jahre ist es mittlerweile her, dass die EU umfassende Spielregeln für digitale Dienste und Online-Plattformen aufgestellt hat – nun soll der digitale Raum in der EU generalüberholt werden. In den vergangenen zwei Jahrzehnten sind nicht nur Amazon, Facebook und Google zu riesigen Konzernen herangewachsen. Soziale Netze werden von Hassrede oder Fake-News-Kampagnen
überschwemmt und digitale Marktplätze mit gefälschter Ware geflutet. Nun hat die EU-Kommission einen neuen Anlauf für fairere Bedingungen im Netz genommen.
Genau genommen sind es zwei Vorschläge: das Gesetz über digitale Dienste (Digital Services Act, kurz: „DSA“) und das Gesetz über digitale Märkte (Digital Markets Act, „DMA“). Weniger Einfluss für die ganz Großen, mehr Chancen für die Kleinen und mehr Rechte für die Verbraucher – so stellt sich die EU-Kommission die Reform vor. Mit diesem Ansatz will sie auch den digitalen Raum auf globaler Ebene gestalten. Das Paket ist auch deshalb so wichtig, weil die EU-Gesetzgebung der kommenden Jahre darauf aufbauen soll.
Die EU-Kommission bemüht sich zwar schon länger um einen konsequenteren Kurs gegenüber Facebook, Amazon, Google und Co., setzt aber in vielen Punkten bisher auf Freiwilligkeit, etwa bei der Bekämpfung von Fake-News-Kampagnen in sozialen Netzen. Doch dabei bleibt es nicht immer: Zuletzt verhängte die für Wettbewerb zuständige Vizepräsidentin Margrethe Vestager Milliardenstrafen gegen Google und Amazon. Die Dänin warf den Unternehmen vor, ihre Marktmacht rechtswidrig genutzt zu haben. Das Problem: Derlei Strafen werden meist erst nach jahrelanger Untersuchung verhängt. Mögliche Konkurrenten
existieren da vielleicht schon längst nicht mehr.
Für digitale Start-ups in der EU ist es auf dieser Basis zudem oft schwierig, weil sie es – je nach Geschäftsidee und Zielgruppe – oft mit etlichen, national unterschiedlichen Rechtslagen zu tun haben. Das macht das digitale Gründen oft aufwendig und unattraktiv.
Die Brüsseler Behörde will im Wesentlichen zwei Hebel ansetzen. Vestager als oberste Digital-Politikerin der EU-Kommission und Binnenmarktkommissar Thierry Breton wollen dabei eng zusammenarbeiten. Der DSA geht vor allem gesellschaftliche Fragen an. So sieht er vor, dass alle Online-Plattformen bestimmte Regeln beachten müssen – je größer die Plattform, desto mehr Regeln. Unter anderem sollen Werbung und Empfehlungsalgorithmen transparenter werden, illegale Inhalte sollen nach Kenntnis zügig gelöscht werden müssen. Marktplätze wie Amazon müssten ihre Anbieter künftig überprüfen, damit weniger gefälschte Ware im Netz landet.
Der DMA richtet sich gegen sogenannte Gatekeeper – also besonders große Plattformen mit 45 Millionen Nutzern oder mehr. Solche Unternehmen müssten bestimmte Anforderungen erfüllen. Dazu zählt etwa, dass Gatekeeper, in bestimmten Situationen die Austauschbarkeit mit den Diensten anderer – etwa kleinerer – Unternehmen sicherstellen müssten. Sie dürften Nutzer zudem nicht daran hindern, vorinstallierte Apps von Geräten zu löschen. Die Piratenpartei kritisierte an dem in ihren Augen „industrienahen Vorschlag der EU-Kommission“unter anderem das Fehlen eines „Verbots fehleranfälliger Uploadfilter-Zensurmaschinen“. Den Verlegerverbänden in Deutschland gehen die EU-Vorschläge ebenfalls nicht weit genug. Man habe bei der Regulierung des Marktverhaltens von marktdominanten Plattformen „konkretere und weitgehendere Vorschläge“erwartet, teilten der Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger und der Verband Deutscher Zeitschriftenverleger gemeinsam in Berlin mit.