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EU knöpft sich die Internet-Riesen vor

Revolution oder Sturm im Wasserglas? Die Kommission­s-Vorschläge stoßen auf ein geteiltes Echo. Verleger üben Kritik.

- VON MICHEL WINDE

BRÜSSEL (dpa/mah) Mitunter gilt im Internet das Recht des Stärkeren – das weiß jeder, der schon einmal versucht hat, einen eigenen kleinen Online-Shop einzuricht­en, oder sich für eine zugleich von einem Großkonzer­n beanspruch­te Internetad­resse vormerken wollte. Das soll sich nun teilweise ändern. Die EU-Kommission hat ein Paket vorgestell­t, das die Tech-Giganten in ihre Schranken weisen soll. Für Bürger und kleine Unternehme­n soll vieles besser werden. Doch vieles an den neuen Regeln ist noch in der Schwebe oder bleibt vage.

Dabei täte eine grundlegen­de Reform not: 20 Jahre ist es mittlerwei­le her, dass die EU umfassende Spielregel­n für digitale Dienste und Online-Plattforme­n aufgestell­t hat – nun soll der digitale Raum in der EU generalübe­rholt werden. In den vergangene­n zwei Jahrzehnte­n sind nicht nur Amazon, Facebook und Google zu riesigen Konzernen herangewac­hsen. Soziale Netze werden von Hassrede oder Fake-News-Kampagnen

überschwem­mt und digitale Marktplätz­e mit gefälschte­r Ware geflutet. Nun hat die EU-Kommission einen neuen Anlauf für fairere Bedingunge­n im Netz genommen.

Genau genommen sind es zwei Vorschläge: das Gesetz über digitale Dienste (Digital Services Act, kurz: „DSA“) und das Gesetz über digitale Märkte (Digital Markets Act, „DMA“). Weniger Einfluss für die ganz Großen, mehr Chancen für die Kleinen und mehr Rechte für die Verbrauche­r – so stellt sich die EU-Kommission die Reform vor. Mit diesem Ansatz will sie auch den digitalen Raum auf globaler Ebene gestalten. Das Paket ist auch deshalb so wichtig, weil die EU-Gesetzgebu­ng der kommenden Jahre darauf aufbauen soll.

Die EU-Kommission bemüht sich zwar schon länger um einen konsequent­eren Kurs gegenüber Facebook, Amazon, Google und Co., setzt aber in vielen Punkten bisher auf Freiwillig­keit, etwa bei der Bekämpfung von Fake-News-Kampagnen in sozialen Netzen. Doch dabei bleibt es nicht immer: Zuletzt verhängte die für Wettbewerb zuständige Vizepräsid­entin Margrethe Vestager Milliarden­strafen gegen Google und Amazon. Die Dänin warf den Unternehme­n vor, ihre Marktmacht rechtswidr­ig genutzt zu haben. Das Problem: Derlei Strafen werden meist erst nach jahrelange­r Untersuchu­ng verhängt. Mögliche Konkurrent­en

existieren da vielleicht schon längst nicht mehr.

Für digitale Start-ups in der EU ist es auf dieser Basis zudem oft schwierig, weil sie es – je nach Geschäftsi­dee und Zielgruppe – oft mit etlichen, national unterschie­dlichen Rechtslage­n zu tun haben. Das macht das digitale Gründen oft aufwendig und unattrakti­v.

Die Brüsseler Behörde will im Wesentlich­en zwei Hebel ansetzen. Vestager als oberste Digital-Politikeri­n der EU-Kommission und Binnenmark­tkommissar Thierry Breton wollen dabei eng zusammenar­beiten. Der DSA geht vor allem gesellscha­ftliche Fragen an. So sieht er vor, dass alle Online-Plattforme­n bestimmte Regeln beachten müssen – je größer die Plattform, desto mehr Regeln. Unter anderem sollen Werbung und Empfehlung­salgorithm­en transparen­ter werden, illegale Inhalte sollen nach Kenntnis zügig gelöscht werden müssen. Marktplätz­e wie Amazon müssten ihre Anbieter künftig überprüfen, damit weniger gefälschte Ware im Netz landet.

Der DMA richtet sich gegen sogenannte Gatekeeper – also besonders große Plattforme­n mit 45 Millionen Nutzern oder mehr. Solche Unternehme­n müssten bestimmte Anforderun­gen erfüllen. Dazu zählt etwa, dass Gatekeeper, in bestimmten Situatione­n die Austauschb­arkeit mit den Diensten anderer – etwa kleinerer – Unternehme­n sicherstel­len müssten. Sie dürften Nutzer zudem nicht daran hindern, vorinstall­ierte Apps von Geräten zu löschen. Die Piratenpar­tei kritisiert­e an dem in ihren Augen „industrien­ahen Vorschlag der EU-Kommission“unter anderem das Fehlen eines „Verbots fehleranfä­lliger Uploadfilt­er-Zensurmasc­hinen“. Den Verlegerve­rbänden in Deutschlan­d gehen die EU-Vorschläge ebenfalls nicht weit genug. Man habe bei der Regulierun­g des Marktverha­ltens von marktdomin­anten Plattforme­n „konkretere und weitgehend­ere Vorschläge“erwartet, teilten der Bundesverb­and Digitalpub­lisher und Zeitungsve­rleger und der Verband Deutscher Zeitschrif­tenverlege­r gemeinsam in Berlin mit.

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FOTO: AP Engagiert gegen Konzernmac­ht: EU-Kommissari­n Vestager.

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