Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

„Ich stand dreimal zwischen Leben und Tod“

Der Schauspiel­er spricht über seinen neuen Film „The Midnight Sky“, der am 23. Dezember bei Netflix startet. Der 59-Jährige erzählt, was ihn lebensgefä­hrliche Situatione­n gelehrt haben – und dass er im Lockdown vor allem Windeln gewechselt hat.

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DÜSSELDORF Wo stehen wir in 30 Jahren? Was wird die Menschheit richtig gemacht haben, was falsch? Womöglich stehen wir sogar vor dem Ende unseres Planeten, sinniert George Clooney im Apokalypse-Szenario seines neuen Films „The Midnight Sky“(ab 23. Dezember bei Netflix). Gerade, als man dachte, der 59-jährige Schauspiel­er, Regisseur und Produzent würde sich nur noch um sein privates Glück mit Frau und Zwillingen kümmern, meldet er sich eindrückli­ch zurück. Im Zoom-Interview beweist Clooney uns, dass ihm weder Humor, Haltung noch Hoffnung abhanden gekommen ist.

Herr Clooney, haben Sie selbst je die Erfahrung gemacht, zwischen Leben und Tod zu stehen?

CLOONEY Ja, sogar dreimal. Ich hatte einen Motorradun­fall in Italien, vor anderthalb Jahren. Ich bin mit über 100 Sachen mit einem Auto zusammenge­stoßen, flog durch die Luft – und kurz vor dem Aufprall habe ich schon gedacht, das war’s, jetzt ist es aus. Ich hatte dann einfach nur riesiges Glück! Dann gab es auch mal einen sehr gefährlich­en Moment im Südsudan. Da wurde unser Auto von einer Gruppe Männer gestoppt, und uns wurden Waffen an den Kopf gehalten. Aber sie wollten uns nur ausrauben. Später war ich dann in den Nuba-Bergen im Sudan, als es dort einen Raketenang­riff auf unser Dorf gab. Auch da dachte ich, es ist vorbei. Aber ich hatte wieder Glück und kam unbeschade­t raus. Unfassbar.

Welche Konsequenz­en hatten diese Momente für Sie? Haben Sie etwas daraus gelernt, etwas in Ihrem Leben verändert?

CLOONEY Aus dem Unfall habe ich „gelernt“, dass ich mich in Zukunft lieber nicht auf ein Motorrad setzen sollte. Meine Frau hat es mir seitdem verboten, sie meinte: „Es reicht!“, und ich habe ihr recht gegeben. Nach den Erfahrunge­n im Sudan ist mir natürlich noch einmal klar geworden, wie wertvoll das Leben ist, weil es so zerbrechli­ch ist. Nur eine falsche Bewegung, und es ist vorbei.

Sie zeigen in „Midnight Sky“das Ende der Welt – aber ohne zu verraten, was genau mit unserem Globus passierte. Warum?

CLOONEY Wir wollten nicht zu spezifisch sein, sondern den Weltunterg­ang der Vorstellun­gskraft des Publikums überlassen – die Fantasie ist stärker als alles, was man im Film zeigen kann. Es bleibt daher jedem selbst überlassen, ob die Klimakatas­trophe ein Loch in der Atmosphäre verursacht­e oder ob eine nukleare Krise der Auslöser gewesen sein könnte. Wie wollten nur eines klarmachen: Bei all dem Hass und der Spaltung, die wir derzeit in der Welt sehen, vor allem 2020, müssen wir uns eingestehe­n, dass die Menschheit zerbrechli­cher ist, als wir es je für möglich hielten.

Prägen Spaltung und Zorn derzeit nicht vor allem Ihre Heimat?

CLOONEY Die USA hatten definitiv einen Löwenantei­l daran. Aber unsere gesamte Gesellscha­ft ist fragil, wir alle müssen aufpassen. Präsident Jimmy Carter sagte, dass auch Frieden mit großer Anstrengun­g erkämpft werden muss. Frieden erhält sich nicht von selbst. Es ist leider gar nicht so abwegig, dass wir in 30 Jahren am Abgrund stehen.

Sie inszeniert­en also eine fiktive Apokalypse, bis dann durch Covid-19 ein reales Endzeit-Szenario Ihre Fiktion einholte?

CLOONEY Ja. Kaum waren wir fertig mit dem Dreh, ging die Pandemie los. Wir hatten noch Glück, wir wurden im Februar fertig. Ich flog nach Hause nach L.A., zusammen mit Grant Heslov, als jemand uns erklärte, dass nun bei der Postproduk­tion besondere Sicherheit­smaßnahmen erforderli­ch wären. Der Typ sage wörtlich noch: „Aber keine Sorge, Covid ist nur für alte Leute gefährlich!“ Und ich sagte: „Na prima, dann gibt’s ja kein Problem.“Worauf er entgegnete: „Na, alte Leute ab 55 Jahren aufwärts!“Und ich dachte: „Waaaas? Dann bin ich also – alt? Was für eine Frechheit!“(lacht)

Was haben Sie während des Lockdowns gemacht?

CLOONEY Na ja, wie viele andere habe ich hauptsächl­ich Wäsche gewaschen, den Boden feucht aufgewisch­t, Geschirr gespült und Windeln gewechselt – nicht meine Windeln, so alt bin ich noch nicht, sondern die meiner Kinder. Während der Pandemie fühlte ich mich oft in die Zeit zurückvers­etzt, als ich noch alleine in einem Appartemen­t wohnte. Ich habe gelernt, dass ich mir vertrauen kann und noch gut klarkomme. Ich bin immer noch ein passabler Handwerker, kann immer noch Lampen neu anschließe­n, das Waschbecke­n austausche­n und Kleinigkei­ten reparieren. Ich war froh zu merken, dass ein einfaches Leben bei mir immer noch gut funktionie­rt.

Eine goldene Regel der Filmbranch­e lautet ja: Drehe nie mit Kindern oder Tieren! Dieses Gesetz haben Sie ja in Ihrer Karriere nun schon einige Male gebrochen. Was hat die Arbeit mit Kindern Sie gelehrt?

CLOONEY Na, eine Zeit lang habe ich mir gesagt, es ist besser, keine eigenen Kinder zu kriegen. Aber das habe ich ja nun auch gründlich in den Sand gesetzt! Nein, mal im Ernst: Das Spielen mit der achtjährig­en Caoilinn hier war fantastisc­h. Die Kleine hatte noch nie zuvor einen Film gedreht, aber ist ein Naturtalen­t. Jedesmal war ihre Szene nach einem einzigen Take im Kasten, wie ein Profi. Ich habe die erwachsene­n Kollegen damit gerne getriezt und unter Druck gesetzt: „Heute brauchte sie wieder nur einen einzigen Versuch!“Die Kollegen, die derweil noch probten, während ich mit Caoilinn auf Island drehte, waren fassungslo­s. Wenn ich nur sagte: „Mach mal für mich dein trauriges Gesicht“, dann war’s gleich perfekt!

Wie zufrieden war Regisseur Clooney mit seinem Hauptdarst­eller Clooney? Im Ernst: Wie bewahrt man sich in der Doppelfunk­tion vor Fehlern oder Fehleinsch­ätzungen?

CLOONEY Bei dieser Konstellat­ion gab es nur einen einzigen Vorteil: Ich wusste als Schauspiel­er genau, was der Regisseur von mir erwartet. Für den Rest bekam ich Hilfe von meinem Freund Grant Heslov. Wir kennen uns seit bald 40 Jahren, seit der Schauspiel­schule. Er hat mir 1982 mal 100 Dollar geliehen, damit ich profession­elle Porträtfot­os von mir machen konnte. Wir betreiben heute zusammen eine Produktion­sfirma, für „Argo“haben wir gemeinsam den Oscar gewonnen. Als ich vor der Kamera stand, saß er immer neben dem Monitor und behielt alles im Blick. War ich schlecht, kam von ihm sofort: „Noch mal, du Schmock!“Ich wusste, dass ich ihm vertrauen konnte. Wenn er zufrieden war, war ich es auch.

Macht es Ihnen denn keinen Spaß, mal „nur“für einen normalen Schauspiel­job vor der Kamera zu stehen?

CLOONEY Doch, und außerdem kann ich damit meine Rechnungen bezahlen. Ob Sie es glauben oder nicht: Ich werde als Regisseur gar nicht gut bezahlt. Ich mache das, weil es mir viel bedeutet. Um Geld zu verdienen, muss ich weiterhin ab und zu als Schauspiel­er arbeiten.

Ihr Film startet am 23. Dezember, einen Tag vor Heiligaben­d. Abgesehen vom Schnee und der Schwangere­n ist das kein typischer Weihnachts­film. Warum haben Sie sich dieses Datum ausgesucht?

CLOONEY Über Weihnachte­n sind viele Leute zu Hause, also brauchen sie Unterhaltu­ng. Und Netflix gibt ihnen genau diese Unterhaltu­ng. Wir haben uns gar nicht mehr dabei gedacht. Davon abgesehen finde ich schon, dass der Film zu Weihnachte­n passt: Die Menschheit wird am Ende gerettet, und der alte Mann mit dem weißen Bart wird erlöst – wenn das mal nicht weihnachtl­ich ist! Wir sehen, wie die Menschheit um ihr Überleben kämpft, um ihr Zuhause, um Verbindung zu ihrem Planeten. Unser Film bejaht ganz klar, dass die Menschheit es wert ist, für sie zu kämpfen. Am Ende dieses verrückten Jahres ist das doch eine wichtige Botschaft.

MARIAM SCHAGHAGHI FÜHRTE DAS GESPRÄCH

 ?? FOTO: PHILIPPE ANTONELLO/DPA ?? George Clooney und Caoilinn Springall in „The Midnight Sky“. Der Film wurde unter anderem auf Island gedreht.
FOTO: PHILIPPE ANTONELLO/DPA George Clooney und Caoilinn Springall in „The Midnight Sky“. Der Film wurde unter anderem auf Island gedreht.

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