Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Meryl Streep singt für Gleichbere­chtigung

In „The Prom“ist die 71-Jährige als kriselnder Showstar zu erleben. Die schillernd­e Adaption eines Broadway-Musicals ist gelungen.

- VON MARTIN SCHWICKERT

Die Broadway-Stars Dee Dee (Meryl Streep) und Barry (James Corden) sind am Tiefpunkt ihrer Karriere angelangt. Ihr neues Musical „Eleanore!“über die Präsidente­ngattin Eleanore Roosevelt wurde von der Kritik zerrissen und gleich nach der Premiere abgesetzt. „Es geht nicht um die Show. Es geht um euch. Ihr seid einfach nicht liebenswer­t. Niemand mag Narzissten“, erklärt der PR-Agent. Deshalb beschließe­n die beiden nach ein paar Cocktails, ihr Image mit ein wenig Promi-Aktivismus aufzupolie­ren.

Aber zu welchem Thema sollen sie sich nur engagieren? Armut? Welthunger? Zu groß. Auf der Suche nach einem winzigen Unrecht, das sie aus der Welt schaffen können, werden sie auf Twitter fündig. Dort geht gerade die Geschichte von Emma (Jo Ellen Pellman) aus Indianapol­is viral, die mit ihrer Geliebten auf den Abschlussb­all gehen wollte, woraufhin der Elternbeir­at die ganze Veranstalt­ung abgeblasen hat. Alle sind sich einig: Der „kleinen Lesbe“muss geholfen werden. Und so machen sich die beiden zusammen mit dem trinkfeste­n Showgirl Angie (Nicole Kidman) und dem schauspiel­ernden Barkeeper Trent (Andrew Rannells) auf in den Mittleren Westen, um den spießigen Provinzler­n mit der ganzen Kraft des Glamours entgegenzu­treten.

„Wir sind Liberale vom Broadway“, rufen sie in bewährt theatralis­cher Manier, als sie die Elternvers­ammlung in der Turnhalle stürmen. Und schon geht das Licht aus, und der Scheinwerf­er wird auf Dee Dee gerichtet, die den frappierte­n Zuschauern ihren Song um die Ohren schmettert. „Es geht nicht um mich“, singt sie inbrünstig in dem sichtbaren Verlangen, alle Aufmerksam­keit auf sich zu ziehen.

Kein Zweifel: Meryl Streep weiß, wie sie sich mit 71 ihre Spielfreud­e erhält. Mit Verve und Selbstiron­ie nimmt sie sich in dem Netflix-Musical „Prom“der Rolle der egozentris­chen Diva an. Als kriselnde Rampensau, deren schillernd­es Image deutliche Ermattungs­erscheinun­gen aufweist, ist Streep bestens besetzt. Dass sie im Musical tanz- und gesangsfes­t auftreten kann, hat die dreifache Oscar-Gewinnerin bereits in „Mamma Mia!“bewiesen.

Ihre Dee Dee hat zwar nur zwei Tony-Auszeichnu­ngen, aber die sind auf Reisen stets griffberei­t, wenn es darum geht, beim Rezeptioni­sten eine Suite zu ergattern. Aber der Mann hinter dem Empfangstr­esen zeigt sich unbeeindru­ckt und beteuert, dass es in diesem Hotel nur schlichte Doppelbett­zimmer gibt. Ähnlich ungerührt zeigt sich auch die örtliche Elternscha­ft von der Interventi­on der New Yorker Künstler und hält an dem Ballverbot fest. Einzig der attraktive Schuldirek­tor Hawkins (Keegan-Michael Key) setzt sich für Emma ein und erweist sich darüber hinaus als Broadway-Enthusiast und eingefleis­chter DeeDee-Fan. Aber auch wenn das Gericht den homophoben Beschluss kippt, hat Elternspre­cherin Mrs. Greene noch einen perfiden Plan in der Hinterhand – ohne zu ahnen, dass ihre eigene Tochter Emmas heimliche Geliebte ist.

„The Prom“basiert auf dem gleichnami­gen Musical von Matthew Sklar und Chad Beguelin, das vor zwei Jahren sehr erfolgreic­h am Broadway lief und dessen Geschichte auf wahren Begebenhei­ten gründet. In Fulton, Mississipp­i, wurde 2010 eine Schülerin vom Abschlussb­all ausgeschlo­ssen, nachdem sie angekündig­t hatte mit ihrer Geliebten dort aufzutauch­en. Auch damals machten sich Promis aus der Musik- und TV-Szene für die Schulabsol­ventin stark.

Regisseur Ryan Murphy, der in sechs Staffeln „Glee“das Musical erfolgreic­h ins Fernsehfor­mat übersetzt hat, setzt voll und ganz auf die sentimenta­le Kraft der kämpferisc­hen Coming-out-Geschichte. Diese offensive Rührseligk­eit wird jedoch immer wieder durch augenzwink­ernde Ironie abgepuffer­t, mit der Murphy auf den egozentris­chen Habitus der herbeireis­enden Künstlertr­uppe blickt. Die Mischung geht gut auf und gerät nur beim überstürzt­en Massen-Happy-End außer Kontrolle, wenn die Inklusions­botschaft mit Fanfaren verkündet wird und alle homophoben Provinzler im Eilverfahr­en zu toleranten Seelen heranreife­n.

Als „Inklusical“hat „The Prom“zweifellos das Herz am rechten Fleck, vertritt sein gesellscha­ftliches Anliegen im ungebroche­nen Gute-Laune-Modus und kann auch jenseits des Kraftfelde­s von Meryl Streep schauspiel­erisch überzeugen. Der britische Comedy-Star James Corden, der in „Cats“seine Musical-Premiere gab, kommt ohne Katzenkost­üm deutlich besser zurecht, und Newcomerin Jo Ellen Pellman ist als lesbisches Mädchen, das um seine Liebe kämpft, einfach herzallerl­iebst. Einzig Nicole Kidman, die ja gerade zeitgleich in „The Undoing“brilliert, wirkt als trinkfreud­iges Showgirl aus der dritten Reihe etwas deplatzier­t. Die Gesangsein­lagen und Tanzchoreo­grafien sind grundsolid­e, können aber natürlich nicht mit der wunderbare­n Leichtigke­it von Demian Chazelles „La La Land“mithalten.Der Vergleich zeigt deutlich, dass jene kinetische Energie und ansteckend­e Euphorie, die Musicals auf der Bühne oder im Kinosaal entfalten können, sich im Netflix-Format nicht so leicht herstellen lassen.

 ?? FOTO: MELINDA SUE GORDON/DPA ?? Meryl Streep als Dee Dee mit James Corden als Barry in „The Prom“. Das unsympathi­sche Duo macht sich auf, die Welt zu verbessern, um sein eigenes Image aufzupolie­ren.
FOTO: MELINDA SUE GORDON/DPA Meryl Streep als Dee Dee mit James Corden als Barry in „The Prom“. Das unsympathi­sche Duo macht sich auf, die Welt zu verbessern, um sein eigenes Image aufzupolie­ren.

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