Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Lage auf Intensivstationen ist angespannt
Die Pandemie sorgt für hohe Belastungen in der Intensivpflege der Kliniken – nicht nur weil Menschen an Covid-19 erkranken. Eine coronabedingte, aber vermeidbare Ursache: Etliche Patienten mit anderen Erkrankungen gehen zu spät zum Arzt.
MÖNCHENGLADBACH Dass die Intensivbetten in den Krankenhäusern wegen der Grippe und vermehrt auftretenden Atemwegsinfekten ab November stärker belegt sind als in den Monaten zuvor, ist für Marc Deußen ein gewohntes Bild. Derzeit erleben der Ärztliche Leiter des Rettungsdienstes in der Stadt und seine Notarzt-Kollegen bei ihren Einsätzen jedoch eine Entwicklung, die es vor der Pandemie nicht gab: Viele Menschen wenden sich mit Beschwerden viel zu spät an einen Arzt. Aus Angst, ins Krankenhaus zu müssen, dort wegen Besucherstopps von Angehörigen getrennt zu sein, und wegen der – wie Ärzte betonen – unbegründeten Furcht vor einem erhöhten Risiko, sich in der Klinik mit Corona zu infizieren.
Eine Folge des zu langen Zögerns ist in einigen Fällen: Menschen müssen auf eine Intensivstation gebracht werden, die dort nicht behandelt werden müssten, wären sie rechtzeitig zum Arzt gegangen. Schlimm für die Betroffenen, es verschärft aber auch die Lage in den Intensivstationen der Kliniken.
Solche Ängste treiben nicht nur Patienten um, die unter Atemnot oder anderen Symptomen leiden, für die eine Corona-Infektion verantwortlich sein könnten. Auch bei Herzinfarkten, bakteriellen Infektionen oder bei starken Schmerzen halten einige aus, bis sie buchstäblich am Boden liegen. „Manche sagen sogar, sie würden lieber zu Hause sterben als ins Krankenhaus zu gehen“, berichtet Deußen.
Durch die Pandemie ist die Lage in den Krankenhäusern ohnehin schon schwierig. 87 Intensivbetten sind laut Divi-Register stadtweit für erwachsene Patienten derzeit eingerichtet. Am frühen Mittwochnachmittag waren laut Divi-Intensivregister 16 davon frei. In den Tagen zuvor war dieser Wert auch schon unter zehn gesunken. Die Lage sei „sehr dynamisch“, sagt Tim Lange, Leiter der Intesivstation im Elisabeth-Krankenhaus. Vor Beginn der zweiten Pandemiewelle hatte sein Team sechs Covid-Patienten zu behandeln, dann kamen schnell sechs weitere hinzu. Ein Dutzend Covid-Patienten – das entsprach etwa der Hälfte der gesamten Intensivkapazität im „Eli“. Anfang Dezember überwogen dann wieder Patienten mit anderen Erkrankungen.
Betten und Geräte zu haben ist eines, genug qualifiziertes Personal einsetzen zu können eine akutere Schwierigkeit. So verfügen etwa die Kliniken Maria Hilf über 52 Intensivplätze mit Beatmungsmöglichkeit. Das sei unverändert „über dem Bedarf“, sagte Geschäftsführer Prof. Andreas Lahm am Mittwoch. Und fügte hinzu: „Ohnehin können, wie in allen Häusern, durch Krankenstand oder angeordnete Quarantäne von Fachkräften nicht alle Plätze mit Patienten belegt werden.“Covid-19 macht nun einmal auch vor Krankenhaus-Mitarbeitern nicht Halt; auch Personal erkrankt.
Daher, so Tim Lange, gab es auch im Elisabeth-Krankenhaus „den ein oder anderen Ausfall“. Durch Umschichten ließ sich kompensieren: Personal wurde teilweise aus den OP-Bereichen rekrutiert; Mitarbeiter mit Erfahrung und Weiterbildung in Intensivpflege wurden aus anderen Bereichen umdirigiert. Für die Betreuung von Covid-19-Patienten ohne Intensivpflege-Bedarf wurde Personal aus einer anderen, daher geschlossenen Station geschickt.
Ob Intensiv- oder „Normalstation“: „Der Pflegeaufwand ist bei einem Covid-Patienten deutlich höher“, sagt Roland Matuschek, Stationsleiter im Intensivbereich des Elisabeth-Krankenhauses. Schutzkleidung, Maske, Schutzbrille und Haube anlegen kostet Zeit. Die Montur ist schweißtreibend, bei der Arbeit darin sind zusätzliche Pausen nötig. Zumal das Personal mitunter anderthalb bis zwei Stunden beim Patienten ist. Einen nach Luft ringenden Kranken auf den Bauch zu drehen, weil dann die Lunge besser mit Sauerstoff versorgt wird, erfordert Handgriffe, Aufmerksamkeit und Zuwendung. „Zu sehen, wie die Patienten darunter leiden, dass sie keine Luft bekommen, ist auch eine stärkere psychische Belastung“, sagt Matuschek.
Mehr als 160 Covid-Patienten wurden im Elisabeth-Krankenhaus bisher behandelt, mit und ohne intensivmedizinische Betreuung. Vom allgemeinen Bild abweichende Auffälligkeiten etwa hinsichtlich des Alters, der Krankheitsverläufe oder Todesfälle haben die Ärzte im „Eli“bei ihren Patienten nicht beobachtet. Dass das Infektionsrisiko und die Gefahr eines schweren Verlaufs bei Kindern und Jugendlichen im Allgemeinen geringer ist, liege daran, dass in diesem Alter in den Körperzellen nur wenige der Rezeptoren vorhanden sind, an denen das Coronavirus andockt, erklärt Prof. Huan Nguyen, Chefarzt der Inneren Medizin und Gastroenterologie. Besonders viele dieser Rezeptoren befinden sich in Nasenschleimhaut, Lunge und Gehirn. Bei Menschen mit Vorerkrankungen wie Diabetes, Bluthochdruck und Übergewicht sind die Rezeptoren vermehrt vorhanden, was eine Infektion und einen schweren oder gar tödlichen Krankheitsverlauf auch in Altersgruppen unter 80 Jahren begünstigt.
Mit einer raschen und dauerhaften Entspannung ist wohl nicht zu rechnen. „Nach Weihnachten und Silvester wird eine dritte Welle kommen“, sagt zumindest Prof. Nguyen. Wie stark sie ausfalle, werde davon abhängen, wie strikt sich die Menschen an Hygiene- und Kontaktregeln halten.