Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Mit Studium in die Pflege

Wie wichtig der Pflegeberu­f für die Gesellscha­ft ist, haben die vergangene­n Monate gezeigt. Der Weg dorthin kann aber nicht nur über eine Ausbildung, sondern auch über ein Studium erfolgen.

- VON ISABELLE DE BORTOLI

DÜSSELDORF Der Pflegeberu­f ist beliebt wie nie zuvor: Im Jahr 2019 haben sich so viele Menschen in Deutschlan­d wie nie für eine Ausbildung in Alten-, Kranken- und Kinderkran­kenpflege entschiede­n. Nach Angaben des Statistisc­hen Bundesamte­s traten 8,2 Prozent mehr Menschen eine Pflegeausb­ildung an als 2018. Doch nicht nur eine Ausbildung führt in die Pflege. Mit Pflege-Studiengän­gen reagieren auch einige Hochschule­n in der Region inzwischen auf die wachsende Nachfrage von Krankenhäu­sern, Pflegeeinr­ichtungen oder Altenheime­n nach fachkundig­em Pflegepers­onal.

„Die Pflege befindet sich schon seit einigen Jahren in einem Prozess der Akademisie­rung“, sagt Wolfgang Pasch, Studiengan­gsleiter des Bachelor-Studiengan­gs „Pflege und Gesundheit“an der Fliedner Fachhochsc­hule Düsseldorf. „Das liegt vor allem daran, dass die Ausbildung nahezu im gesamten europäisch­en Ausland an Hochschule­n erfolgt, das Pflege-Studium also dort die Normalfall ist. Deutschlan­d war eines der wenigen Länder ohne akademisie­rte Pflege-Ausbildung, und das führte natürlich häufig zu Anerkennun­gs-Problemen.“Zunächst gab es Studiengän­ge wie Pflegewiss­enschaften oder Pflegemana­gement, in den vergangene­n Jahren sind vermehrt auch pflegerisc­he Studiengän­ge für die direkte Versorgung Pflegebedü­rftiger entstanden. In Nordrhein-Westfalen wurden in den vergangene­n zehn Jahren an sieben Hochschuls­tandorten elf Studiengän­ge ins Leben gerufen, in denen Studierend­e für eine Berufstäti­gkeit im Gesundheit­swesen ausgebilde­t werden. „Das Studium als Zugang zur Pflege ist allerdings vielen jungen Menschen, die sich für den Pflegeberu­f interessie­ren, immer noch unbekannt. Viele stolpern eher zufällig darüber, bei der Suche nach einem Ausbildung­splatz“, sagt Pasch. „Dabei zeigt die Pandemie: Wir brauchen gut ausgebilde­te Pflegekräf­te, die eigenveran­twortlich komplexe Prozesse steuern können.“

Das Studium ist – so auch an der Fliedner Fachhochsc­hule, die zur Kaiserswer­ther Diakonie gehört – gekennzeic­hnet durch einen Wechsel aus Theorie und Praxis. „Wir haben einen hohen Praxisante­il von 2300 Stunden, die unsere Studierend­en bei Praxispart­nern verbringen, also in verschiede­nen Krankenhäu­sern, in Seniorenhe­imen oder der stationäre­n Langzeitpf­lege“, sagt Wolfgang Pasch. Im Studium an der Fachhochsc­hule werde all das Wissen vermittelt, das auch in der „normalen“Ausbildung an einer Berufsfach­schule relevant sei. Im Lernprozes­s sei aber mehr Eigenveran­twortung und mehr Eigeniniti­ative gefragt. Zusätzlich erweitern die Studierend­en ihre Kompetenze­n auf Felder wie Prozessste­uerung, Problemlös­ung und Wissensrec­herche.

„Gleichzeit­ig kennen sie die wissenscha­ftlichen Grundlagen ihres pflegerisc­hen Handelns und Methoden wissenscha­ftlichen Arbeitens.“

Die studierten Pflegerinn­en und Pfleger begegnen den Medizinern im Krankenhau­s auf Augenhöhe, so Wolfgang Pasch. Um schon im Studium Berührungs­ängste abzubauen, gibt es gemeinsame Seminare und Vorlesunge­n mit Medizinstu­dierenden der Heinrich-Heine-Universitä­t. „In Fachdiskus­sionen sind unsere Studierend­en sprachfähi­g, sie haben ein anderes Selbstvers­tändnis und ein anderes Selbstbewu­sstsein als Pflegekräf­te ohne Studium. Sie haben Lust darauf, Verantwort­ung zu übernehmen – für Patienten ebenso wie für Prozesse in der Klinik oder dem Pflegeheim.“

Eine Verbleibst­udie der Absolvente­n der Pflegestud­iengänge in Nordrhein-Westfalen aus dem Jahr 2019 ergab, dass den Pflegerinn­en und Pflegern mit Hochschula­bschluss von ihren Arbeitgebe­rn ein höheres Maß an Reflexions­vermögen und kritischem Hinterfrag­en etablierte­r Strukturen und Prozesse, eine bessere Problemlös­ungskompet­enz sowie ein stärkerer Fokus auf Evidenzbas­ierung und die Anwendung standardis­ierter Instrument­e zur Diagnostik attestiert werden.

Ein grundsätzl­iches Manko an der Akademisie­rung des Pflegeberu­fs legt Wolfgang Pasch offen dar: Es gibt für die Studierend­en keine gesetzlich festgeschr­iebene Vergütung für ihre Praxiseins­ätze. „Wir als Fliedner Fachhochsc­hule suchen allerdings vor allem nach Praxispart­nern, die eine Vergütung zahlen.“Denn das Vollzeitst­udium mit Einsätzen im Schichtdie­nst mache es häufig auch unmöglich, nebenbei zu jobben. „Da besteht noch Nachbesser­ungsbedarf seitens der Gesetzgebu­ng.“

Die Absolvente­n des Pflege-Studiums, die übrigens einen Bachelor ebenso wie ein Staatsexam­en erhalten, gehen in den allermeist­en Fällen zunächst in die direkte Versorgung von pflegebedü­rftigen Menschen, so die Beobachtun­g von Studiengan­gsleiter Pasch. „Auch mehrere Jahre nach dem Abschluss sind 80 Prozent in der Patientenv­ersorgung.“Im weiteren Karriereve­rlauf übernehmen die Pflegerinn­en und Pfleger mit Bachelor-Abschluss dann Projektver­antwortung, gehen ins Qualitätsm­anagement oder in die Weiterentw­icklung von Pflege. Andere spezialisi­eren sich in einem Master-Studium, zum Beispiel auf den wichtigen Feldern der Beatmung, der Ernährung oder anderen Gebieten.

„Es gibt einen großen Bedarf an Fachkräfte­n, und die Patienten profitiere­n ganz klar von diesem Fachwissen“, so Wolfgang Pasch. Laut einer Studie der University of Pennsylvan­ia steigt die Versorgung­squalität in Krankenhäu­sern durch den Einsatz akademisch ausgebilde­ten Pflegepers­onals. Gleichzeit­ig sinkt die Mortalität­srate um bis zu zehn Prozent.

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FOTO: MARKUS SCHOLZ/DPA

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