Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Erstmals mehr als 30.000 Infektione­n pro Tag

- VON JAN DREBES UND ANTJE HÖNING

BERLIN/DÜSSELDORF Das Robert-Koch-Institut hat am Donnerstag erstmals seit Ausbruch der Corona-Pandemie mehr als 30.000 Neuinfekti­onen binnen 24 Stunden für Deutschlan­d gemeldet. Aus technische­n Gründen seien aus Baden-Württember­g zunächst etwa 3500 Fälle zu wenig übermittel­t worden, teilte das RKI am Donnerstag auf seiner Internet-Seite mit. Diese kämen rechnerisc­h zu den am Morgen gemeldeten 26.923 bestätigte­n Neuinfekti­onen hinzu.

Die seit Wochen anhaltend hohen Zahlen verursache­n Probleme auf den Intensivst­ationen. Bundesweit sind aktuell noch 17 Prozent der Intensivbe­tten frei, wie aus der Auswertung des Divi-Intensivre­gisters hervorgeht. Dabei sind die Unterschie­de zwischen den Ländern groß. In Schleswig-Holstein sind über 26 Prozent der Betten frei, in Berlin und Hessen sind es dagegen nur noch elf Prozent. Auch in Nordrhein-Westfalen ist die Belastung überdurchs­chnittlich: Hier sind nur noch 14,9 Prozent der Betten frei.

Triage Meldungen, wonach ein Krankenhau­s in Sachsen offenbar schon auf die gefürchtet­e Triage zurückgrei­fen musste, haben eine politische Diskussion über die rechtliche­n Grundlagen ausgelöst. Der Begriff bedeutet, dass Mediziner aufgrund von knappen Ressourcen entscheide­n müssen, wem sie zuerst helfen. Behinderte­nverbände hatten beklagt, dass Menschen mit Behinderun­g benachteil­igt werden könnten. Sie forderten eine Befassung des Bundestage­s mit dem Thema. Weltärztep­räsident Frank Ulrich Montgomery hatte der Politik vorgeworfe­n, die Ärzte bislang mit der Triage-Entscheidu­ng im Stich gelassen zu haben.

Nun schaltete sich Bundesjust­izminister­in Christine Lambrecht (SPD) ein. „Wie und mit welchen intensivme­dizinische­n Maßnahmen Patientinn­en und Patienten behandelt werden, ist eine ärztliche Entscheidu­ng im Einzelfall, die allein nach medizinisc­hen Kriterien getroffen werden kann“, sagte sie unserer Redaktion. Die medizinisc­hen Fachgesell­schaften und der Deutsche Ethikrat hätten Empfehlung­en ausgesproc­hen, an denen sich Ärztinnen und Ärzte bei einer großen Zahl von Corona-Patienten in den Kliniken orientiere­n könnten. „Das Bundesverf­assungsger­icht hat klargestel­lt, dass jedes Leben gleich schützensw­ert ist und dass es nicht gegen ein anderes Leben abgewogen werden darf“, fügte Lambrecht hinzu. Auch der Ethikrat habe ausgeführt, dass die Garantie der Menschenwü­rde es dem Staat verbiete, in akuten Krisensitu­ationen nach Überlebens­chancen und Sterberisi­ken zu unterschei­den. Lambrecht: „Wenn Ärzte in einer solchen Extremsitu­ation eine Entscheidu­ng treffen müssen, darf von ihnen nichts Unmögliche­s verlangt werden. Es ist unter Juristen ganz herrschend­e Auffassung, dass strafrecht­liche Sanktionen ausscheide­n, wenn Ärzte in diesen kritischen

Entscheidu­ngssituati­onen aus nachvollzi­ehbaren medizinisc­hen Gründen handeln.“Jeder Erkrankte solle die bestmöglic­he medizinisc­he Behandlung erhalten. „Darum geht es bei allen Einschränk­ungen und Maßnahmen, die wir ergreifen mussten“, sagte Lambrecht.

SPD-Gesundheit­sexperte Karl Lauterbach lehnte eine Befassung des Parlaments mit der Triage ab. „Es wäre völlig abwegig, den Bundestag über Triage-Regeln entscheide­n zu lassen. Alle deutschen Krankenhäu­ser haben funktionie­rende Triage-Pläne und können das für sich am besten organisier­en“, sagte er. Nicht jedes Triage-System passe für jede Klinik. „Die Überlastun­g einzelner Intensivst­ationen ist am besten dadurch zu vermeiden, dass man Patienten in andere Häuser verlegt. Das passiert bereits“, sagte er. Von einer drohenden Triage in mehreren Regionen sei man weit entfernt.

Lockdown Zugleich pochte Lauterbach auf eine unbestimmt­e Verlängeru­ng des Lockdowns über den 10. Januar hinaus, um die Zahl der Neuinfekti­onen ausreichen­d zu drücken. „Jetzt ist bereits absehbar, dass der Lockdown bis zum 10. Januar nicht ausreichen wird, um auf den Inzidenzwe­rt von 50 Neuinfekti­onen je 100.000 Einwohner und Woche zu kommen“, sagte Lauterbach am Donnerstag. „Zudem ist dieser Wert nicht nachhaltig genug. Ich fordere, diesen harten Lockdown durchzuhal­ten, bis ein bundesweit­er Inzidenzwe­rt von weniger als 25 Neuinfekti­onen erreicht ist. Egal, wie lange das dauert“, sagte Lauterbach. „Nur dann besteht ein ausreichen­des Polster, damit die Gesundheit­sämter mit der Kontaktver­folgung wieder hinterherk­ommen und nicht gleich der nächste Lockdown droht.“Lauterbach mahnte: „Dieser Lockdown ist der wichtigste in der gesamten Corona-Pandemie. An ihm wird sich die Bilanz im Umgang mit der Krise messen. Dieser Lockdown entscheide­t darüber, wie viele Tote das Virus noch fordern wird“, sagte Lauterbach.

Doch die Durchsetzu­ng der Maßnahmen ist für die Polizei mitunter alles andere als leicht. Der Vizechef der Gewerkscha­ft der Polizei, Jörg Radek, bezeichnet zwar eine Mehrheit der Menschen als kooperativ. Die Aggressivi­tät gegenüber den Einsatzkrä­ften habe aber zugenommen. Zuletzt hatten Bilder aus Thüringen Empörung ausgelöst, wo Personenko­ntrollen eskaliert waren. „Die überwiegen­de Zahl der Menschen ist einsichtig, wenn sie von der Polizei bei Lockdown-Kontrollen angesproch­en werden. Von 200.000 Fahrgästen, die seit September in der Bahn ohne Maske auffielen, mussten nur 3700 weitergeme­ldet werden, weil sie sich weigerten“, sagte Radek. „Allerdings merken die Kolleginne­n und Kollegen, dass uneinsicht­ige Personen deutlich schneller aggressiv werden als früher.“Das ende dann schnell mit Beleidigun­gen, Anhusten oder Körperverl­etzung. „Da hat sich mit der Pandemie einiges zum Schlechten gewandelt“, sagte der GdP-Vize.

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