Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Erstmals mehr als 30.000 Infektionen pro Tag
BERLIN/DÜSSELDORF Das Robert-Koch-Institut hat am Donnerstag erstmals seit Ausbruch der Corona-Pandemie mehr als 30.000 Neuinfektionen binnen 24 Stunden für Deutschland gemeldet. Aus technischen Gründen seien aus Baden-Württemberg zunächst etwa 3500 Fälle zu wenig übermittelt worden, teilte das RKI am Donnerstag auf seiner Internet-Seite mit. Diese kämen rechnerisch zu den am Morgen gemeldeten 26.923 bestätigten Neuinfektionen hinzu.
Die seit Wochen anhaltend hohen Zahlen verursachen Probleme auf den Intensivstationen. Bundesweit sind aktuell noch 17 Prozent der Intensivbetten frei, wie aus der Auswertung des Divi-Intensivregisters hervorgeht. Dabei sind die Unterschiede zwischen den Ländern groß. In Schleswig-Holstein sind über 26 Prozent der Betten frei, in Berlin und Hessen sind es dagegen nur noch elf Prozent. Auch in Nordrhein-Westfalen ist die Belastung überdurchschnittlich: Hier sind nur noch 14,9 Prozent der Betten frei.
Triage Meldungen, wonach ein Krankenhaus in Sachsen offenbar schon auf die gefürchtete Triage zurückgreifen musste, haben eine politische Diskussion über die rechtlichen Grundlagen ausgelöst. Der Begriff bedeutet, dass Mediziner aufgrund von knappen Ressourcen entscheiden müssen, wem sie zuerst helfen. Behindertenverbände hatten beklagt, dass Menschen mit Behinderung benachteiligt werden könnten. Sie forderten eine Befassung des Bundestages mit dem Thema. Weltärztepräsident Frank Ulrich Montgomery hatte der Politik vorgeworfen, die Ärzte bislang mit der Triage-Entscheidung im Stich gelassen zu haben.
Nun schaltete sich Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) ein. „Wie und mit welchen intensivmedizinischen Maßnahmen Patientinnen und Patienten behandelt werden, ist eine ärztliche Entscheidung im Einzelfall, die allein nach medizinischen Kriterien getroffen werden kann“, sagte sie unserer Redaktion. Die medizinischen Fachgesellschaften und der Deutsche Ethikrat hätten Empfehlungen ausgesprochen, an denen sich Ärztinnen und Ärzte bei einer großen Zahl von Corona-Patienten in den Kliniken orientieren könnten. „Das Bundesverfassungsgericht hat klargestellt, dass jedes Leben gleich schützenswert ist und dass es nicht gegen ein anderes Leben abgewogen werden darf“, fügte Lambrecht hinzu. Auch der Ethikrat habe ausgeführt, dass die Garantie der Menschenwürde es dem Staat verbiete, in akuten Krisensituationen nach Überlebenschancen und Sterberisiken zu unterscheiden. Lambrecht: „Wenn Ärzte in einer solchen Extremsituation eine Entscheidung treffen müssen, darf von ihnen nichts Unmögliches verlangt werden. Es ist unter Juristen ganz herrschende Auffassung, dass strafrechtliche Sanktionen ausscheiden, wenn Ärzte in diesen kritischen
Entscheidungssituationen aus nachvollziehbaren medizinischen Gründen handeln.“Jeder Erkrankte solle die bestmögliche medizinische Behandlung erhalten. „Darum geht es bei allen Einschränkungen und Maßnahmen, die wir ergreifen mussten“, sagte Lambrecht.
SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach lehnte eine Befassung des Parlaments mit der Triage ab. „Es wäre völlig abwegig, den Bundestag über Triage-Regeln entscheiden zu lassen. Alle deutschen Krankenhäuser haben funktionierende Triage-Pläne und können das für sich am besten organisieren“, sagte er. Nicht jedes Triage-System passe für jede Klinik. „Die Überlastung einzelner Intensivstationen ist am besten dadurch zu vermeiden, dass man Patienten in andere Häuser verlegt. Das passiert bereits“, sagte er. Von einer drohenden Triage in mehreren Regionen sei man weit entfernt.
Lockdown Zugleich pochte Lauterbach auf eine unbestimmte Verlängerung des Lockdowns über den 10. Januar hinaus, um die Zahl der Neuinfektionen ausreichend zu drücken. „Jetzt ist bereits absehbar, dass der Lockdown bis zum 10. Januar nicht ausreichen wird, um auf den Inzidenzwert von 50 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner und Woche zu kommen“, sagte Lauterbach am Donnerstag. „Zudem ist dieser Wert nicht nachhaltig genug. Ich fordere, diesen harten Lockdown durchzuhalten, bis ein bundesweiter Inzidenzwert von weniger als 25 Neuinfektionen erreicht ist. Egal, wie lange das dauert“, sagte Lauterbach. „Nur dann besteht ein ausreichendes Polster, damit die Gesundheitsämter mit der Kontaktverfolgung wieder hinterherkommen und nicht gleich der nächste Lockdown droht.“Lauterbach mahnte: „Dieser Lockdown ist der wichtigste in der gesamten Corona-Pandemie. An ihm wird sich die Bilanz im Umgang mit der Krise messen. Dieser Lockdown entscheidet darüber, wie viele Tote das Virus noch fordern wird“, sagte Lauterbach.
Doch die Durchsetzung der Maßnahmen ist für die Polizei mitunter alles andere als leicht. Der Vizechef der Gewerkschaft der Polizei, Jörg Radek, bezeichnet zwar eine Mehrheit der Menschen als kooperativ. Die Aggressivität gegenüber den Einsatzkräften habe aber zugenommen. Zuletzt hatten Bilder aus Thüringen Empörung ausgelöst, wo Personenkontrollen eskaliert waren. „Die überwiegende Zahl der Menschen ist einsichtig, wenn sie von der Polizei bei Lockdown-Kontrollen angesprochen werden. Von 200.000 Fahrgästen, die seit September in der Bahn ohne Maske auffielen, mussten nur 3700 weitergemeldet werden, weil sie sich weigerten“, sagte Radek. „Allerdings merken die Kolleginnen und Kollegen, dass uneinsichtige Personen deutlich schneller aggressiv werden als früher.“Das ende dann schnell mit Beleidigungen, Anhusten oder Körperverletzung. „Da hat sich mit der Pandemie einiges zum Schlechten gewandelt“, sagte der GdP-Vize.