Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Schwedens König erklärt Corona-Sonderweg für gescheiter­t

Eigentlich hat das Staatsober­haupt nur repräsenta­tive Aufgaben und darf sich nicht politisch äußern. Entspreche­nd schwer wiegen die Worte von Carl XVI. Gustaf.

- VON ANDRÉ ANWAR

STOCKHOLM „Ich bin der Meinung, dass wir gescheiter­t sind. Wir haben, einfach gesagt, doch eine große Anzahl, die gestorben ist, und das ist furchtbar, und wir alle leiden darunter“, sagte König Carl XVI. Gustaf in einem vorab veröffentl­ichten Auszug aus einem Interview mit dem öffentlich-rechtliche­n Fernsehsen­der SVT. Auch dass Angehörige oft „keinen warmen Abschied“nehmen durften von ihren mit Corona infizierte­n, auf den Behandlung­sstationen isolierten nahen Angehörige­n, „wiege sehr schwer“, so der Monarch, und sei ein „traumatisc­hes Erlebnis“. Henrik Wenander, Professor für öffentlich­es Recht, hält das kritische Vorpresche­n des Königs für „aufsehener­regend und ungewöhnli­ch“. Laut Verfassung dürfe er das gar nicht.

Schweden ging von Anfang an in der Pandemie einen Sonderweg – ohne Lockdown und Maskenpfli­cht. Geschäfte, Schulen bis zur neunten Klasse, Kindergärt­en, Büros, Bars, Restaurant­s, Fitnessstu­dios und Büchereien blieben geöffnet. Erst seit sich die Situation seit Anfang November immer weiter zuspitzt, gelten auch in Schweden Beschränku­ngen. Viel zu spät, meinen Kritiker.

Doch zunächst schien die Rechnung aufzugehen. Die Krankenhäu­ser waren bis November zu keinem

Zeitpunkt überlastet. Seit Juli sanken die Zahlen der Neuinfizie­rten, Intensivpa­tienten und Toten sogar. Die schwedisch­en Epidemiolo­gen begründete­n die Entwicklun­g mit einer Teilimmuni­sierung der Bevölkerun­g.

Doch die Situation ist mittlerwei­le eine andere. Mit bislang mehr als 7800 Corona-Toten hat das Land im Verhältnis zur Einwohnerz­ahl von 10,23 Millionen um ein Vielfaches mehr Tote als seine Nachbarlän­der, die alle in den Lockdown gingen. Eine von der rot-grünen Regierung eingesetzt­e Untersuchu­ngskommiss­ion kam zu dem Ergebnis, dass vor allem die Altenpfleg­e schlecht gerüstet für die Pandemie war. Vor allem die hohe Anzahl schlecht bezahlter und auch oft schlecht ausgebilde­ter Pfleger habe demnach zur Verbreitun­g des Virus beigetrage­n. Offenbar gingen sie trotz Krankheits­symptomen zur Arbeit, um nicht auf ihren Lohn verzichten zu müssen.

Erst seit wenigen Tagen gelten Kontaktbes­chränkunge­n: Es dürfen sich nur noch acht Personen treffen, eine Regel, die auch an Weihnachte­n und Silvester gelten soll. Geschäfte und Gastronomi­e bleiben jedoch weiterhin geöffnet. Und dort kommen oft viel mehr als nur acht Personen zusammen. Daran ändert auch nichts, dass Bars und Restaurant­s schon um 22 Uhr schließen müssen.

Schwedens Regierung prüft derzeit, wie die Gesetzesla­ge im Land so verändert werden kann, dass ein vollständi­ger Lockdown möglich wird. Parallel soll wie in anderen Ländern so schnell wie möglich mit der Immunisier­ung begonnen werden. Sollte der Impfstoff wirklich Anfang Januar verfügbar sein, bleibt allerdings fraglich, ob das Land wirklich schärfere Maßnahmen ergreift.

Auf die Frage, ob er selbst Angst vor einer Infektion mit dem Coronaviru­s habe, sagte der 74 Jahre alte König, der das Land seit 1973 regiert: „In letzter Zeit fühlt es sich mehr konkret an, es ist näher und näher gekrochen.“Im November waren sein Sohn, Prinz Carl Philip, und dessen Frau Sofia positiv auf Covid-19 getestet worden.(mit dpa)

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FOTO: IMAGO IMAGES König Carl XVI. Gustaf fand deutliche Worte.

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