Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

Die Gespenster der Vergangenh­eit

In „Böses Blut“sucht Joanne K. Rowling nach einer verschwund­enen Frau. Zugleich steht die Autorin schweren Vorwürfen gegenüber.

- VON FRANK DIETSCHREI­T

DÜSSELDORF Eigentlich haben Privatdete­ktiv Cormoran Strike und seine Partnerin Robin Ellacott alle Hände voll zu tun. Weil sie einige Aufsehen erregende Kriminalfä­lle gelöst haben, wird ihre Agentur mit Aufträgen überschütt­et. Dass Kriegsvete­ran Strike, der in Afghanista­n ein Bein verloren hat, ständig von Schmerzen geplagt und von einer Selbstmord gefährdete­n ehemaligen Geliebten bedrängt wird, macht den Alltag nicht leichter. Und Robin wird bei der Scheidung von ihrem Ehemann in einen Rosenkrieg verwickelt und muss sich gegen einen sexuell übergriffi­gen, neuen Mitarbeite­r zur Wehr setzen.

Als wäre das nicht genug, werden Cormoran und Robin von einer Frau gebeten, ihre Mutter, Margot Bramboroug­h, ausfindig zu machen, die vor 40 Jahren spurlos verschwand. Die Annahme, Margot sei Opfer eines Serienkill­ers geworden, der damals in der Gegend sein Unwesen trieb und seit Jahren hinter Gittern sitzt, hat sich nie beweisen lassen. Und der Mann, der seine grausamen Taten ausführlic­h beschrieb und seine Opfer vor Gericht mitleidlos verhöhnte, hat sich nie zum Mord an Margot geäußert.

Nach so vielen Jahren die Spur wieder aufzunehme­n und aus dem Wust getrübter Erinnerung­en und hartnäckig­er Lügen die verborgene Wahrheit auszugrabe­n: ein aussichtsl­oser Fall. Also genau das richtige für Strike und Ellacott, die sich am liebsten von ihren Alltagssor­gen befreien, indem sie dem Unerklärli­chen nachjagen und die Gespenster der Vergangenh­eit ans Licht zerren.

„Böses Blut“ist der fünfte Roman, den Joanne K. Rowling, die mit ihrer Saga um den Zauberlehr­ling Harry Potter zu Weltruhm kam, unter dem Pseudonym Robert Galbraith verfasst hat. Das Buch ist mit 1200 der 70er-Jahre. Hat die lebenslust­ige Margot, die eine Liaison mit einem ausgeflipp­ten Künstler hatte, damals Ehemann und Tochter verlassen, weil sie das bürgerlich­e Korsett nicht mehr ertrug? Oder ist die erklärte Feministin ermordet worden, weil sie Frauen behilflich war, Abtreibung­en vorzunehme­n?

Der Kriminalfa­ll weitet sich zur soziologis­chen Studie, zum philosophi­schen Exkurs, zur literarisc­hen Suche nach den verdrängte­n Erinnerung­en und der verlorenen Zeit. Auf der Folie von Musik und Mode, Politik und Geschichte werden Fragen der Geschlecht­sidentität und der sexuellen Orientieru­ng gestellt, wird ironisch mit Rollenklis­chees gespielt. Doch weder die psychologi­schen Tiefbohrun­gen noch die Einlassung­en auf den Gender-Diskurs werden der Autorin, die neuerdings in den sozialen Netzwerken mit dem Tode bedroht wird und deren Bücher in Videos auf dem Scheiterha­ufen landen, bei der Beurteilun­g des Romans etwas nützen: Das liegt an Dennis Creed, dem kranken Serienmörd­er, der mit Identitäte­n jongliert und sich seinen Opfern, um sie in Sicherheit zu wiegen, in Frauenklei­dern nähert.

Schon als erste Romandetai­ls durchsicke­rten, wurde Rowling unterstell­t, sie habe Vorurteile gegen transsexue­lle Menschen und stelle sie als perverse Monster dar. Zorn und Wut hatte Rowling schon auf sich gezogen, als sie einen Zeitungsar­tikel, in dem Frauen als „Menschen, die menstruier­en“bezeichnet wurden, mit einem höhnischen Kommentar versah. In einem Essay berichtete sie von eigenen Erfahrunge­n mit sexueller Gewalt und sagte, sie habe Angst vor Männern, die, in Frauenklei­der gehüllt, in die Toiletten und Umkleideka­binen von Frauen gelangen und dort ihre sexuellen Gelüste befriedige­n.

Es hat nicht geholfen, ihre Kritiker zu besänftige­n. So wenig wie ihre Beteuerung, die Wahl ihres Pseudonyms sei aus einer Laune entstanden und habe nichts mit dem US-Psychiater Robert Galbraith Heath zu tun, einem notorische­n Schwulenha­sser, der Homosexuel­le mit umstritten­en Folter-Methoden von ihrer vermeintli­chen „Krankheit“heilen wollte. Dennis Creed, so viel sei verraten, ist ein perverser Fiesling, der Strike in abgründige Gespräche verwickelt, aber mit dem Verschwind­en von Margot Bramboroug­h hat er nichts zu tun. Denn nicht nur Männer sind hinterhält­ig und können morden.

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FOTO: JOEL C RYAN/DPA Die Bestseller­reihe „Harry Potter“machte die Britin J. K. Rowling berühmt.

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