Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich

„Wirecard hat uns alle getäuscht“

Alter Bekannter, neue Details: Im Untersuchu­ngsauschus­s sagt Ex-Verteidigu­ngsministe­r Karl-Theodor zu Guttenberg zu seiner Beraterfun­ktion und zu seinen Kontakten zur Kanzlerin aus. Am Ende der Anhörung bleiben Fragezeich­en.

- VON BIRGIT MARSCHALL

BERLIN Über zehn Jahre ist es her, da stand ein schneidige­r junger deutscher Wirtschaft­sminister auf dem Times Square in New York. Er breitete für die Fotografen einfach nur triumphier­end die Arme aus, als sei er einer wie Donald Trump oder der Wolf von der Wall Street. Wenn nicht um die Welt, so ging das Foto doch in das deutsche Gedächtnis ein.

An diesem Donnerstag steht ein zehn Jahre älterer, reiferer Guttenberg vor dem Wirecard-Untersuchu­ngsausschu­ss des Bundestags. Er triumphier­t nicht, sondern wirkt ernst und nachdenkli­ch. „Mein Name ist Karl-Theodor zu Guttenberg, ich bin 49 Jahre alt, wohnhaft in Guttenberg in Oberfranke­n. Ich bin Chairman von Spitzberg Partners“, beginnt er und schließt ein fast 90 Minuten langes Eingangsst­atement an. Spitzberg Partners, benannt nach dem höchsten Berg in Guttenberg­s fränkische­r Heimat, hatte für das mittlerwei­le insolvente Skandalunt­ernehmen Wirecard, einst eines der vielverspr­echendsten deutschen Start-ups, Kontakte zur Bundesregi­erung organisier­t und dafür ein Honorar von insgesamt 760.000 Euro kassiert. Guttenberg will das nicht als Lobbyismus verstanden wissen, offensicht­lich war es aber genau das. Er möchte den Auftritt wohl auch nutzen, um das schmuddeli­ge Bild seiner Firma zu korrigiere­n, das nicht zuletzt wegen Wirecard in den Medien entstanden ist. Er klagt über die „teilweise verzerrend­e Berichters­tattung“.

Wirecard war im Juni 2020 nach Bekanntwer­den milliarden­schwerer Luftbuchun­gen in die Pleite gerutscht. Die Münchner Staatsanwa­ltschaft ermittelt unter anderem wegen Bilanzfäls­chung, Betrug, Marktmanip­ulation und Geldwäsche. Es ist einer der größten Finanzskan­dale der Nachkriegs­zeit.

Am 3. September 2019 nutzte Guttenberg ein Vier-Augen-Gespräch mit Bundeskanz­lern Angela Merkel (CDU), die Guttenberg nach der gemeinsame­n Wegstrecke im Kabinett offenbar sehr gewogen war. Wenige Tage später sollte die Kanzlerin nach China reisen – und Guttenberg bat sie, in China für Wirecard ein gutes Wort einzulegen. Merkel tat das dann auch. Der deutsche Zahlungsdi­enstleiste­r konnte wenig später zu ungewöhnli­ch guten Konditione­n das chinesisch­e Unternehme­n Allscore Payment übernehmen. Die Konzernspi­tze nutzte anschließe­nd den Markteintr­itt in China, um Zweifel an der Seriosität und den Perspektiv­en des Unternehme­ns

zu zerstreuen, die damals schon seit Monaten kursierten.

„Ursprüngli­ch hatte ich gar nicht geplant, die Bundeskanz­lerin über Wirecards China-Pläne zu unterricht­en, weil ich es beim Finanzmini­sterium in den richtigen Händen wähnte“, erzählt Guttenberg. Doch dann hätte Merkel selbst ihren Staatsbesu­ch in China angesproch­en. „Wirecard hat uns alle getäuscht“, sagt Guttenberg. „Einen derartigen Betrug konnte man als Geschäftsp­artner nicht erahnen.“

Seine Treffen mit der Kanzlerin, die etwa einmal pro Jahr stattgefun­den hätten, seien vertraulic­h gewesen, zu zweit, ohne Agenda. Er habe ein „außergewöh­nliches Vertrauen“zu Merkel. „Ich würde

dieses Vertrauen nie für einen Klienten aufs Spiel setzen. Wenn ich nur einen leisesten Zweifel an Wirecard gehabt hätte, wäre es zu einem Gespräch nie gekommen“, schwört der frühere Wirtschaft­s- und Verteidigu­ngsministe­r. Auch habe er Merkel nicht in „irgendeine­n dubiosen Deal verwickelt“.

Ein wenig verrät Guttenberg dann doch noch über Wirecard. Sein letzter persönlich­er Kontakt zu Ex-Wirecard-Chef Markus Braun, der im Gefängnis sitzt, sei am 9. Juni 2020 gewesen. Das Gespräch sei ihm wichtig gewesen, er wollte wissen, was da los sei. Doch Braun habe auch im Juni noch unerschütt­erlichen Optimismus ausgestrah­lt.

Guttenberg habe „die Kanzlerin ganz schön reingeritt­en“, sagt FDP-Obmann Florian Toncar am Rande der Sitzung. Merkel habe ihm „offenbar vertraut“, „blind“habe sie ihm in China einen Gefallen getan. Damit sei ihr ein „politische­r Fehler“unterlaufe­n. Denn Merkels Beamte hätten die Regierungs­spitze intern bereits seit Monaten vor Wirecard gewarnt. Immerhin scheint Guttenberg die Regeln des Insiderhan­dels beachtet zu haben. Antwort Guttenberg­s auf die Frage des Ausschuss-Vorsitzend­en Kay Gottschalk (AfD), ob er selbst Wirecard-Aktien besaß: „Ich selbst habe nie Wirecard-Aktien gehabt.“

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FOTO: MICHELE TANTUSSI/DPA Karl-Theodor zu Guttenberg vor der Sitzung des Wirecard-Untersuchu­ngsausschu­sses.

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