Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
„Vergessenes Gutachten“sorgt für Empörung
Ein vermeintlich zurückgehaltenes Gutachten sorgt im Erkelenzer Land für Empörung. Womöglich hätte die Umsiedlung von Dörfern vermieden werden können. Das sind die Reaktionen.
ERKELENZER LAND „Ich bin unglaublich enttäuscht, weil ich nicht weiß, wie die Entscheidung bei einem fairen Ablauf ausgefallen wäre.“René Wagner vom Vorstand der Dorfgemeinschaft Keyenberg Westrich Berverath ringt nach Worten, nachdem er von dem „vergessenen“Gutachten erfahren hat, das bei der Diskussion über den Kohleausstieg den Erhalt der Dörfer Keyenberg, Kuckum, Ober- und Unterwestrich sowie Berverath als möglich angesehen hatte. Das Bundeswirtschaftsministerium hat – so berichtete der Spiegel“– anscheinend seit November 2019 eine Studie unter Verschluss gehalten, die besagt, dass die fünf Dörfer erhalten werden können. Dies entspräche auch den Empfehlungen der Kohlekommission. Das Ministerium wich von den Vorschlägen der Kommission ab und beschloss mit dem Kohlekonzern RWE und NRW-Ministerpräsident Armin Laschet eine Abbaggerung aller bedrohten Dörfer im Rheinland.
„Die Nachricht erreicht uns an dem Tag, wo RWE allen Umsiedlern ein frohes Fest wünscht und darauf hinweist, dass man schon mit 85 Prozent der Bewohner einig geworden sei.“Egal ob man für oder gegen die Umsiedlung sei: „Wie wäre der Prozess abgelaufen, wenn alle Fakten auf dem Tisch gelegen hätten?“, fragt Wagner. „Unsere Familie hat viel später als geplant losgelassen und freut sich auf das neue Keyenberg, aber für diejenigen, die noch hierbleiben und für die alte Heimat kämpfen, ist die Vertuschungsaktion
ein Schlag ins Gesicht.“
Wie Wagner hat auch der Erkelenzer Bürgermeister Stephan Muckel bisher nichts von der Existenz dieses Gutachtens gewusst. Er könne nicht sagen, ob wirklich versucht worden sei, dieses Gutachten zurückzuhalten. „Aber allein der Verdacht ist unglaublich, so etwas untergräbt Vertrauen und das bei einem so sensiblen Thema, bei dem ein gesellschaftlicher Konsens erreicht werden sollte.“Dies solle schnellstmöglich aufgeklärt werden, fordert er.
„Auch mich überraschte natürlich diese Nachricht“, erklärte der CDU-Landtagsabgeordnete Thomas Schnelle. Er habe derzeit auch nur die Informationen aus den verschiedenen Meldungen. Welche Auswirkungen dieses Gutachten für Garzweiler II haben kann, werde noch genau zu prüfen sein. Jeder könne sicher sein, „dass ich alle Argumente in die politische Diskussion mit einbringen werde, die eine Verkleinerung des Tagebaus beziehungsweise einen vorzeitigen Stopp ermöglichen.“Gerade vor diesem Hintergrund sei es wichtig, wie auch in der jetzigen Leitentscheidung beschrieben, die Abbaurichtung zu ändern und zunächst den bereits freigeräumten beziehungsweise unbewohnten Raum zu nutzen. „Allerdings bin ich gegen die nun angebrachte Forderung nach einem Umsiedlungsstopp. Für die Menschen, die sich im Prozess der Umsiedlung befinden beziehungsweise noch umsiedeln wollen, muss die Zusage gelten und verlässlich bleiben, unter den bislang geltenden Bedingungen umsiedeln zu können.“Aufgrund der Entscheidungen 2016 hätten viele Menschen damals ihre eigenen Entscheidungen, auch hinsichtlich des Zeitpunkts der Umsiedlung, getroffen. Sein FDP-Landtagskollege Stefan Lenzen aus Heinsberg wünscht Transparenz für die Menschen in den betroffenen Dörfern: „Das Gutachten ist mir nicht bekannt. Eine inhaltliche Bewertung kann ich daher nicht abgeben. Ich habe den NRW-Wirtschaftsminister diesbezüglich angefragt. Es muss geklärt werden, warum das Bundeswirtschaftsministerium das Gutachten zurückgehalten hat und es in den Entscheidungsprozess daher nicht einbezogen werden konnte. Diese Transparenz haben die Menschen verdient.“
Zu denen, die nicht umsiedeln möchten und die Schnelles Standpunkt nicht teilen, gehört David Dresen, der mit seiner Familie Kuckum nicht verlassen möchte. „Wirtschaftsminister Peter Altmaier hat einfach ein Gutachten verschwinden lassen, das der Kohle-Lobby nicht gepasst hat. Der Bundestag wurde getäuscht. Dafür muss Peter Altmaier zurücktreten. Wir fordern, dass jetzt schnellstmöglich rechtlich geklärt wird, dass unsere Dörfer bleiben können. Bis dahin muss die Regierung unterbinden, dass die Kohlekonzerne vor Ort durch Abrisse und Rodungen Fakten schaffen.“Diese Meinung vertritt auch die mitsamt ihrer Familie von der Umsiedlung bedrohte Britta Kox aus Berverath.