Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Wolfsrudel am Niederrhein bestätigt
Die Wölfin „Gloria“hat Nachwuchs. Das belegen Fotos einer Wildkamera des Landesamts für Naturschutz und Umwelt. Das könnte die Diskussion um einen Abschuss verschärfen.
SCHERMBECK Das Wolfspärchen, das für zahlreiche gerissene Tiere am Niederrhein verantwortlich ist, hat Nachwuchs bekommen und wird damit von den Behörden künftig als Wolfsrudel eingestuft. Wie unsere Redaktion vom Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW (Lanuv) erfuhr, wurden am Vormittag des 24. November in einem Waldgebiet in Hünxe drei Wölfe von einer Wildkamera fotografiert und gefilmt. Betreut wird diese Kamera von zwei ehrenamtlichen Wolfsberatern, die für das Lanuv im Einsatz sind. Alter und Geschlecht der Wölfe ließen sich auf den Videoaufnahmen nicht erkennen, hieß es.
Zudem gibt es weitere Aufnahmen, die am 5. Dezember in Hünxe entstanden sind und zwei Wölfe zeigen. Das Bild- und Videomaterial sei von der Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf geprüft worden, erklärte das Lanuv. „In diesem Fall stellte sich heraus, dass es sich bei dem zweiten Wolf um einen etwa sechs Monate alten Welpen handelt. Es ist daher mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass es sich um einen Welpen der im Territorium vorkommenden Wölfe GW954f und GW1587m handelt.“
GW954f ist auch unter dem Namen „Gloria“bekannt und für mehrere Risse von Schafen und eines Shetland-Ponys verantwortlich. Schäfer und Anwohner hatten wiederholt auf einen Abschuss von „Gloria“gepocht – Experten sprechen auch von Entnahme. Der Kreis Wesel hatte einen Ende 2019 gestellten Antrag jedoch abgelehnt. Über eine dagegen eingereichte Klage beim Verwaltungsgericht Düsseldorf ist noch nicht entschieden.
„Die Wölfin im Kreis Wesel hat 2018 nachweislich 18-mal auf Weidetiere übergegriffen, 2019 waren es 19 und in diesem Jahr rund 20 Übergriffe“, sagte NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU). Im August habe es eine auffällige Häufung von elf Vorfällen gegeben. „Deswegen haben wir bei der Dokumentationsstelle des Bundes ein Gutachten in Auftrag gegeben, um zu überprüfen, ob es nicht doch Verhaltensauffälligkeiten gibt“, so die Ministerin. Das Ergebnis erwarte man im Januar.
Nach der Kommunalwahl war allerdings der neue Landrat Ingo Brohl (CDU) vorgeprescht und hatte sich für einen Abschuss von „Gloria“ausgesprochen. „Wir haben dem Landrat empfohlen, das Gutachten abzuwarten, ehe er eine Entscheidung fällt“, so die Ministerin. Theoretisch wäre es möglich, dass sich der andere Wolf, GW1587m, das Verhalten bei „Gloria“abgeguckt hat. Belege gibt es dafür zurzeit aber nicht. „Das müssen wir weiter sehr genau beobachten. Doch selbst wenn das Wolfspaar entnommen werden dürfte: Die Bedingungen in der Region zwischen Wesel und Haltern sind für die Tiere so gut, dass sich der Niederrhein darauf einstellen sollte, Wolfsgebiet zu bleiben“, sagte die Ministerin. Der Wildbestand mit Hirschrudeln von bis zu 70 Tieren sei so gut, dass dort sogar mehrere Wolfsrudel leben könnten.
Landrat Ingo Brohl erklärte auf Anfrage, nach seinem persönlichen Empfinden handle es sich bei den Wölfen aufgrund der vielen Nutztiere, die bereits nachweislich von ihnen gerissen wurden, um „Wölfe mit einem problematischen Verhalten“. Sollte das Verwaltungsgericht die bisher vom Kreis Wesel untersagte Entnahme oder Vergrämung fachlich und rechtlich anders bewerten, sei er in diesem konkreten Fall zur Genehmigung bereit, sagte Brohl.
DÜSSELDORF (maxi) Der Schutz von Nutztieren vor Wolfsrissen kommt das Land NRW teuer zu stehen. „Allein in diesem Jahr haben wir 1,6 Millionen Euro für Herdenschutz ausgegeben. Davon ist ein Großteil allein im Kreis Wesel und in angrenzenden Pufferzonen angefallen“, sagte NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) unserer Redaktion. Die Ministerin äußerte Verständnis, dass Schäfer zurückhaltend beim Einsatz von Elektrozäunen sind. „Diesen Zaun, der mehrere Hundert Meter lang ist, abends ab- und wieder aufzubauen, ist schwere Arbeit.“
Der Rheinische Landwirtschaftsverband kritisierte, dass für den Zaun nur die Materialkosten gefördert würden. Mit Arbeitsaufwand und Folgekosten werde der Landwirt alleingelassen, sagte eine Sprecherin. „Außerdem durchschneiden Zäune unsere Landschaft auch für andere Wildtiere.“Die Ministerin verweist deshalb auf eine andere Form des Schutzes, die mehr gefördert werde: Hunde. Früher wurden die Kosten bei Herden von 100 Tieren übernommen, heute sind es 40.
„Die Fokussierung auf Herdenschutzhunde als Lösung des Problems halte ich für falsch“, sagt Christian Chwallek, stellvertretender Landesvorsitzender des Nabu. „Das sind Tiere, die einer klaren Führung bedürfen, das liegt nicht jedem Schäfer. Wir sollten deshalb auch in andere Bundesländer und ins Ausland schauen.“Dort gebe es viele Schäfer, die gelernt hätten, mit dem Wolf zu leben. „Die sind dann froh, wenn man das Rudel in Ruhe lässt. Wenn nämlich der Leitwolf entnommen wird, dann führt das zu sehr viel Unruhe im Rudel. Dann müssen sich alle Beteiligten wieder erneut aneinander gewöhnen.“
Alternativ bliebe der Abschuss. Doch der ist nur unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt, etwa wenn das Tier die Scheu vor dem Menschen verloren hat oder mehrfach einen Elektrozaun mit einer Höhe von 1,20 Metern überspringt, ohne dass es zusätzliche Schutzmöglichkeiten für Weidetiere gibt. „Das Springen ist keine genetische Eigenschaft eines Wolfes, die automatisch jedes Tier beherrscht. Wölfe müssen das Springen erst erlernen“, sagt Heinen-Esser. Ein weiterer Grund seien wirtschaftliche Schäden. „Allerdings wird der Wolfsriss bei Nutztieren in NRW zu 100 Prozent vom Land ersetzt“, so die Umweltministerin.
Nabu-Vize Chwallek hinterfragt, wie konsequent der Herdenschutz umgesetzt werde. „Wir haben den Schäfern 20 sogenannte Data-Logger kostenfrei angeboten.“Dieses Gerät zeichnet Spannungsverluste auf und meldet sie dem Besitzer. „Es sind nur eine Handvoll Geräte abgerufen worden. Das macht schon stutzig“, sagt er. Zudem vergingen häufig mehrere Stunden, bis Experten vor Ort seien – eine Zeitspanne, in der noch Veränderungen an den Zäunen durchführbar wären.