Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Der doppelte Drosten
Der Virologe Christian Drosten ist nicht nur ein herausragender Wissenschaftler, er ist auch ein mutiger Mann. Unermüdlich erklärt er Wissenschaft einem breiten Publikum, geht in Konflikte und setzt sich auch Häme und Beleidigungen aus. In seinem Fach ist er eine Ausnahme. Die meisten Forscher scheuen das Licht der Öffentlichkeit. In der Corona-Krise ist das für Virologen, Epidemiologen und Mediziner nicht mehr möglich. Die Menschen, die über ihre Steuern oder durch den Kauf von Produkten die Wissenschaft bezahlen, wollen informiert werden. Am besten in Echtzeit.
Der Chefvirologe der Charité in Berlin kommt dieser Verpflichtung vorbildlich nach. Als erste Berichte über eine hochansteckende Mutation des Coronavirus in Großbritannien bekannt wurden, twitterte Drosten sehr zurückhaltend. Die genetische Veränderung weise „zwei eventuell verstärkende und eine wohl abschwächende Mutation“auf. Im Interview mit dem Deutschlandfunk am Montag gab der Virologe sogar vorläufig Entwarnung und erklärte, er sei „im Moment nicht so sehr besorgt“. Als er dann die Ergebnisse aus Großbritannien im Einzelnen analysierte, befand er per Twitter: „Das sieht leider nicht gut aus.“Hätte er lieber schweigen und die neueren Untersuchungen aus dem Vereinigten Königreich abwarten sollen?
Viele Wissenschaftler wären so verfahren. Doch Drosten fühlte sich gefordert und zeigte, wie Forschung in Echtzeit funktioniert. Er bewertete die ersten Ergebnisse und veränderte dann seine Meinung, als er weitere Daten studierte. Wer immer zu jeder Zeit klare Aussagen wünscht, der ist unzufrieden mit einer solchen Herangehensweise. Aber die Realität – gerade auch in der Wissenschaft – ist nicht so. Alle Ergebnisse sind vorläufig, auch wenn sie unterschiedlich gesichert sind.
BERICHT MUTATIONEN GEHÖREN ZUM LEBEN, WISSEN