Rheinische Post - Mönchengladbach and Korschenbroich
Der Notarzt der deutschen Wirtschaft
Peter Altmaier hat seine Rolle als Helfer in der Corona-Krise gefunden. Doch bei der Umsetzung hapert es.
Noch längst hat er nicht alle Weihnachtsgeschenke beisammen, doch im Lockdown sind alle Geschäfte dicht. „Ich bin ein Last-Minute-Käufer“, gestand Peter Altmaier unlängst. „Das ist jedes Jahr so. Hat diesmal leider nicht funktioniert.“Leer ausgehen sollen Familie und Freunde trotzdem nicht. „Ich werde meinen Lieben kleine Gutscheine schenken, die ich selbst gebastelt habe.“So gebe es Einkaufsgutscheine für den Buchhändler seiner Wahl, sagte der Wirtschaftsminister.
Last Minute, auf den letzten Drücker: So ging es Altmaier im zu Ende gehenden Jahr auch beruflich. In der Corona-Krise ist er der oberste Notarzt der deutschen Wirtschaft. Eine Notoperation jagte die nächste, die Infektionszahlen stiegen trotzdem. Pausenlos ist der CDU-Politiker unterwegs in den Medien, um Bürgern und Unternehmen noch mehr Hilfen des Staates zu versprechen, ihnen Mut zuzusprechen.
Er kann das wie Wenige in der Bundesregierung. Bei der Physikerin Angela Merkel als oberster Krisenmanagerin fühlen sich die Bürger in guten Händen. Altmaier sehen viele als ideale Ergänzung, weil er die Regierungspolitik so sympathisch erläutern kann, dass einem ein wenig wärmer ums Herz wird. „Peter Altmaier macht seinen Job in der Corona-Krise sehr gut. Er ist kein Ideologe, jederzeit ansprechbar, hört gut zu, reflektiert. Ein Plus für uns alle in der Pandemie“, findet Anton Börner, der Außenhandelspräsident.
Der Saarländer Altmaier fühlt sich in der Hochkultur und der guten Küche zu Hause. Das Amt des Wirtschaftsministers ist dem Bibliophilen
2018 zugefallen, weil er für die Kanzlerin im Kabinett gesetzt war und seine Wunschposition, die des Finanzministers, an die SPD ging. Wie viele Politiker hat Altmaier eine juristische Ausbildung; er war EU-Beamter, bevor seine politische Karriere begann. Unternehmen hat der 62-Jährige nur als prominenter Besucher von innen gesehen.
In den ersten beiden Jahren seiner Amtszeit machte sich diese Distanz zur Lebenswelt der Unternehmer mitunter negativ bemerkbar. Die Familienunternehmer etwa schüttelten den Kopf über das staatswirtschaftliche Denken des CDU-Ministers, der ihnen zu wenig auf Wettbewerb und Mittelstand setzte. Das überwiegend negative Echo der Verbände auf Altmaiers Industriestrategie 2019 steht symbolisch für diese Phase.
Doch dann folgte im Frühjahr 2020 der Ausbruch der Corona-Krise – und Altmaier schlüpfte in eine neue Rolle: Zusammen mit Finanzminister Olaf Scholz (SPD) wurde er zum omnipräsenten Rettungsengel. Beide packten die „Bazooka“aus, die große Finanzkanone des Staates, die Geld an Bürger und Unternehmen verteilen sollte. Scholz war für das Geldlockermachen zuständig, Altmaier für die Umsetzung. Das Image des Wirtschaftsministers besserte sich erheblich, auch Nicht-CDU-Wählern fiel der eloquente Plauderer positiv auf.
Nun aber hapert es bei der Umsetzung der Wirtschaftshilfen. Von den 2020 eilig bereitgestellten 50 Milliarden Euro ist nur ein Bruchteil abgeflossen, viele Unternehmer und Selbstständige sind verzweifelt. Die Novemberhilfe konnte erst Ende des Monats beantragt werden, fließen werden erste Abschlagszahlungen erst im Januar, denn Altmaiers
„Warum setzt Altmaier nicht Himmel und Hölle in Bewegung?“Reinhold von Eben-Worlée Verband der Familienunternehmer
Ministerium hat Software-Probleme. Und ab Januar gibt es nur noch die Überbrückungshilfe III, die sich an den Fixkosten orientiert und daher geringer ausfallen wird. Nach den Soforthilfen im Frühjahr ist sie schon die dritte Hilfsform, mit der sich die Antragsteller auseinandersetzen müssen.
„Im Ankündigen großzügiger staatlicher Hilfen waren die Bundesminister Altmaier und Scholz schnell. Beim Umsetzen haperte es jedoch an vielen Stellen“, sagt Familienunternehmer-Chef Reinhold von Eben-Worlée. „Warum setzt Altmaiers Ministerium nicht Himmel und Hölle in Bewegung, um für die Auszahlung der Hilfen das Software-Problem zu lösen?“, fragt der Verbandschef. Auch der Bundesverband mittelständische Wirtschaft sendet Brandbriefe: Es müsse sich sehr schnell etwas ändern, sonst drohe eine riesige Pleitewelle im nächsten Jahr.
Die Probleme treffen zum Jahresende zusammen mit anderen Themen, bei denen Altmaier Kritik aushalten muss. Die Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes etwa enttäuscht Klimaschützer, weil der Ausbau der erneuerbaren Energien zu langsam vorangehe. Es gibt zudem Vorwürfe, Altmaier habe ein Gutachten unter Verschluss gehalten, das die fortgeschrittene Umsiedlung von Dörfern im nordrhein-westfälischen Braunkohle-Revier als unnötig einstuft. Auch im Wirecard-Skandal könnte an Altmaier etwas hängenbleiben: Ihm untersteht die Aufsicht über die Wirtschaftsprüfer. Deren Chef hat mit Wirecard-Aktien gehandelt, Altmaier musste ihn freistellen.
„Unglücklich sind wir auch, dass sich der Wirtschaftsminister derzeit hauptsächlich auf die Rettungspolitik stürzt, den Kern der Wirtschaftspolitik aber nicht bearbeitet“, sagt Familienunternehmer Eben-Worlée. „Während unsere Volkswirtschaft ihre Wettbewerbsfähigkeit verliert, kommen aus dem Hause Altmaiers weder substanzielle Verbesserungsvorschläge, noch können die eigenen Programme in der Koalition durchgesetzt werden.“
Andere Verbände sind da gnädiger. Altmaiers große Kompromissbereitschaft, oft genug ein Ärgernis für Wirtschaftsvertreter, erweise sich in der Krise als Stärke, heißt es in einem großen Verband, der aus rechtlichen Gründen derzeit nicht genannt werden darf. „Altmaier kann die Interessen der Wirtschaft sehr pragmatisch in schwierige Lockdown-Entscheidungen einbringen“, heißt es da. „Für uns ist der vielsprachige Altmaier enorm wichtig, wenn es um internationale Sachverhalte geht.“
Die Corona-Krise brachte Altmaier eine Image-Wende, und nun folgt ein Superwahljahr. Er wird aus seinem Last-Minute-Modus auch 2021 nicht entlassen.